MINT-Chancen für Frauen „Der Wettbewerb um Chefposten ist härter geworden“

Die meisten Frauen folgen beim Studienfach einem geschlechtsspezifischem Stereotyp und vergeben so Karrierechancen, sagt Telekom-Vorstandsfrau Claudia Nemat. Dabei ist gerade für MINT-Absolventinnen das Potenzial riesig.

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Claudia Nemat zog vor drei Jahren als erste Frau in den Telekom-Vorstand ein. Dort bringt die Naturwissenschaftlerin nicht nur das Europageschäft in Schwung, sondern verhilft auch mehr Frauen in die Chefetagen. Quelle: PR

Bonn Die Voraussetzungen für Frauen, die Karriere machen wollen, waren nie leichter als heute. Frauenquoten, flexible Arbeitszeitmodelle, Vätermonate beim Elterngeld sind nur einige Instrumente, die dabei helfen sollen, mehr Frauen in die Chefetagen zu bringen. Es geht also voran, mitunter in kleinen Schritten, aber immerhin: Frauen klopfen unüberhörbar an den Türen der Aufsichtsratsgremien, Vorstände oder Geschäftsführungen. 

Nach wie vor tun das aber auch die Männer und damit ist klar: Der Wettbewerb um die Chefposten ist härter geworden. Das ist gut so! Dabei könnte der Wettbewerb der besten Köpfe noch breiter ausgetragen werden. Denn es gibt immer noch Berufsfelder mit reichlich blinden Flecken, was den Anteil von Frauen angeht. Das gilt vor allem für technische und naturwissenschaftlich geprägte Tätigkeiten.

Wer in die Hörsäle unserer Hochschulen schaut, dem fällt auf, dass junge Frauen deutlich weniger naturwissenschaftliche Studienfächer belegen als ihre männlichen Kommilitonen. Mit gerade mal gut ein Drittel stagniert der Anteil junger Frauen, die ein  MINT-Studium absolvieren (Anm.: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Besonders bei den Ingenieurwissenschaften sind Frauen mit gut 20 Prozent deutlich unterrepräsentiert. In den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften ist die Absolventenquote mit etwa 40 Prozent nicht ganz so schlecht, obgleich der Anteil weiblicher Erstabsolventen in den letzten Jahren kaum zugenommen hat. Die meisten jungen Frauen folgen bei der Wahl es Studienfaches leider doch einem geschlechtsspezifischem Stereotyp und vergeben dadurch womöglich Karrierechancen.

Nicht nur als Physikerin und Mathematikerin bedaure ich diese Entwicklung sehr. Mehr weibliche Mint-Absolventinnen würde nämlich nicht nur das Potenzial an weiblichen Führungskräften in den Unternehmen erhöhen, sondern auch den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken und zukunftssicher machen.

Der Engpass an qualifizierten Fachkräften mit technisch-naturwissenschaftlichen Hintergrund  ist ein strukturelles Problem, das heute schon als Wachstums- und Innovationsbremse in bestimmten Branchen und Regionen wirkt – mit dem Risiko von hohen Wertschöpfungsverlusten für die deutsche Volkswirtschaft.

Deutsche Schüler belegen im internationalen Vergleich, wenn es um mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen geht, nur einen Mittelfeldplatz. Das ist auf Dauer für den Technologiestandort Deutschland zu wenig. Wir müssen also an unseren Schulen alles dafür tun, um mehr Jungen und Mädchen für die Naturwissenschaften zu begeistern.


Mit Physik an die Macht

Ein wichtiger Schwerpunkt dabei wird sein das Potenzial von jungen Frauen für Mint-Fächer zu mobilisieren. Dafür brauchen wir mehr weibliche Rollenvorbilder. Deshalb werde ich mich hier auch künftig stärker engagieren.

Viele junge Frauen halten technische und naturwissenschaftliche Berufe leider für „uncool“ oder sogar „unweiblich“. Technik ist Männersache – dieses Klischee steckt leider noch allzu häufig in vielen Köpfen. Vor allem in den westlichen Industriestaaten. In Ost- und Südosteuropa ist das anders. Frauen in technischen Studienfächern sind dort viel verbreiteter. Und es wundert nicht, dass in diesen Ländern mehr Frauen in den Chefsesseln sitzen als in Westeuropa. Bespiele aus der Telekom: Während bei unseren kroatischen und albanischen Töchtern immerhin rund 44 beziehungsweise gut 52 Prozent der Führungspositionen von Frauen gehalten werden, sind das in Deutschland  bislang nur 19 Prozent.

Unternehmen, die mehr Frauen in Führungspositionen haben möchte, müssen aber auch ein familienfreundliches Umfeld schaffen. Denn immer noch sind es überwiegend die Frauen, die sich um die Erziehung der Kinder kümmern. Wenn das Meeting dann mal eben abends um neun Uhr angesetzt wird, haben Mütter ein Problem. Flexible Arbeitszeitmodelle und eine Unternehmenskultur, die respektiert, dass immer mehr Menschen, und zwar nicht nur Frauen, Familie und Beruf unter einen Hut bringen möchten, sind deshalb ein Muss, wenn wir auch künftig die Besten aus einem gut gefüllten Talentpool schöpfen wollen. Und an die erfolgreichen Managerinnen von heute appelliere ich: Lebt das vor, fordert Flexibilität ein. Ihr könnt durch euer Beispiel viel bewegen.

Noch einmal zum Talentpool: Die Chance für den Technologiestandort Deutschland, möglichst viele junge Menschen für ein MINT-Studium zu begeistern, muss jetzt genutzt werden. Gut bezahlte Jobs nach dem Studium und gute Karrierechancen – es gibt viele Gründe für junge Frauen sich für ein Mint-Studium zu entscheiden. Mint-Fächer sind außerdem sehr vielseitig und bieten anspruchsvolle berufliche Perspektiven.

Und Rollenvorbilder gibt es inzwischen  auch: Zum Beispiel Google-Chefin Marissa Mayer, ein Informatikerin, die von dem amerikanischen Wirtschaftsmagazin Fortune immerhin zu den weltweit 50 mächtigsten Frauen gezählt wird. Und das Wirtschaftsblatt Forbes sieht gar eine Deutsche auf Platz 1 der Rangliste der mächtigsten Frauen der Welt – gemeint ist Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine promovierte Physikerin.

Über die Autorin: Die Naturwissenschaftlerin Claudia Nemat ist seit Oktober 2011 Mitglied des Vorstands der Deutschen Telekom und verantwortlich für den Geschäftsbereich Europa und Technik. Der Konzern hat sich im Jahr 2010 selber eine Quote für Frauen in Führungspositionen verordnet. Vor ihrem Wechsel zur Deutschen Telekom war sie 17 Jahre in verschiedenen Positionen bei der Unternehmensberatung McKinsey&Company beschäftigt.

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