Nach der Scheidung von Chrysler Historisches Dilemma für Daimler

Nach der erfolgreichen Trennung von Chrysler steht Daimler-Chef Dieter Zetsche vor einer Menge ungelöster Probleme im Stammkonzern.

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DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche, AP

Der große deutsche Ökonom Eugen Schmalenbach wusste es genau: „In einigen Fällen haben große Fusionen der letzten Jahre zu einer starken Enttäuschung über die finanziellen Erfolge geführt“, schrieb er in seinem Buch „Finanzierungen“. In einer Fußnote listete er die einschlägigen Beispiele auf. An erster Stelle: Daimler-Benz. Die Erkenntnis stammt aus dem Jahr 1928. Die Fusion von Daimler und Benz ist längst verdaut – die Ehe mit und Scheidung von Chrysler noch nicht. Nachdem Daimler-Chef Dieter Zetsche vergangene Woche den Verkauf der US-Konzerntochter an den amerikanischen Finanzinvestor Cerberus unter Dach und Fach brachte, steht Deutschlands Vorzeigeautobauer vor den wichtigsten Entscheidungen für die kommenden Jahre. „Dr. Z.“, wie Zetsche sich zu seiner Zeit als Chrysler-Chef in Amerika gern nennen ließ, muss eine Reihe existenzieller Probleme lösen, die in den vergangenen Jahren auf die lange Bank geschoben wurden, weil der Kampf um Chrysler zu viel Kraft forderte. Am 4. Oktober wird das schmerzhafte Kapitel mit der Umbenennung von DaimlerChrysler in Daimler AG abgeschlossen, dann rücken die drängenden Themen in den Blickpunkt: Umweltschutz: Wie kann die Mercedes Car Group den Spritverbrauch ihrer Pkws senken, um den künftigen EU-Vorgaben für den Ausstoß von Kohlendioxid gerecht zu werden? Innovation: Wie kann Mercedes künftig die stark steigenden Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Rahmen halten, ohne den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren? Welche Technologien sollte Mercedes künftig im eigenen Haus entwickeln oder gar wieder hereinholen – und welche nach außen geben? Kunden: Wie kann das Unternehmen attraktiver für Jüngere werden? Modelle: Wie lässt sich auch mit kleinen Fahrzeugen eine ordentliche Rendite erzielen? Strategie: Kann Daimler auf Dauer unabhängig bleiben oder muss sich das Unternehmen so wie Porsche mit einem größeren Hersteller zusammentun? Erschöpft, aber zufrieden – so wirkte Zetsche in den vergangenen Wochen. Mit dem Chrysler-Verkauf ist spürbar eine Last von ihm genommen. Doch Zeit zum Verschnaufen hat der 57-Jährige nicht. Er muss aufs Tempo drücken, um nicht den Anschluss an die Konkurrenten Audi und BMW zu verlieren, die sich mit Mercedes um die Krone im teuren, sogenannten Premium-Segment des Automarktes balgen. Gut 200 Kilometer südwestlich von Stuttgart, im bayrischen Gmund am Tegernsee, tagen seit Jahresbeginn regelmäßig die Top-Manager des Rivalen BMW. Dessen Chef Norbert Reithofer redet dort mit Vorstandskollegen über dieselben Fragen, die sich auch Zetsche stellt. Die Lage der beiden Unternehmen gleicht sich auffallend: International sind beide nur mittelgroße Hersteller; beide schlagen sich um betuchte Kunden; beide sind auf sich allein gestellt. Anders ist das bei den Wettbewerbern Audi und Lexus, die mit Volkswagen und Toyota große Autokonzerne im Rücken haben und sich bei Innovationen im großen Konzernbaukasten bedienen können. Mercedes ist für die Aufgaben von morgen gerüstet, weil das Unternehmen die von gestern bewältigt hat. Der Absatz steigt, die Rendite ebenfalls. Zwischenzeitliche Qualitätsprobleme scheinen weitestgehend behoben. Das bestätigt die einschlägige Kundenzufriedenheitsstudie des US-Beratungsunternehmens J.D. Power. Und die Zahlen der Mercedes-Sparte waren im abgelaufenen Halbjahr besser als die von BMW und Audi. Während die operative Umsatzrendite von Audi und BMW bei je 5,8 Prozent lag, schafften die Stuttgarter 8,1 Prozent. Bis 2010 will Zetsche die Zehn-Prozent-Marke knacken. Das ist ein ambitioniertes Ziel, wie er selbst einräumt, vor allem angesichts der Hausaufgaben der kommenden Jahre. BMW hat einiges davon bereits erledigt, hat wichtige Innovationen wie Systeme zur Rückgewinnung von Bremsenergie entwickelt und bereits in die Serienfahrzeuge eingebaut. Doch dafür haben die Bayern einen hohen Preis bezahlt, die Rendite schrumpfte. Wie groß die neuen Herausforderungen für die Schwaben sind, zeigt sich besonders deutlich im direkten Vergleich der Antriebe. Während BMW auf Hochtouren die Umrüstung aller Modelle auf milde Hybridtechnik vorantreibt und die Ottomotoren zusätzlich auf die sparsame Benzindirekteinspritzung der zweiten Generation umstellt, ist in Stuttgart dergleichen noch in weiter Ferne. Die Konsequenz zeigt sich im Kraftstoffverbrauch: Während BMW für den 272 PS starken 530 i der neuesten Generation einen Verbrauch von 7,5 Litern Super auf 100 Kilometer angibt, genehmigt sich der gleich starke Mercedes E 350 gut zwei Liter mehr. Ein Unterschied von mehr als 20 Prozent – für ein modernes Fahrzeug sind das Welten. Auch beim Diesel ist Zetsche gehörig unter Druck. Bisher schien es, als habe sich Mercedes gut gegen Audi und BMW behaupten können. Die Abgasreinigung mittels Harnstoffeinspritzung, Bluetec genannt, haben die Stuttgarter bereits so weit entwickelt, dass sie die künftige Abgasnorm Euro 5 schaffen werden. In den USA ist es Mercedes gelungen, Bluetec als Markenzeichen für sauberen Diesel zu etablieren. Die Scheu der Amerikaner vor der einst als schmutzig geltenden Technik scheint allmählich nachzulassen. Im ersten Halbjahr war bereits jedes fünfte in den USA verkaufte Modell des Geländewagens M-Klasse mit einem Selbstzünder bestückt. Wie eine Ohrfeige muss es Zetsche da in der vergangenen Woche vorgekommen sein, als sich der Bluetec-Kooperationspartner Volkswagen, der die sauberen Diesel gemeinsam mit Daimler bekanntmachen wollte, Hals über Kopf aus der Allianz zurückzog. Jetzt wollen die Wolfsburger und ihre Ingolstädter Tochter Audi unter dem Label TDI ihr eigenes Ding machen und von Mercedes nichts mehr wissen. Schon wirbt Audi auf seiner Web-Site für seine Modelle als die „saubersten Diesel der Welt“ mit „Ultra Low Emission System“. Nun ist es nicht so, dass die stolzen Ingenieure in Stuttgart keine Antwort auf solche Herausforderungen hätten. Diesotto nennt sich zum Beispiel der neueste Motoren-Coup von Daimler. Er soll die Vorteile von Diesel- und Ottomotoren verbinden und effizient und sauber wie kein Zweiter sein. Die Technologie jedoch, sagen Experten, ist ungeheuer aufwendig – ein beinahe schon historisches Dilemma der schwäbischen Tüftler. Teuer und noch lange nicht serienreif sind viele der Ideen aus Stuttgart. Wann Diesotto auf die Straße kommt, lässt man bei Mercedes offen, aber voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahrzehnt. „Es ist fast schon eine Tradition beim Daimler: Wenn man keine Lösung für das aktuelle Problem hat, sucht man schon einmal die Lösung für das übernächste“, spottet ein Konzerninsider.

Die Stuttgarter Zögerlichkeit beim Verringern des Kohlendioxidausstoßes verwundert Branchenkenner. „Es ist vollkommen schleierhaft, weshalb Mercedes nicht viel stärker auf die Umweltkarte gesetzt hat“, sagt ein Partner einer Unternehmensberatung. „Die Marke hat sich früh einen tollen Ruf für sichere Fahrzeuge erarbeitet – die Gelegenheit hätte man auch bei Umweltthemen gehabt.“ Stattdessen muss Entwicklungsvorstand Thomas Weber nun die Lücke zur Konkurrenz schließen. Das kostet nicht nur zusätzliches Geld für Forschung und Entwicklung. Es erhöht auch die Kosten pro Fahrzeug und drückt damit auf die Rendite, weil sich vor allem bei kleineren und preiswerteren Fahrzeugen wie A- und B-Klasse nicht alles mit dem Verkaufspreis auf die Kunden abwälzen lässt. Vor einem möglichen Strategiewechsel steht Daimler in der Frage, was künftig typisch Mercedes sein soll und welche Teile von Zulieferern gekauft werden. Wie sein BMW-Kollege Reithofer muss auch Zetsche beantworten, was künftig die Kernkompetenzen des Unternehmens sein sollen und welche Entwicklungsbereiche ausgebaut werden sollten. Dass das Thema Umwelt dabei eine große Rolle spielen wird, scheint bereits sicher. So erwägt das Unternehmen, in der Turbo-Aufladung von Motoren mehr eigenes Know-how aufzubauen und die auch für sparsamere Antriebe nützliche Technik weiterzuentwickeln. Auch bei Hybridantrieben, der Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotoren, schließt Chefentwickler Weber nicht aus, dass der Hersteller gezielt eigene Kompetenzen aufbaut. Weber: „In die Chemie der Batteriezellen gehen wir sicherlich nicht selber hinein, alles andere schauen wir uns genau an.“ Auch das wird es nicht umsonst geben. Und so stellt sich immer schärfer die Frage, mit wem Daimler künftig zusammenarbeiten könnte, um die Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht ausufern zu lassen. Mercedes gab dafür im vergangenen Jahr rund 2,2 Milliarden Euro aus, BMW mehr als 2,5 Milliarden. Wohin die Schwaben steuern müssen, zeigt der Anteil der Entwicklungsausgaben. Während BMW im vergangenen Jahr 5,2 Prozent des Umsatzes in die Forschung steckte, waren es bei Mercedes nur 3,9 Prozent. „Man kann spekulieren, ob BMW nicht zu viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgibt“, sagt Marc René Tonn, Autoanalyst bei M.M. Warburg, „aber Mercedes wird seine Ausgaben definitiv erhöhen müssen.“ In den vergangenen Monaten sollen die Stuttgarter nach Brancheninformationen bereits verstärkten Kontakt mit dem unmittelbaren Konkurrenten aus München gehabt haben, um mögliche Formen der Zusammenarbeit zu diskutieren. Schon jetzt kooperieren BMW und Daimler bei Hybridantrieben. Weiteres könnte folgen, wie in Stuttgart und München bestätigt wird, etwa bei Dieselmotoren. „Von der Kompetenz, die Mercedes beim Thema Bluetec hat, kann sicherlich auch BMW profitieren“, sagt Norbert Wittemann, Autoexperte bei der Unternehmensberatung PRTM. Ein grünes Image könnte Mercedes auch helfen, wieder stärker ins Bewusstsein junger Käufer zu rücken. Dort ist die Marke vergleichsweise schwach repräsentiert. In Deutschland war 2006 der durchschnittliche Mercedes-Kunde fast 55 Jahre alt, die Käufer von BMW-Modellen 51 Jahre und Audi-Kunden 50 Jahre. Das wirkt auf den ersten Blick nicht schlimm, weil die Gesamtbevölkerung altert und reifere Käufer meist solventer sind. Problematisch kann es allerdings werden, wenn die Kunden von morgen die Marke chronisch unsexy finden und diese Haltung bis ins Alter beibehalten. Das Problem betrifft Mercedes nach Einschätzung von Christoph Stürmer, Analyst beim Beratungsunternehmen Global Insight, vor allem in Nordamerika: „In den USA ist die Marke bei der jüngsten Käufergeneration noch nicht cool.“ Drastischer drückt es PRTM-Berater Wittemann aus: „Mercedes muss aufpassen, dass ihnen aufgrund der Altersstruktur die Kunden nicht wegsterben.“ Zetsche will potenzielle Kunden deshalb mit neuen Modellen früher an die Marke heranführen. Denn der Versuch, mit der kleinen A- und B-Klasse die junge Klientel anzusprechen, ist missglückt. Künftig soll es deshalb am unteren Ende der Modellpalette ein sportlicheres Einstiegsmodell geben, das dem Audi A 3 und BMW 1er Paroli bietet. Zudem soll ein kleines und halbwegs erschwingliches Sportcoupé das betagte C-Klasse-Coupé ablösen.

Mit den neuen Modellen muss Zetsche auch mehr Profitabilität erreichen, denn die bisherige A- und B-Klasse sind zu teuer in der Produktion. Die nächste Generation soll deshalb nicht nur auf einer einfacheren Plattform stehen, sie soll sich möglicherweise auch Teile der Technik und Komponenten mit einem Konkurrenzmodell teilen. Derzeit sondiert Daimler mögliche Partner für eine Allianz – dazu soll auch die BMW-Tochtermarke Mini gehören. Auch für die Produktion der anderen Modelle hat sich Zetsche einiges vorgenommen. Bei der Produktivität rangieren die Daimler-Werke nach Einschätzung von Branchenexperten bisher nur im internationalen Mittelfeld. Die Stuttgarter wollen auf diesem Feld in den kommenden Jahren um 20 Prozent zulegen. Bis wann genau, darüber schweigt sich der Konzern aus. „Im Vergleich zu Toyota und BMW muss Mercedes bei der Effizienz und vor allem Flexibilität der Werke aufholen“, sagt PRTM-Berater Wittemann. Leicht dürfte das nach seiner Einschätzung nicht werden: „So etwas braucht Zeit und es ist schwierig, Strukturen zu ändern. Auch, weil die Werkleiter sehr mächtig waren.“ Ein Problem immerhin lässt sich leicht lösen: das der übervollen Kasse. 13 Milliarden Euro liegen an liquiden Mitteln bereit. Die Daimler-Spitze will sich bis Anfang 2008 Zeit lassen, was damit geschehen soll. Falls Zetsche keine Möglichkeit für ein sinnvolles Investment findet, wird der Großteil des Geldes wohl an die Aktionäre ausgeschüttet. Danach wäre es auch für Hedgefonds und Private-Equity-Investoren weniger attraktiv, im großen Stil Daimler-Aktien zu kaufen. Mit der Suche nach einem neuen Übernahmeziel, um nicht selbst zu einem zu werden, kann sich Zetsche also noch Zeit lassen.

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