Hitlers Helfer Die Nazi-Vergangenheit deutscher Konzerne

Viele deutsche Firmen arbeiteten eng mit dem NS-Regime zusammen. Auch der Familienkonzern Tengelmann will seine Nazi-Vergangenheit aufarbeiten. Wer das dunkle Kapitel seiner Geschichte offen thematisiert. Ein Überblick.

Vergangenheitsbewältigung: Der Familienkonzern Tengelmann will seine NS-Vergangenheit mit Hilfe des Historikers Lutz Niethammer aufarbeiten. Der Historiker werde einer Konzern-Sprecherin zufolge für seine Arbeit mindestens zwei Jahre brauchen und völlige wissenschaftliche Freiheit genießen. Er soll im Firmen-Archiv des Unternehmens ebenso recherchieren wie in unabhängigen Archiven. Nach derzeitigen Stand könne das Unternehmen lediglich die Mitgliedschaft von Karl Schmitz-Scholl in der NSDAP sicher bestätigen. Schmitz-Scholl stand von 1933 bis zu seinem Tod 1969 an der Spitze des Familienunternehmens. Er war der Großonkel des jetzigen Tengelmann-Chefs Karl-Erivan Haub. Schmitz-Scholl soll einem NDR-Bericht zufolge in der SS zum Hauptsturmführer aufgestiegen sein und seinen Dienstgrad genutzt haben, um sich bei Heinrich Himmler für den Erhalt der Filialbetriebe stark zu machen. Während des Krieges soll er mit seiner Firma Wissoll lukrative Aufträge zur Wehrmachtsverpflegung erhalten haben. Quelle: dpa
Die Industriellenfamilie Quandt , Großaktionär bei BMW und Altana, hatte sehr enge Verbindungen zum NS-Regime. Magda Ritschel heiratete zwei Jahre nach ihrer Scheidung von Patriarch Günther Quandt den späteren Propagandaminister Joseph Goebbels. Lange schwieg der Clan zur Vergangenheit, doch die Enkelgeneration beauftragte den Bonner Historiker Joachim Scholtyseck schließlich damit, das unrühmliche Kapitel aufzuarbeiten. Als Rüstungsunternehmer (Batteriefirma Afa) beschäftigte Günther Quandt etwa 50.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge während des Zweiten Weltkrieges. Das Bild vom 20. April 1971 zeigt Günther Quandts Sohn Herbert (gestorben 1982) und dessen Frau Johanna. Quelle: picture-alliance / dpa
Die IG Farben war einst der größte Chemiekonzern der Welt. Während des Zweiten Weltkriegs setzte das Unternehmen als einer der ersten deutschen Konzerne Zehntausende Zwangsarbeiter ein. Der Chemiekonzern gilt als Symbol für die enge Zusammenarbeit der deutschen Wirtschaft mit den Nationalsozialisten. 1944 wurden über 80.000 ausländische Arbeiter und Häftlinge von Konzentrationslagern zwangsweise in den Dienst der Nazi-Diktatur gestellt. 1951/1952 wurde die IG Farben in mehrere Unternehmen zerschlagen, darunter Bayer, BASF und Hoechst (heute Sanofi-Aventis). Im Bild das Konzentrationslager in Auschwitz, in dem mindestens 30.000 Zwangsarbeiter getötet worden sind. Die IG-Farben-Beteiligungsgesellschaft Degesch produzierte hier das in den Gaskammern der Konzentrationslager eingesetzte Giftgas Zyklon-B. Im Prozess vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wurden fünf der 23 Angeklagten zu Haftstrafen wegen Sklavenarbeit verurteilt, sieben weitere wegen Plünderung. Jedoch wurden Anfang der 50er Jahre alle Industriellen aus der Haft entlassen. Quelle: dpa
Im Internet kursierten Gerüchte über die Schaeffler-Gruppe, den Automobilzulieferer, der 1940 auf dem Fundament eines jüdischen Unternehmens errichtet worden sein sollte. Der von der Familie beauftragte Historiker Gregor Schöllgen bestätigte dies 2009: Schaeffler ist nicht nur aus der vormals jüdischen Davistan AG hervorgegangen. Vielmehr war das fränkische Unternehmen auch tiefer in das System des „Dritten Reiches“ verstrickt: So engagierte sich die Firma im Zweiten Weltkrieg stark in der Rüstungsproduktion und beschäftigte dabei auch Zwangsarbeiter. Keine Belege gab es laut Schöllgen für den Vorwurf, die Firma könne für ihre Textilproduktion Menschenhaar aus dem Vernichtungslager Auschwitz verwendet haben. Firmengründer Wilhelm Schaeffler wurde 1949 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, allerdings bereits am 23. Juli 1951 wieder freigelassen. Die Geschichte sei von den Brüdern Schaeffler nie geleugnet worden, schreibt Schöllgen. Sie hätten aber auch kein Interesse daran gehabt, „ihre frühen Jahre ohne Not kritischen Blicken auszusetzen“. Erst Maria-Elisabeth Schaeffler (Foto), die Witwe von Wilhelms Bruder Georg Schaeffler, und ihr Sohn Georg hätten sich entschlossen, die Vorgänge erforschen zu lassen. Quelle: dpa
Uniformen für die Wehrmacht statt Jeans: Auch das Modeunternehmen Hugo Boss sah sich Ende der 90er Jahre mit dem Vorwurf konfrontiert, Firmengründer Hugo Boss sei durch nationalsozialistische Protektion und den Einsatz von Zwangsarbeitern aufgestiegen. Daraufhin beauftragte das Unternehmen die Historikerin Elisabeth Timm, die die Vorwürfe belegen konnte. Anschließend beteiligte sich der Modekonzern an dem Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter beteiligte, der im Jahre 2000 von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft angelegt worden war. Zudem fertigte Wirtschafts-Historiker Roman Köster eine umfassende Untersuchung der börsennotierten Firma im baden-württembergischen Metzingen an. Demnach hat der überzeugte Nationalsozialist Hugo Boss nachweislich vom Nationalsozialismus profitiert und konnte durch seine Spezialisierung auf die Herstellung von Uniformen vom Kleinunternehmer zum Mittelständer aufsteigen. Quelle: ap
Noch heute horcht man bei dem Namen Flick auf. Flick-Affäre, Schmiergeld, Kriegsverbrechen - Friedrich Flick, der von 1883 bis 1972 lebte, war der böse alte Mann der deutschen Wirtschaft. Schon in der Weimarer Republik schaffte Flick ein Firmenimperium, das ihn in eine Reihe mit den großen Industrieunternehmern Krupp, Stinnes und Thyssen rückte. Unter Hitler stieg der Schwerindustrielle aus dem Siegerland zum wichtigstem Rüstungslieferanten auf - dank tausender Sklavenarbeiter und Kriegsgefangener, die in den Waffenschmieden schuften mussten. Ende 1947 wurde Flick in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt, doch schon 1950 kam er wieder frei und machte sich an den Wiederaufstieg. Bei seinem Tod 1972 zählte er wieder zu den reichsten Deutschen und hielt Beteiligungen an Konzernen wie Daimler. Das Firmenkonglomerat wurde Anfang der 80er Jahre an die Deutsche Bank verkauft. Quelle: picture-alliance/ dpa
2003 wurde bekannt, dass der Chemiekonzern Degussa (heute Evonik Degussa GmbH) wichtige Baumaterialien für das Holocaust-Mahnmal liefert. Dabei war es ausgerechnet jenes Unternehmen, dessen Konzerntochter Degesch das Giftgas Zyklon B produzierte, mit dem Juden in Konzentrationslager Auschwitz umgebracht wurden. In den Degussa-Fabriken arbeiteten außerdem Zwangsarbeiter, in ihren Öfen wurde Raubgold geschmolzen, und bei Degussa hergestelltes Uran sollte die deutsche Atombombe ermöglichen. Allerdings ging die RAG-Tochter offener als viele andere mit der eigenen Vergangenheit um: Schon 1997 beauftragte Degussa den renommierten Historiker Peter Hayes mit der Aufarbeitung der Firmengeschichte. Quelle: dpa
Ein Vorreiter bei der selbstkritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte war die Deutsche Bank. 1997 legte eine eigens eingesetzte Historikerkommission die dunkle Vergangenheit der Jahre 1933 bis 1945 offen. Auch führende Vertreter der Deutschen Bank hatten sich demnach den Zielen des NS-Regimes von Anfang an widerstandslos untergeordnet. So beteiligte sich das Institut ab 1938 daran, jüdische Vermögenswerte systematisch einzufrieren. Fast alle Kontoguthaben und Depotwerte jüdischer Kunden wurden bis zum Ende des Krieges an das Deutsche Reich abgeführt. Filialen und Zweigstellen der Deutschen Bank vergaben außerdem Kredite an Baufirmen, die in Auschwitz beim Bau des IG-Farben-Werks und des Konzentrationslagers tätig waren. Quelle: ap
Der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Martin Winterkorn, besucht im Dezember 2011 die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. VW folgte dem Beispiel der Deutschen Bank, setzte auf Transparenz und beauftragte den renommierten NS-Historiker Hans Mommsen, die Unternehmensgeschichte aufzuarbeiten. Den Untersuchungen zufolge wurde das Volkswagenwerk während des Zweiten Weltkrieges auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt. Rund 20.000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und später auch KZ-Häftlinge schufteten in den Fabriken des Konzerns. Quelle: dpa
Im Jahr 2007 zahlte Arcandor, damals noch Karstadt-Quelle, nach jahrelangem Rechtsstreit 88 Millionen Euro Entschädigung an die Erben der Kaufhausdynastie Wertheim. Die Wertheims, Eigentümer eines der größten deutschen Warenhauskonzerne, waren 1939 von den Nazis enteignet worden. In der Auseinandersetzung ging es um insgesamt 40 Grundstücke in Ostdeutschland und Berlin, die Schätzungen zufolge bis zu 500 Mio. Euro wert sind, darunter das sogenannte Lenné-Dreieck am Potsdamer Platz in Berlin. Quelle: dpa
Hungernde Zwangsarbeiter im KZ Buchenwald: Anfang September 1998 hatten ehemalige europäische Zwangsarbeiter vor Gerichten in New York und New Jersey Klage gegen Siemens, Krupp, Diehl, Henkel, BMW, Daimler-Benz, VW, Audi, Leica, Degussa und MAN erhoben. Nach monatelangen Verhandlungen mit Vertretern der Opfer verkündete die rot-grüne Bundesregierung im Dezember 1999 die Gründung eines Entschädigungsfonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter in Höhe von zehn Milliarden DM, die von Staat und Industrie zu gleichen Teilen aufgebracht werden sollten. Quelle: ap
Mehrere Firmen schlossen sich daraufhin zu einer Stiftung zusammen, um die ehemaligen Arbeiter finanziell zu entschädigen. Im Februar 1999 gründeten 16 Unternehmen die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft: Allianz, BASF, Bayer, BMW, Commerzbank, Daimler-Chrysler, Degussa-Hüls, Deutsche Bank, Deutz, Dresdner Bank, Hoechst, RAG, Siemens, Thyssen-Krupp, Veba (heutige Eon) und Volkswagen. Das Bild zeigt jüdische Zwangsarbeiter im Konzentrationslager Dachau. Quelle: ap
Die Mindestbeteiligung am Fonds für einzelne Unternehmen lag nach einem Bericht der Zeitung ak - analyse & kritik bei 500.000 DM. Die Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Mrd. DM und einer Bilanzsumme von mehr als 300 Mrd. DM hatten mit 100 Mio. DM die höchsten Beiträge zu dem Fonds zu leisten. Allerdings konnten dem Bericht zufolge nicht alle Ansprüche der Zwangsarbeiter erfüllt werden, da einige Anträge erst nach dem Stichtag eingingen. Kriegsgefangene wurden erst gar nicht berücksichtigt. Das Bild zeigt KZ-Häftlinge aus Dachau, die Munition herstellen. Quelle: ap
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