Kartell Plastikstühle vom Designer

Ex-Versace-Manager Claudio Luti hat aus Kartell eines der großen italienischen Designhäuser gemacht. Sein Erfolgsrezept heißt Internationalisierung. Auch große Namen wie Philippe Starck stehen für den Aufstieg des Mailänder Unternehmens.

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Ein Model präsentiert den Stuhl

NOVIGLIO. Auf dem Rasen stützen die Plastikgartenzwerge des Stardesigners Philippe Starck die kleinen Tischplatten, Pflanzen ranken sich wie Stoff an einem überdimensionalen Plastiksessel vor dem Firmengebäude hinauf. Es ist der Sitz des italienischen Designhauses Kartell wenige Kilometer außerhalb Mailands. Das Unternehmen, das in diesem Jahr sein 60-jähriges Firmenjubiläum feiert, zählt neben Alessi, Brionvega, Danese oder Flos zu den traditionellen italienischen Designunternehmen. Vor allem gilt Kartell aber als Pionierunternehmen der Kunststoffmöbelproduktion. Mit bunten Plastikmöbeln erobert Kartell heute die Welt.

Im Firmengebäude in Noviglio führt Eigentümer und Präsident Claudio Luti seine Gäste von dem konsequent mit Plastikmöbeln eingerichteten Konferenzraum in sein Büro. Stolz zeigt er dort auf eine Liste an der Wand: mehr als 270 Zeilen. Jede Zeile steht für ein Kartell-Shop in der Welt, von Buenos Aires bis Peking. "Die hier, die eröffnen wir noch vor Weihnachten", sagt er und deutet auf rot markierte Felder auf der Liste. Darunter ist seit November auch ein Shop im schicken Stadtteil Schwabing der bayerischen Metropole München. Internationalisierung heißt Lutis Erfolgsrezept.

Die Anfänge waren eher bescheiden: Von Giulio Castelli in Mailand 1949 gegründet, ist Kartell Anfang der 50er-Jahre mit der Produktion von Haushaltswaren bekanntgeworden. Treibende Kraft war der Hausdesigner Gino Colombini, der die bis dato trostlosen und blassen Küchengeräte wie Zitruspressen, Mülleimer oder Vorratsdosen in neuen Farben und Formen servierte. Heute steht Plastik als Werkstoff gleichberechtigt neben Holz, Stahl, Glas und Porzellan.

Doch der Werkstoff hat durchaus seine Tücken: Nach einem Umzug von Mailand nach Noviglio im Jahr 1972 kam es bei Kartell zu einer regelrechten Krise. Denn der Ölpreisschock von 1973 ging auch an dem Unternehmen nicht spurlos vorüber. Das teure Öl als Grundlage der Kunststoffproduktion trieb nicht nur die Preise der Plastikmöbel in die Höhe, sondern brachte dem Kunststoff als Werkstoff ein Imageproblem. Gerade durch die Ökobewegung der 1980er-Jahre gerieten Kunststoffprodukte immer mehr in Bedrängnis und bekamen den Ruf von Wegwerfprodukten.

1988 schied Unternehmenschef Giulio Castelli schließlich aus, und Claudio Luti, der zuvor Berater von Modeschöpfer Gianni Versace war, wurde neuer Eigentümer und Manager. Er setzte auf Stardesigner und Internationalisierung. Aus der Krise führte Kartell vor allem ein Entwurf Philippe Starcks. Mit Starcks Stuhl "Dr. Glob" (1989) gelang dem Unternehmen die Wende und die Rehabilitierung des Kunststoffes im Möbelbereich.

Dass Kartell heute in 98 Ländern mit 120 eigenen Geschäften und weiteren 150 Shop-in-Shops präsent ist, gilt aber vor allem als Verdienst des 63-jährigen Claudio Luti. Machte der Auslandsanteil Anfang der 1990er-Jahre noch zehn bis 20 Prozent am Umsatz aus, ist das heute genau umgekehrt. Kartell erzielt nur noch etwa ein Fünftel des Umsatzes in Italien. An der Grundphilosophie hat sich in den Jahrzehnten dagegen kaum etwas geändert: Innovative, schöne Plastikmöbel industriell produzieren und zu fairen Preisen verkaufen. Für jeden Stuhl oder jede Kommode wird eigens eine Presse angefertigt, die dann fast im Minutentakt die Möbelstücke produziert.

Wie viel er damals für Kartell bezahlt hat, will Luti nicht verraten. Auch wie hoch der Gewinn ist, gibt er nicht preis. "Wir sind sehr profitabel", sagt er und lässt durchblicken, dass die Rendite locker im zweistelligen Bereich liegt. "Wir haben noch nie rote Zahlen geschrieben, und wir haben keinen Euro Schulden", betont Luti.

Dabei kommt der Kartell-Chef nicht aus der Welt der Möbel, sondern aus der der Mode. Gemeinsam mit Gianni Versace baute er Ende der 1970er-Jahre das gleichnamige Modelabel auf. Als Geschäftsführer war er für den Vertrieb und die Finanzen des Modehauses zuständig, bevor er seinen 25-prozentigen Anteil Anfang 1988 verkaufte und drei Monate später von dem Geld Kartell übernahm. "Ich hätte mich auch als reicher Frührentner zur Ruhe setzen können", sagt er heute lachend, "aber dazu hatte ich keine Lust."

Luti holte sich zunächst die größten Namen der Designwelt an Bord. Heute hat Kartell neben Philippe Starck Namen wie Antonio Citterio, Vico Magistretti und Ron Arad im Katalog. Außerdem machte sich Luti seine Erfahrung aus der Modewelt zunutze und eröffnete Geschäfte in den Innenstädten, die ähnlich wie Modeboutiquen funktionieren, da deren Schaufenster immer wieder neu dekoriert werden. Zielgruppe sind die Impulskäufer wie bei der Bekleidung. Kartell hat sogar Plastikschuhe ins Sortiment genommen. Weitere Accessoires folgen.

Eines unterscheidet seine heutige Arbeit allerdings deutlich von der im Modehaus: Während man einen Rock, der keine Kunden findet, ohne allzu große Verluste aus dem Sortiment nehmen kann, geht das bei den Plastikstühlen nicht so einfach. Für die Plastikmöbel muss Kartell eigene Pressen anfertigen lassen, die je nach Modell 200 000 bis 500 000 Euro kosten. "Wir können uns bei der Entscheidung, welches Modell wir in den Katalog nehmen, keine Fehler leisten", sagt Luti. Deshalb arbeitet er schon während der Entwicklung neuer Modelle möglichst eng mit den Designern zusammen, um Flops zu vermeiden.

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