Dr. Oetker Lust und Last des Pudding-Erben

„So wie die Gruppe dasteht, ist sie meine Gruppe“ – erstmals nach dem Tod seines dominanten Vaters spricht August Oetker über die zähen Kämpfe und künftigen Machtverhältnisse in seinem Milliardenimperium. Dr. Oetker ist Ernährer der Nation, aber auch ein Konzern mit Schifffahrtslinie, eigener Bank und Hotels. Ein Inside-Report.

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Der Teppichboden ist so tief, als liefe man durch Neuschnee, das Vorzimmer groß wie ein Tennisplatz und so hoch, dass ein Aufschlag mit dem Racket kein Problem wäre. Zwei Sekretärinnen sitzen in dem Fünfzigerjahre-Ambiente und huschen ins angrenzende Chefzimmer, sobald der schmächtige Herr hinter der Tür auf ein Rufgerät drückt, das es in keinem Fachgeschäft mehr gibt. Der Herr, das ist Guido Sandler, Urgestein der Bielefelder Oetker-Gruppe, Weggefährte des legendären Rudolf-August Oetker seit 1957, 31 Jahre lang Generalbevollmächtigter des Unternehmens bis 1997. Der 79-Jährige kommt zehn Jahre nach der Verabschiedung noch werktäglich ins Büro. Auf dem antiken Sideboard stehen Fotos der Enkel. Morgens um sieben ist er an Bord des Bielefelder Pudding- und Schifffahrts-Konzerns, als zöge er noch an den Strippen der Macht. Doch Sandler nimmt nur noch, heißt es offiziell, „ehrenamtliche Aufgaben“ wahr. Melancholisch befindet deshalb der vom Akteur zum Beobachter gewordene Ex-Manager, ihm sei, als schaue er „einem Zug hinterher“. So ist es, das Imperium der Oetkers: traditionell bis zum Exzess, altbacken, schrullig. Und doch erfolgreich in seiner 116-jährigen Geschichte. Mit einem geschätzten Vermögen von 4,3 Milliarden Euro gehören die Oetkers zu Deutschlands reichsten Familien. Ihren Gruppen-Umsatz steigerten sie mit gut 22.000 Mitarbeitern auf über sieben Milliarden Euro. Sie pflegen eine der ältesten Marken. Sie stehen im Ranking der größten Lieferanten des deutschen Lebensmittelhandels vor Riesen wie Kraft Foods, Unilever und Coca-Cola auf Platz vier – hinter Nestlé, dem Fleischgiganten Vion und Procter & Gamble. 133 Millionen Flaschen Sekt Henkell Trocken, Deinhard) verkaufen sie pro Jahr. Jede sechste Flasche Bier ( Jever, Radeberger) stammt aus einer Oetker-Brauerei. Über 1,2 Milliarden Produkte anderer Nahrungsmittel – Backmischungen, Müslis, Puddingpulver, Pizza, Desserts – stellt Dr. Oetker in diesem Jahr her. Pro Bundesbürger sind das 15, ohne die Getränke. Unbeirrte Old Economy, unterwegs in einer rasant gewandelten und sich ständig selbst korrigierenden Wirtschaftswelt. Behutsam im Umgang mit Menschen. Manchmal über den Punkt hinaus, an dem ein klares Wort, ein harter Schnitt die geringere Zumutung wäre. So ging der Trennung von der Berliner Supermarktkette Meyer & Beck vor drei Jahren nicht enden wollende Agonie voraus. Ausgeschlossen, dass Oetker mit den zuletzt noch 44 Filialen im Lebensmittelhandel überleben konnte. Immer wieder bearbeitete Junior-Chef August Oetker seinen Vater (siehe Interview Seite 74), dem Unsinn ein Ende machen zu dürfen. Aber Papi – alle acht Kinder aus drei verschiedenen Ehen nannten Rudolf-August Oetker so – Papi also reiste selber nach Berlin. Er führte da Gespräche, so erinnert sich Weggefährte Sandler, besuchte Läden und beschloss nach der Rückkehr ein ums andere Mal, zu warten: „Das sind so treue Leute – wir versuchen’s noch mal.“ Sohn August gibt zu, dass ihn dann schon mal „die Ausgeglichenheit verließ: Wir konnten beide laut werden“.

Rudolf-August Oetker starb im Januar dieses Jahres. Mit 90 Jahren. Zehn Monate nach seinem Tod redet Sohn August im Gespräch mit der WirtschaftsWoche erstmals offen über die Kämpfe, die er mit dem Patriarchen ausfocht. Über die neuen Machtverhältnisse, wie er sie sieht. Und über die künftigen Strukturen. Denn der nächste Generationswechsel in dem ostwestfälischen Gemischtwarenladen steht schon bevor. Eigentlich müsste August Oetker mit 65 Jahren – das wäre 2009 – die operative Führung abgeben. Eigentlich. Denn er wird Anfang 2008 den Beirat des Unternehmens um Fristverlängerung bitten. „So wie die Gruppe dasteht, ist sie meine Gruppe“, sagt Oetker im Gespräch. Dabei wurde er in 26 Dienstjahren meist als Nebendarsteller wahrgenommen. Das sieht Oetker anders und nimmt zweierlei für sich in Anspruch: das Sammelsurium von mehr als 300 Unternehmen auf Kernbereiche konzentriert und es dabei gleichzeitig internationalisiert zu haben. Was verdient dabei mehr Respekt: die strategische Leistung? Oder der familienpsychologische Kraftakt? Vater Rudolf-August Oetker hatte nach dem Krieg das Unternehmen mit Back- und Puddingpulver wieder groß gemacht. Der Slogan „Man nehme Dr. Oetker“ und zeitgeistige Sprüche wie „Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?“ machten den Namen zur Ikone. Bei Backmischungen ist Oetker heute in zehn Ländern die Nummer eins, bei Backartikeln in 14. Und Tiefkühlpizza-Marktführer in Europa. Steuerbegünstigt investierte der Wirtschaftswundermann damals Gewinne aus dem Nahrungsmittelgeschäft in Schiffe für die Reederei Hamburg Süd, die der Familie seit 1955 ganz gehört. Sonst kaufte Oetker ein, sobald sich Chancen boten. Er engagierte sich im Fluggeschäft (Condor), in Bier- und Textilbranche (Windsor), wurde Bankier und Suppenhersteller, Chemiefabrikant – und Filmfinanzierer mit einer Firma namens Fifi, die nur einen erfolgreichen Film zustande brachte, bevor sie Konkurs anmeldete: „Das doppelte Lottchen“ nach Erich Kästner. Selbst innerhalb der Branchen ging es wirr zu: Die Nahrungsmittelsparte engagierte sich im Süßwarenhandel (Hussel), in der Suppenproduktion, in der Knabber-Branche (Ültje) und in den Siebzigerjahren im Tiefkühlpizza-Geschäft.

Als August Oetker 1981 ins Unternehmen eintrat und 1989 die Geschäftsführung der Gruppe übernahm, versuchte er die Firmensammlung auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er fasste sämtliche im Nahrungsmittelsegment tätigen Einzelfirmen in einer GmbH zusammen. Er fokussierte seinen Bereich auf drei Segmente: Tiefkühlpizza, Nährmittel mit den Traditionsprodukten Back- und Puddingpulver und Frischeprodukte wie verzehrfertige Desserts. Doch alles war Papis Lebenswerk – und vieles daran so unantastbar wie die Supermärkte in Berlin. Noch argwöhnischer wachte der Patriarch über das, was sein von ihm hoch verehrter Stiefvater Richard Kaselowsky zwischen 1919 und 1944 an der Spitze des Unternehmens verfügt hatte. Ein heikles Thema, weil Kaselowsky erhebliche Nähe zum Naziregime pflegte. Der Deutsche-Bank-Aufsichtsrat und zweite Mann der verwitweten Ida Oetker war seit 1933 NSDAP-Mitglied und trat wenige Jahre später einem hochkarätigen Club von Unterstützern Heinrich Himmlers bei, dem „Freundeskreis des Reichsführers SS“. Der Nazi-Elitetruppe spendete Kaselowsky 80.000 Reichsmark. In welchem Umfang das Unternehmen von den Nazibeziehungen profitierte, ist unklar. Seine ersten Anteile an der zuvor staatseigenen Hamburg Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft, die heute das mächtigste Standbein der Gruppe ist, erwarb Kaselowsky jedenfalls Mitte der Dreißigerjahre. August Oetker will das sensible Thema möglichst ruhen lassen. Nachdem sich der Historiker Hans-Ulrich Wehler in den Neunzigerjahren kritisch mit dem Verhalten Kaselowskys im Dritten Reich auseinandergesetzt hat, meint der Konzern-Chef, „gibt es nach unserer Kenntnis nichts mehr aufzuklären“. Bis ins hohe Alter war Rudolf-August Oetker bei jedem Stapellauf dabei, erinnern sich Zeitzeugen. Aber er beschränkte sich nicht aufs Repräsentative. Er war bis zu seinem Tod Vorsitzender des Oetker-Beirats, der alle wichtigen strategischen Entscheidungen absegnet. Vor allem aber war er schlicht da. Während sich August Oetker in der zweiten Etage des Holding-Gebäudes eingerichtet hatte, saß Oetker senior eine Etage tiefer. Ansonsten passte Finanzchef Ernst Schröder auf, dass alles im Sinne des Chefs lief. Seine Macht als einer, der den Namen Oetker trägt, und seine Ohnmacht als Sohn haben den derzeitigen Firmenchef geprägt. Zeitweise pendelte August Oetker zwischen Anpassung und Verweigerung, begann die vom Vater gewünschte Doktorarbeit, brach sie dann aber ab. Den Doktortitel führt der Unternehmer deshalb nur ehrenhalber. Das Haus, das er neben der väterlichen Villa baute, gefiel dem Senior nicht – angeblich erzwang der Vater einen Umbau, berichtet Rüdiger Jungbluth, Autor einer nicht autorisierten Oetker-Biografie. Der Vater war demnach auch gegen Augusts erste Heirat. Inzwischen hat der trotz allem oft gut gelaunte und lässig auftretende Erbe zwei Scheidungen hinter sich und eine Lebensgefährtin von Anfang 30, mit der man ihn schon mal bei festlichen Anlässen in Bielefeld sieht. Auf einem Foto sitzt Nina Esdar im Mercedes 300 SL neben August. Ninas Vater betreibt ein Autohaus für Classic-Cars in Bielefeld, August Oetker besitzt eine kleine Oldtimer-Sammlung und fährt im Jahr zwei, drei feine Classic-Rallyes wie die Mille Miglia. Die Oetker-Gefährtin ist Fotografin und veröffentlichte den Bildband „Automobile Romantik – Nina Esdar und die Poesie der Bilder“.

Auch wenn sie nicht öffentlich streiten wie die Bahlsens, wie der Tchibo-Clan Herz oder wie die Faßbenders von der Arag Versicherung: Faszination und Schrecken eines Familienunternehmens liegen auch in der Oetker-Dynastie nah beieinander und bilden sich ab im Unternehmen selber. Kein Wunder, dass das Bielefelder Imperium heute kein Gebilde aus einem Guss ist. Immer noch gibt es Randständiges, das dem Anspruch der Fokussierung widerspricht: ein Versicherungsmaklergeschäft in Bielefeld, Tsatsiki-Produktion in Moers, eine kleine Phosphat-Fabrik im rheinland-pfälzischen Budenheim. In Frankreich ist Oetker die Nummer eins bei Salzstangen und Knabberzeug – in anderen Ländern lässt Oetker diesen Markt links liegen, freut sich aber am französischen „Local hero“. Wäre Oetker ein Konzern wie jeder andere, gäbe es die aus fünf Luxushotels in Deutschland, Frankreich und der Schweiz bestehende Oetker Hotel Collection nicht. Firmeneigene Veranstaltungen in Brenner’s Parkhotel in Baden-Baden rechtfertigen das Engagement kaum. Immerhin schätzen Experten, dass die Oetker-Hotels mit rund 1000 Mitarbeitern und 100 bis 120 Millionen Euro Umsatz eine für die Branche gute Rendite von rund zwölf Prozent erwirtschaften. Mit einem durchschnittlichen Nettozimmerpreis von gut 320 Euro gehört das Brenner’s Park zu den bestverdienenden Hotels in Deutschland. Wichtiger noch ist der steigende Wert der Hotelimmobilien. Den schätzen Insider auf insgesamt rund eine Milliarde Euro. Manche Exoten sind tragende Säulen der Gruppe. So der Dr. Oetker Verlag in Bielefeld, der mit 14 Mitarbeitern „wohl das kleinste aller Oetker-Unternehmen“ sei, meint Geschäftsführerin Annelore Strullkötter, „aber wichtig für die Marke“. 100 Back- und Kochbücher hat die frühere Bertelsmann-Managerin im Programm. Nach Gräfe und Unzer ist Oetker der zweitgrößte Verlag in dem Segment. Über 20 Millionen Exemplare vom immer wieder überarbeiteten „Dr. Oetker Schulkochbuch“ wurden verkauft und werben wie zigmillionen weitere Rezept-Werke für die Marke.

So unterschiedlich die Geschäftsbereiche sind, so verschieden sind ihre Probleme und Chancen. Bei den Nahrungsmitteln geht die Strategie auf, Absatzschwierigkeiten im deutschen Markt durch Investitionen im Ausland auszugleichen. Der Auslandsanteil der Sparte Dr. Oetker liegt schon bei 56 Prozent und wächst weiter. Inzwischen testet das Unternehmen mit seiner Pizza-Sparte den kanadischen Markt und hat die USA im Visier. Mutig ist die radikale Entscheidung, keine Handelsmarken zu produzieren. Oetker soll nur drinstecken, wo Oetker draufsteht. Dabei ist im deutschen Markt eigentlich nur mit Billigmarken leichtes Wachstum zu erzielen. Selbst bei Onken, der Dessert- und Joghurtfabrik in Moers, fährt Oetker die Handelsmarken-Herstellung jetzt auf null zurück. Die 2004 übernommene und anfangs skeptische Belegschaft dort ist begeistert von ihrem neuen Arbeitgeber. Obwohl Onken auch zuvor ein Familienunternehmen war, sieht Betriebsratschefin Cordula Schütte die Integration ins Oetker-Reich positiv: „Unsere Meinung zählt mehr als früher, die Mitarbeiter werden ernst genommen.“ Natürlich schaute sich auch Seniorchef Rudolf-August Oetker persönlich die Neuerwerbung an, ließ sich in die Kantine führen und begrüßte jeden dort mit Handschlag: „Guten Tag, ich bin der ganz alte Oetker.“ Zumindest im Nahrungsmittelbereich pflegt Oetker perfekte Corporate Identity: Die Werkshallen – ob in Moers oder bei den Pizza-Machern im rheinland-pfälzischen Wittlich – sind alle cremegelb gestrichen. Wer dort einen Job hat, bleibt lange. Von den 1862 Oetker-Mitarbeitern in Bielefeld sind mehr als ein Drittel mindestens 20 Jahre im Unternehmen. Das größte Sorgenkind der Bielefelder ist die Wiesbadener Getränkegruppe Henkell & Söhnlein. Die Sektsparte schwächelt vor allem in Deutschland. Fast vier Prozent weniger Wein, Sekt und Spirituosen wurden hier im vergangenen Jahr verkauft. Die Jubiläumsstimmung – 2006 feierte Henkell-Sekt sein 150-jähriges Bestehen – dürfte in einen Kater umgeschlagen sein. Es gibt keine Anzeichen, dass Henkell & Söhnlein die ersehnte Stellung eines Marktführers bei Schaumweinen je erreichen könnte. „Diese Positionen sind – soweit es den Weltmarkt betrifft – fest in der Hand von Schloss Wachenheim und soweit es den deutschen Markt betrifft in der Hand von Rotkäppchen-Mumm“, sagt Brun-Hagen Hennerkes, führender Experte für Familienunternehmen und Kenner der Sekt- und Spirituosenbranche. Es könnte noch dicker kommen: Vertrauliche Marktforschungsunterlagen zeigen, dass die Marken von Henkell & Söhnlein weder im aufstrebenden Rosé-Sekt-Geschäft noch im Markt des alkoholfreien Sekts eine wichtige Rolle spielen. Das Fazit der Marktforscher ist vernichtend: „Bei Rotkäppchen-Mumm ist auch im zweiten Halbjahr 2007 kein Ende des Wachstums in Sicht, während bei der Nummer zwei im Markt, Henkell & Söhnlein, kein Ende der zweistelligen Absatzverluste in Sicht sind.“ Trüb sieht es auch beim meistverkauften Oetker-Schnaps aus, dem Wodka Gorbatschow, der für fast zwei Drittel des Umsatzes des Spirituosensortiments steht. Der Hochprozenter verliert Marktanteile, obwohl Wodka eine der wenigen Spirituosen ist, die überhaupt noch wachsende Umsätze liefern. Im deutschen Lebensmittelhandel torkelt der Gorbatschow-Anteil von 33 Prozent (1999) auf 21 Prozent (2006). Auch die Oetker-Biersparte Radeberger ist bei Trends wie den Mischgetränken kaum präsent. Dem Konglomerat, das über Jahrzehnte aus Bierkonzernen wie Radeberger, Brau und Brunnen und Binding zusammengebraut wurde, fehlen echte Aushängeschilder wie Warsteiner, Beck’s oder Krombacher. Geld für derart hochprozentige Übernahmen könnte jetzt ein Immobilienverkauf ins Bier-Reich spülen. Der US-Finanzinvestor Carlyle Group hat Immobilien der Brauerei Radeberger gekauft. Aus Marktkreisen ist zu hören, dass mindestens 250 Millionen Euro für das aus 122 Objekten bestehende Portfolio fällig werden. Positiver präsentiert sich die Schifffahrts-Sparte. Mit der Finanzkraft des Konzerns im Rücken konnte die Reederei durch Übernahme etwa der Deutschen Levante Linie oder der brasilianischen Reederei Aliança ihr Einsatzgebiet ausdehnen. Zwar war auch Hamburg Süd vom Verfall der Frachtpreise und der Verteuerung der Brennstoffe betroffen, aber inzwischen ist der Tiefpunkt überwunden. Das Container-Handelsvolumen dürfte im laufenden Jahr wieder um zehn Prozent wachsen, auch die Frachtraten ziehen wieder an.

Knapp 30 der insgesamt 146 unter Hamburg-Süd-Flagge laufenden Schiffe sind im Besitz der Reederei, der Rest gehört juristisch eigenständigen Finanzierungsgesellschaften, die durch langfristige Charterverträge an die Gruppe gebunden sind. Mit dieser Konstruktion lassen sich niedrige Frachtraten durch günstigere interne Verrechnungspreise erzielen. Investiert wird im Wesentlichen aus dem Geldfluss des laufenden Geschäfts – und nur dann, wenn die Rendite bei mindestens zwölf Prozent liegt. Seit 2005 hat Hamburg Süd so fast 740 Millionen Euro ausgegeben. Vor drei Jahren versuchte die Oetker-Linie gar Hapag-Lloyd zu übernehmen. Seitdem kochen immer wieder Spekulationen über einen Zusammenschluss hoch. Doch Fachleute glauben, der Preis von 1,5 bis 2 Milliarden Euro wäre für Oetker zu hoch. Selbst für einen Konzern, der sich eine eigene Bank hält: das Privatbankhaus Lampe. Mit einer Bilanzsumme von knapp drei Milliarden Euro spielt das 1852 gegründete Institut, in das Rudolf-August Oetker 1949 einstieg, in einer Liga mit anderen traditionellen Privatbanken wie Metzler, M.M. Warburg oder Hauck & Aufhäuser. Besonders stark engagiert ist sie im Geschäft mit Mittelstandskunden. Während das reine Kreditgeschäft nur geringe Gewinne liefert, hat die Bank auf dieser Grundlage die Kapitalmarktfinanzierung ausgebaut und die Vermögensverwaltung zahlreicher Familienunternehmer übernommen. Zudem ist Beratung und Finanzierung bei Übernahmen unter Mittelständlern ein wichtiges Wachstumsfeld. „Die strategische Neuausrichtung der Bank ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein ertragsschwaches Marktsegment zum Aufbau einer neuen Portfoliopolitik genutzt werden kann, ohne die traditionellen Zielkunden zu verprellen“, sagt Fachmann Hennerkes. Im umkämpften Geschäft mit den Wohlhabenden, in das auch die großen Geldhäuser drängen, schlägt sich die Lampe Bank wacker. Sie konnte ihren Jahresüberschuss im vergangenen Jahr um 32 Prozent auf 22 Millionen Euro steigern. „Die Diversifikation an sich“ sei der Sinn des Konglomerats, verteidigt August Oetker die Struktur seiner Unternehmensgruppe. Die Frage ist, ob er sie ändern könnte, wenn er wollte. Der Spielraum jedenfalls ist nun vorhanden. Sind sich die acht Erben einig, können sie die Oetker-Gruppe anders aufstellen, in Geschäftsfelder einsteigen oder Sparten verkaufen. Eine Herausforderung, die vermutlich erst auf August Oetkers Nachfolger zukommen würde. Schließlich muss er in zwei Jahren abtreten, sofern nichts anderes beschlossen wird. Möglich ist eine Amtsverlängerung, wenn sich im Kreis der Erben eine Drei-Viertel-Mehrheit dafür findet. Eine Bewährungsprobe für den viel beschworenen Familienfrieden. Die Suche nach dem nächsten Chef läuft bereits. Alfred, ein Halbbruder Augusts und ältester Sohn aus Rudolf-August Oetkers dritter Ehe, der das Nahrungsmittelgeschäft in Holland leitet, sei ein heißer Kandidat, heißt es. Infrage komme aber auch ein Oetker-Manager, der nicht zum Clan gehört. Oder aber eine Übergangslösung, bis sich in fünf oder zehn Jahren ein Mitglied der fünften Oetker-Generation genug berufliche Sporen verdient habe. „Denkbar ist vieles“, sagt August Oetker zu den Gedankenspielen. Sein Interesse muss sein, dass es nicht jetzt schon einen sicheren Anwärter gibt, der ihn, August, als Auslaufmodell erscheinen lässt. Er erlebt gerade – privat und als Firmenchef – seinen zweiten Frühling und würde die gewonnenen Freiheiten gerne noch ein Weilchen nutzen. Oetker senior hat einige Tabus mit ins Grab genommen. Festzumachen ist das an einem Gemälde, das derzeit im Entree der Bielefelder Kunsthalle hängt: der „Russischen Tänzerin“ des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner, eines von rund 1000 Bildern der Oetker-Kunstsammlung. Rudolf- August Oetker hatte der von ihm gestifteten Kunsthalle Bielefeld die Dauerleihgabe 1998 entzogen, weil die Stadt das Haus nach jahrelangem Streit umbenannt und den Namen des umstrittenen Oetker-Stiefvaters Kaselowsky tilgte. Die „Russische Tänzerin“ – beschwingt in der Bewegung, ernst im Gesichtsausdruck – hing deshalb jahrelang in August Oetkers Büro. Nun ist das von Hitler als entartet verfemte Werk in die Kunsthalle zurückgekehrt, wenn auch nur für die Sonderausstellung „1937“. Rudolf-August Oetkers Büro, in dem auch schon die Gründerväter saßen, steht heute leer. Seine Sekretärin wacht darüber, dass Unbefugte nicht den holzgetäfelten Raum entweihen. Der dynastischen Logik nach müsste nun August Oetker einziehen. Macht er aber nicht. Auch ein Signal.

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