Nahrungsergänzung Wie Ärzte uns Vitamin-Pillen unterjubeln sollen

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Viel hilft nicht immer viel

Die gleichen Schachteln reihen sich auch in einer Vitrine in der Eingangshalle der Unternehmenszentrale von Queisser Pharma in Flensburg, die die Mittel produziert. Das Unternehmen gehört der Familie Dethleffsen, ein Name im Norden, auch die Biermarke Flensburger gehört zum Reich. Jan Kuskowski und Gert Bendixen führen die Geschäfte. Mediziner ist keiner von beiden, sie sind Kaufmänner und Marketingexperten, beide seit Jahren im Konzern. Ihr Motto: „Für uns ist es wichtig, die Bedürfnisse der Verbraucher im Auge zu haben.“

Pflanzliche Nährstoffquellen

Nur sind die Verbraucher oft nicht gut informiert über die Pillen, die sie schlucken. Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel gelten nicht als Medikamente, sie fallen deshalb nur unter das Lebensmittelrecht, weil ihre Inhaltsstoffe in der Regel nicht schädlich sind. Hersteller werden deshalb kaum kontrolliert. Sie dürfen zwar keine falschen Aussagen über die Wirkung ihrer Inhaltsstoffe machen. Aber sonst sind ihnen kaum Grenzen gesetzt, auch nicht bei der Dosierung der Inhaltsstoffe. Das führt dazu, dass sich die Anbieter gegenseitig übertrumpfen. Bietet der eine ein Präparat mit 300 Milligramm eines Inhaltsstoffes an, kommt der nächste mit 400 auf den Markt, der übernächste gleich mit 600 Milligramm.

Viel hilft eher wenig

„Der Verbraucher kauft im Zweifelsfall die höhere Dosierung“, sagt Jan Kuskowski von Queisser Pharma. „Wir setzen uns Grenzen, wenn die Wettbewerber in der Dosierung noch höher gehen. Wir fragen uns immer, welche Werte sicher und sinnvoll sind“, ergänzt Kollege Bendixen. Dabei ist auch bei Queisser Pharma das meistverkaufte Magnesiumpräparat eines mit 400 Milligramm. Die von der BGE empfohlene Tagesdosis liegt bei 300 Milligramm für Frauen und 350 Milligramm für Männer. Doch die Empfehlung sei „sehr konservativ und relativ niedrig“, sagt Kuskowski, im Ausland seien die Empfehlungen oft höher. Und einige Wettbewerber bieten auch die vielfache Dosis an.

Das sollten Sie essen, wenn Sie viel sitzen
BeerenBeinahe weltweit gelten Beeren als Nahrungs- und Heilpflanzen. Denn sie verfügen über einen hohen Vitamin - und Mineralstoffgehalt und enthalten eine hohe Anzahl an Antioxidantien, die entzündungshemmend wirken. Himbeeren etwa enthalten Kalium, Eisen und Magnesium. Stoffe, die die Knochenbildung anregen. Während Brombeeren die Verdauung fördern. Das Vitamin C und Eisen fördert die Blutbildung. Quelle: Pexels
KurkumaAuch die Kurkumaknolle gilt in vielen Regionen der Welt als Heilpflanze - wirkt sie doch durch den Wirkstoff Kurkumin entzündungshemmend. Außerdem lindert Kurkuma Magen-Darm-Beschwerden und unterstützt die Verdauung. Medizinisch wird es bisher tatsächlich nur bei diesen beiden Beschwerden eingesetzt. Bei Laborversuchen wurde die Wirkung des Stoffes aber schon bestätigt. Quelle: Popova Olga - Fotolia
FischLachs, Forelle, Karpfen: Fische gelten grundsätzlich als sehr gesund, vor allem wegen der Omega-3-Fettsäuren. Auch diese wirken entzündungshemmend. Und wir nehmen oft viel zu wenig davon zu uns. Dabei haben zahlreiche Studien belegt, dass die Omega-3-Fettsären das Risiko für Herzerkrankungen und für einen Schlaganfall mindern. Außerdem sind sie gut für das Gehirn - und damit auch das Denken. Quelle: dpa
KnoblauchDie Kollegen wird der Verzehr der Knolle sicher nicht unbedingt gefallen. Aber für die Gesundheit ist sie durchaus förderlich, besonders für das Immunsystem. Außerdem wird dem Knoblauch eine leichte Cholesterinsenkende Wirkung zugesprochen. Und das gehört zu einer gesunden Ernährung und letztlich auch zur ganzen Gesundheit dazu. Quelle: Sarote - Fotolia
Nüsse und SamenWenn wir viel sitzen, läuft unser Stoffwechsel auf Sparflamme. Die Folge: Jede Kalorie, die wir zusätzlich zu uns nehmen, wird in Fett umgewandelt und das kann über die Zeit ansetzen. Nüsse, wie Walnüsse & Co, aber enthalten mit Omega-3-Säuren, sogenannte gesunde Fette, die sich gut auf das Herz- und Kreislauf-System auswirken. Quelle: dpa
OlivenölDas Öl, am besten frischgepresst, wirkt entzündungshemmend. Es kann zwar keine Kopfschmerzen lindern, aber das Risiko auf Herz- und Kreislauferkrankungen mindern - und bei der Gewichtsabnahme helfen. Das wohl größte Problem, wenn wir uns kaum bewegen. Quelle: dpa
AvocadoObwohl Avocados einen ziemlich hohen Fettgehalt haben, sind sie sehr gut für Figur und Gesundheit. Warum? Sie machen lange satt und enthalten darüber hinaus noch wichtige Vitamine, Mineralstoffe und ungesättigte Fettsäuren. Quelle: AP

Doch viel hilft nicht immer viel: Magnesium wirkt abführend und kann bei dauerhafter Überdosierung auch zu Organschäden führen. Einer Untersuchung der Verbraucherzentrale zufolge überschreiten 64 Prozent der auf dem Markt erhältlichen Magnesiumprodukte trotzdem die empfohlene Dosis, bei anderen Präparaten ist das nicht viel anders. Die Verbraucherzentrale fordert offizielle Höchstgrenzen. Die EU wollte die längst einführen, doch die Mitgliedsländer konnten sich nicht auf Grenzen einigen. Schließlich brauchen einige Kranke auch höher dosierte Mittel.

Und so schlucken die Deutschen weiter, auch auf Empfehlung von Bekannten, Apothekern und Ärzten. Besonders junge, leistungsbereite Frauen greifen gerne zu den Nahrungsergänzungsmitteln: Die ehrgeizige Studentin, die durch die Klausurenphase kommen will. Oder Familienmütter, die erschöpft von Job und Kindern sind und sich durch die Vitamine einen extra Schub Energie erhoffen. Sie wollen Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Schönheit. Die Vitaminpräparate versprechen oft alles auf einmal.

Ältere Zielgruppen sprechen die Vitaminverkäufer oft über Anzeigen in Zeitschriften an. Grau melierte Ärzte werben darin als Maskottchen für die Vitaminkuren und Co. Vor allem Klatsch- und Frauenmagazine sind beliebt. „Die Gebissträgerzeitungen“, sagt einer, der für das Marketing solcher Mittel zuständig ist. Seinen Namen will er später nicht gedruckt lesen.

Die sieben Erfolgsfaktoren gesunder Ernährung

Denn nicht selten übertreiben diese Anzeigen maßlos. „Neuesten Forschungen zufolge, erhöht ein Mangel langfristig gesehen auch die Wahrscheinlichkeit für chronische Erkrankungen wie Diabetes, Krebs oder Alzheimer“, warnte das niedersächsische Unternehmen Dr. Loges in einer „Gebissträgerzeitung“. Die Wettbewerbszentrale klagte dagegen, das Unternehmen gab eine Unterlassungserklärung ab. Die wissenschaftlichen Aussagen hätten einer Prüfung vor Gericht wohl nicht standgehalten.

Queisser Pharma will sich nun eine weitere Werbequelle erschließen: Ärzte. Das Unternehmen baut ein Team von Außendienstmitarbeitern auf, das gezielt Arztpraxen abklappern und dort über die Produkte aus dem Haus informieren soll. Vor einigen Jahren hat Doppelherz so schon den Weg in die Apotheken gefunden. „Die Empfehlung, auf die der Patient am meisten Wert legt, ist die des Arztes“, ist sich Jan Kuskowski sicher.

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