ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger zieht die Reißleine. Angesichts von nicht enden wollenden Milliardenverlusten im amerikanischen Stahlgeschäft will er einen Schlussstrich unter das teure Debakel ziehen. Rund zwölf Milliarden Euro haben die beiden neuen Stahlwerke in Brasilien und den USA bereits verschlungen und den Essener Stahl-Giganten immer wieder tief in die roten Zahlen gedrückt. Auch langfristig ist kaum Besserung in Sicht. Nun ist die Geduld des ehemaligen Siemens-Managers am Ende: Am Dienstag stellte Hiesinger das noch von seinem Vorgänger Ekkehard Schulz initiierte Projekt des Konzerns auf den Prüfstand und schloss auch einen Verkauf der beiden Stahlwerke nicht aus.
Angetreten war der neue Konzernchef mit dem Ziel, den Technologiebereich des Essener Industriegiganten zu stärken. Doch angesichts eines drückenden Schuldenbergs, der derzeit bereits auf rund 6,5 Milliarden Euro angewachsen ist, fehlt ihm schlicht der finanzielle Spielraum. Weiteren Investitionen in das amerikanische Stahlgeschäft erteilte der Manager nun eine entschiedene Absage. Das Geld werde nun für andere Projekte gebraucht, meinte er.
Keine Spitzenklasse mehr
Damit steht nun auch offiziell fest - der Ausflug nach Übersee ist ein Debakel. Viele Ressourcen hat er gebunden, die an anderer Stelle fehlten. Kritiker bemängeln schon seit langem, dass ThyssenKrupp wegen der gigantischen Ausgaben im Stahlbereich in den anderen Segmenten nicht mehr Spitzenklasse ist.
„Wir haben zwei Großbaustellen. Edelstahl und Steel Americas“, beschrieb Hiesinger die missliche Lage des Konzerns. Für das ebenfalls verlustreiche Edelstahlgeschäft ist eine Lösung bereits in Sicht, nachdem nur noch die Kartellbehörden dem Verkauf an den finnischen Konkurrenten Outokumpu zustimmen müssen. Bei seinen Plänen für die zweite „Großbaustelle“ wollte er sich noch nicht ganz in die Karten schauen lassen.
Pleiten und Pannen
Lediglich eine Schließung der gerade neu errichteten Stahlwerke schloss Hiesinger aus. Auch seien bereits erste Gespräche mit dem brasilianischen Rohstoffkonzern Vale geführt worden, der an dem Stahlwerk in Brasilien beteiligt ist. Einen Zeitplan gebe es nicht. Obwohl sich Hiesinger nicht zu einem möglichen Verkaufserlös äußern wollte, muss sich der Konzern unterm Strich wohl auf Milliardenverluste durch das amerikanische „Stahl-Abenteuer“ einrichten. Für Hiesinger ist nun die Zeit, zu handeln - auch wenn das schmerzhaft und teuer ist. „Unser Ziel darf es aber nicht sein, innerhalb des Konzerns lediglich Verluste zu kompensieren“, sagte er. Der Gesamtkonzern müsse profitabel sein.
Fakten haben sich geändert
Und da sieht Hiesinger kaum noch Chancen in den amerikanischen Stahlwerken. Von Beginn an war vor allem das Brasilien-Werk eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Gebaut in einem Sumpfgebiet explodierten die Baukosten. Um anderer Stelle zu sparen, wurde eine chinesische Firma für den Bau der Kokerei engagiert, statt die konzerneigenen Spezialisten zu beauftragen. Hiesinger vermied allerdings Schuldzuweisungen. Bei der Planung des Projekts sei den Fakten nach richtig entschieden worden. „Die Fakten haben sich aber geändert.“ So hat sich in Brasilien angesichts der dortigen Wirtschaftsaufschwungs die Lage geändert - die Löhne steigen, die brasilianische Währung wertet auf und die Rohstoffe werden teurer.
Zum anderen schwächelte die US-Wirtschaft. Das alles stelle nun infrage, ob die beiden Werke zusammen wirtschaftlich sinnvoll zu führen seien, erklärte Hiesinger. In den neuen Werken wechseln auch häufig die Manager. Nach dem früheren Stahlchef Karl-Ulrich Köhler und Hans Fischer geht nun der für den Stahl zuständige Finanzchef Peter Urban. Der frühere Konzernchef Schulz übernahm ebenfalls bereits Verantwortung und legte Ende 2011 seinen Aufsichtsratsposten nieder.