Das Haar ist akkurat gekämmt, die goldenen Manschettenknöpfe glänzen, das weiße Einstecktuch sitzt perfekt. So empfängt Reeder Bertram Rickmers zum Interview in seiner Hamburger Zentrale. Die Wände sind mit dunklem Holz verkleidet, Ölgemälde von Schiffen auf stürmischer See zieren sie. Das Büro seiner zweiten Zentrale, dem Headquarters in Singapur, wirkt dagegen weitaus weniger opulent – dafür ist die Aussicht vom 42. Stock auf den Hafen von Singapur viel schöner, findet Rickmers, der rund sechs Mal im Jahr vor Ort ist. Die Hamburger Reederei verchartert ihre Schiffe an große Linienbetreiber – Singapur ist dafür eines der wichtigsten Drehkreuze. Anfang Juni hat sich die Rickmers Holding in eine AG umfirmiert.
WirtschaftsWoche: Herr Rickmers, von Ihrem Headquarter in Singapur haben Sie die Schiffe vor der Küste stets im Blick. Lehnen Sie sich auch mal zurück und genießen diese Szenerie?
Rickmers: Einerseits ja. Andererseits es ist natürlich nicht schön, wenn die Schiffe auf Reede liegen und darauf warten müssen, in den Hafen gelassen zu werden. Damit verdient doch niemand Geld
Über Bertram Rickmers
Im Jahr 2000 kaufte Bertram Rickmers die traditionsreiche, einst im Familienbesitz stehende Rickmers-Linie aus dem Hapag-Lloyd-Konzern heraus. Heute ist der 62-Jährige Chairman der Rickmers Holding AG.
Die Geschäfte der Rickmers Gruppe werden von Hamburg und Singapur aus gesteuert. Rickmers koordiniert als Charterreederei Schiffsprojekte Dritter, organisiert Finanzierungen und erwirbt, verchartert und verkauft Schiffe. Sie kümmert sich um technisches und operatives Management. Als Linienbetreiber transportiert sie Stückgut, Schwergut und Projektladungen. Die Flotte zählt rund 130 Schiffe. 2014 setzte die Gruppe 545 Millionen Euro um. Das operative Ergebnis (EBITDA) lag bei 209,5 Millionen Euro.
Vor zwei Jahren hat Rickmers einen regionalen Hauptsitz in Singapur eröffnet. Hat sich das gelohnt?
Wir sind schon seit 2006 in Singapur, haben aber vor zwei Jahren die Dependance dort spiegelbildlich zu unseren Geschäftsfeldern als regionales Headquarters für Asien ausgebaut. Durch Singapur versuchen wir den asiatischen Teil unserer Geschäfte abzudecken. Wir sind im Großen und Ganzen sehr zufrieden mit der Entwicklung dort.
Haben Sie als Hanseat Singapur überhaupt ins Herz schließen können?
Singapur ist eine unglaubliche Stadt. Sie können da im Prinzip von der Straße essen, es gibt keinen Dreck, die Stadt ist sehr grün. Die Schulen und Krankenhäuser sind erstklassig. Das sehr gut ausgebildete maritime Personal ist für uns natürlich noch viel wichtiger. In Singapur können wir auf viele erstklassig Arbeitskräfte verschiedener Nationalitäten zurückgreifen, ob das Inspektoren sind, also Leute, die sich um die einzelnen Schiffe kümmern, wie Ingenieure, ehemalige Kapitäne oder erste Offiziere, oder eben unsere Crews. Außerdem schätze ich, dass die Hafenbetreiber Entscheidungen schnell treffen. Das Land an sich ist sehr unternehmerfreundlich.
Haben Sie sich deshalb für Singapur als Standort entschieden?
Als Schifffahrtsunternehmen und auch als Liniendienstbetreiber folgen wir natürlich unseren Kunden. Die sitzen in USA, China, Süd- und Nordostasien, Indien und natürlich in Europa. Aber die Mehrheit der Reedereien, die unsere Schiffe chartern, sitzt in Asien.
Dann hätten Sie doch auch nach Hong Kong oder Kuala Lumpur gehen können.
Für uns kam nur Hong Kong oder Singapur in Frage. Hong Kong ist aber politisch nicht so stabil wie Singapur. Doch diese Sicherheit brauchen wir und haben uns deshalb für Singapur entschieden. Von den Kosten für Mitarbeiter und Unterkünfte macht das nicht viel Unterschied. Außerdem haben wir dort immer guten Zugriff auf unsere Crews, die zum größten Teil aus Myanmar, den Philippinen oder China stammen.
Welche Rolle spielt denn die geographische Lage?
Der größte Teil unserer Schiffe fährt regelmäßig an Singapur vorbei. Wir haben den Vorteil, dass wir unsere Schiffe vor Ort inspizieren können und nicht immer aus Hamburg die Inspekteure in die Welt entsenden müssen.
Teures Warten
Die Häfen von Shanghai und Singapur sind die umschlagsstärksten der Welt. Wie lange müssen Schiffe denn in anderen Häfen warten?
In den großen Häfen herrscht rund um die Uhr, sieben Tage die Woche Hochbetrieb. In China kann es schon einmal passieren, dass die Häfen voll sind. Dann wartet man einen vollen Tag oder länger untätig. Auf den eigenen Linienschiffen kostet uns ein Tag um die 14.000 US-Dollar.
Wenn Ihr Fokus so auf Asien liegt, verchartern Sie Ihre Schiffe dann vorwiegend an asiatische Linienbetreiber?
Wir haben in Europa fünf für uns interessante Reedereien, mit denen wir zusammenarbeiten, das sind Maersk, MSC, CMA CGM, Hapag Lloyd und Hamburg Süd. In Asien aber sind es rund zwölf Reedereien. Deshalb ist es für uns auch so wichtig, nahe an denen dran zu sein. Wir funktionieren dabei wie eine Autovermietung. Wir stellen unsere Schiffe mit samt der Besatzung zur Verfügung, sind für den Erhalt der Schiffe zuständig, die Wartung, Sicherheit und für das Schmieröl. Alles andere, beispielsweise Treibstoff, Hafenkosten und Schlepper trägt der Charterer.
Vergleichen Sie den Hafen heute und vor 50 Jahren: Wie hat sich das Bild verändert?
Vor der Erfindung des Containers in den 60er Jahren waren alle Häfen Stückguthäfen. Da wurde der Reis noch in Säcken transportiert und einzeln verladen. Gleiches galt für alle anderen Stückgutladungen, die heute in Containern transportiert werden. Eine einzige Containerbrücke kann heute bis zu 700 Container pro Tag abfertigen.
Muss Ihre Crew in den Gewässern vor Singapur, wie in der Straße von Malakka, die berüchtigte Meerenge zwischen den Malaiischen Halbinseln, darum fürchten, von Piraten angegriffen zu werden?
Meine Familie stammt aus Helgoland. Das war mal eine Pirateninsel. Da fürchten wir nichts. Nein, Spaß beiseite. Piraterie in der Straße von Malakka ist quasi nicht mehr existent. Und für die großen Schiffe ist das sowieso nicht gefährlich, weil sie mit hoher Geschwindigkeit durchfahren. Die größere Gefahr ist der Golf von Aden, sprich die Gegend um Somalia. Und noch viel riskanter sind heutzutage die Gewässer vor Nigeria.
Einige der Schiffe verchartern Sie nur für wenige Monate, andere für mehr als fünf Jahre. Wie kommen die Zeiträume zu Stande?
Bei dem katastrophalen Schifffahrtsmarkt der vergangenen Jahre ist es besser, nur kurzfristig zu verchartern – und darauf zu hoffen, dass die Raten wieder steigen. In einem sehr guten Marktumfeld versucht man natürlich langfristige Verträge zu hohen Raten zu verhandeln. Das ist bei den Charterern natürlich umgekehrt.
Diese Kreuzfahrtschiffe werden 2015 ausgeliefert
Reederei: P&O Cruises
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 591,9
Reederei: Aida
Werft: Mitsubishi HI
Kosten in Mio. €: 477,3
Reederei: Royal Caribbean
Werft: Meyer Werft
Kosten in Mio. €: 690,7
Reederei: Tui Cruises
Werft: STX Finland
Kosten in Mio. €: 392,4
Reederei: Viking Ocean Cruises
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 271,9
Reederei: Norwegian CL
Werft: Meyer Werft
Kosten in Mio. €: 661,3
Reederei: MSC
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 200
Reederei: MSC
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 200
Reederei: MSC
Werft: Fincantieri
Kosten in Mio. €: 200
Die Route von Asien nach Europa gilt als eine der wichtigsten. Wo sehen Sie sonst noch Chancen, Ihre Flotte auszubauen?
Der wichtigste Handelsplatz auf dieser Welt ist der innerasiatische Verkehr. Für den dortigen Markt werden wir verstärkt Investitionen vornehmen und Kooperationen eingehen.
Das bedeutet, dass Ihre Kunden nach neuen Schiffen verlangen.
Die werden auf uns zukommen, ja. Wir haben diverse Programme, an denen wir arbeiten, auch diverse Schiffstypen, die wir entwickeln. Wichtig ist die Sicherheit der Schiffe. Und jetzt kommen neue Ansprüche hinzu: Die Minimierung von Schwefel, Stickstoff und Kohlenstoffdioxid. Es gibt neue Regularien, die werden sicher auch bald in Singapur greifen. Man darf beispielsweise in der Ostsee und auch in der Nordsee nur noch mit Dieselöl fahren, nicht mehr mit Schweröl. Wenn diese Regularien auch nach Asien kommen, dann werden erhebliche Investitionen erforderlich sein, um die Feederschiffe, also kleinere Zubringerschiffe, die im innerasiatischen Verkehr fahren, zu ersetzen. Da denken wir schon mal vor.
Zwischen Größenwahn und Realismus
Was heißt das konkret?
Wir haben diverse Joint Ventures mit anderen Firmen, über die wir Schiffe gemeinschaftlich betreuen und bereedern. Wir haben mit der Private Equity Firma Apollo das Gemeinschaftsunternehmen ARMI mit zwölf Schiffen, an denen wir mit zwischen zehn und 50 Prozent beteiligt sind. Auch mit anderen Unternehmen haben wir Joint Ventures, die wir von Singapur aus managen.
Einige neue Schiffe in Ihrem Management gehören der Investmentgesellschaft Oaktree.
Ja, sieben dieser Schiffe sind schon ausgeliefert, drei werden noch kommen.
Sie haben praktisch einen Investitionszwang und kämpfen gleichzeitig darum, an Fremd- und Eigenkapital zu kommen.
Wir müssen investieren und die Investitionen sind gigantisch in der Schifffahrt. Um diese Investitionen stemmen zu können, brauchen wir natürlich Eigenkapital. Deshalb arbeiten wir derzeit an Maßnahmen, um unsere Eigenkapitalbasis zu stärken. Darauf will ich jetzt aber nicht weiter eingehen.
Singapur plant derzeit am Tuas Terminal, einem Megaterminal, an dem ab 2027 65 Millionen Standartcontainer umgeschlagen werden sollen. Größenwahnsinnig oder realistisch?
Selbst wenn man von einem geringen Wachstum ausgeht, sind 65 Millionen TEU nicht unrealistisch. Dabei handelt es sich um eine Verdoppelung der Umschlagmengen in rund 13 Jahren.
Was denken Sie, welche Rolle Rickmers dann 2027 in Singapur spielen wird?
Wir versuchen, mit dem Markt zu wachsen und eine bestimmte Marktposition zu erreichen. Wir wollen ein wichtiger Partner für die großen Containerschiffsreedereien bleiben. Doch dafür müssen wir in der Lage sein, große Investitionen einzugehen und Zugang zum Kapitalmarkt zu haben. Den haben noch nicht viele unserer Mitanbieter.
Wenn Sie sich auf Eigenkapitalseite öffnen wollen, müssten Sie Ihre Stellung als alleiniger Gesellschafter wohl aufgeben.
Ja, das wird es am Ende aller Tage wohl heißen. Diesen Schritt muss ich dann gehen.
Seit Anfang Juni firmiert Rickmers Holding als AG. Es gibt Gerüchte, dass Sie Börsengänge in Deutschland und an der Wall Street planen.
Ich will – wie gesagt – nicht auf solche Gerüchte eingehen. Es stimmt allerdings, dass wir in einem der nächsten Schritte Eigenkapitalmaßnahmen treffen wollen. Wir bereiten das Unternehmen derzeit darauf vor, voll kapitalmarktfähig zu sein. Über unsere Tochtergesellschaft Rickmers Maritime verfügen wir auch über einen Zugang zum Eigenkapitalmarkt. Ich könnte mir vorstellen, dass es irgendwann auch ein Listing der Muttergesellschaft geben wird.
Der Börsengang in Singapur war nicht so erfolgreich.
Wir hätten damals nach New York gehen sollen, weil dort die Liquidität am Markt wesentlich höher ist als in Singapur. Das wäre für uns aus heutiger Sicht besser gewesen. New York ist ein wichtiger Markt, gerade für Schifffahrtsunternehmen.
Für dieses Jahr rechnen Sie mit einem leichten Umsatzrückgang.
Das liegt daran, dass wir sehr vorsichtig planen. Der Umsatz ist allerdings nicht entscheidend, sondern der Ertrag.
Umdisponierung statt Kürzung
Die Schifffahrtskrise scheint noch nicht überwunden. Sie dagegen investieren in neue Schiffe, modernisieren Ihre Flotte. Ist das Zeichen, dass es wieder nach oben geht?
Wir sind in diesem Schifffahrtszyklus wirklich unten im Tal angelangt. Ich denke, es geht für die Containerschifffahrt bergauf. Wir haben das Tal der Tränen durchfahren. Und das Gleiche gilt für die Projektschifffahrt, die Rickmers-Linie, die auch ganz klar die Talsohle hinter sich gelassen hat.
Sie sagen, Sie wollen wachsen, aber in Ihrem Geschäftsbereich Maritime Service, der Dienstleistungssparte, haben Sie 700 Leute entlassen.
Wir reden hier von seefahrendem Personal. Die Zahl der Seeleute reduziert sich einerseits durch den Abbau unserer KG-Flotte. Hatten wir 2012 noch 49 KG-Schiffe im Management, sind es heute nur noch 14 Schiffe. Andererseits sind es durch die Auslagerung der Bemannung an einen externen Crewing-Dienstleister weniger geworden. Insgesamt hat sich die Zahl der auf unseren Schiffen fahrenden Seeleute nicht reduziert, weil wir im Gegenzug zum Abbau der KG-Flotte neue Schiffe ins Management bekommen haben.
Die Rickmers-Linie für den Transport von Schwergut hat zwar gerade den Turnaround geschafft, ist aber doch mit einem EBITDA von 1,6 Millionen Euro nicht gerade Ihre stärkste Sparte.
Bei der Rickmers-Linie hat es große Veränderungen gegeben. Das gesamte Management wurde 2014 ausgetauscht. Wir haben erstklassige neue Kollegen gewinnen können. Das ist notwendig, um den Prozess, den wir durchfahren haben überhaupt zu schaffen. Und das stimmt mich ehrlich gesagt auch für Rickmers Linie optimistisch.
Herr Rickmers, vielen Dank für das Gespräch.