"Niesen des Geistes" Lachen Sie!

Die Augenbrauen heben sich, die Nasenlöcher werden weit, der Jochbeinmuskel zieht die Mundwinkel nach oben, die Augen verengen sich zu Sehschlitzen. Der Atem geht schneller und versetzt die Stimmbänder in Schwingungen, der Mund öffnet und das Zwerchfell dehnt und kontrahiert sich rhythmisch bis zur Schmerzgrenze: Ein Mensch lacht.

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Die Physiologie ist Wissenschaft. Alles, was darüber hinausgeht, ist Spekulation. "Für das Lachen gibt es bis jetzt", so ein modernes Lehrbuch der Physiologie, "keine befriedigende Erklärung." Weder für das erfrischende oder ausgelassene Lachen, das gutmütige oder herzliche, das bittere oder traurige, das grausame oder hämische, das schadenfrohe oder verächtliche, das verstohlene oder schmutzige, das verkrampfte oder krankhafte. Ist das Lachen ein angeborener Reflex des vegetativen Nervensystems, das späte Relikt einer archaischen Drohgebärde? Oder einfach ein Sicherheitsventil, wie der britische Evolutionsphilosoph Herbert Spencer in seiner "Psychologie des Lachens" vermutet, das überschüssige Körperenergie freisetzt. Momentaner Tollheitsanfall Oder ist Lachen ein selbstvergessener Ausnahmezustand, ein Blitzwahn, gleichsam ein "momentaner Anfall von Tollheit", wie der italienische Dichter Giacomo Leopardi es nannte? Am Ende könnte das Lachen gar eine Schutzreaktion des Körpers gegen übermäßige Vergeistigung, Rationalismus und Abstraktion sein – sozusagen ein befreiendes Niesen des Geistes und eine "Entwaffnung der Person durch den Körper", wie es der Kultursoziologe Helmuth Plessner in einer Untersuchung über "Lachen und Weinen" ausdrückte. Doch dann spricht wiederum auch vieles für die These, dass das Lachen ein erlerntes soziales Verhaltensmuster ist. Es ist ja kein Zufall, dass es sich in menschlicher Gesellschaft am besten lacht. Sitcom-Produzenten machen sich die ansteckende Wirkung des Lachens zu Nutze, indem sie vorproduzierte Lachsalven (Branchenjargon: canned laughter) in ihre Sendungen einblenden, um das Fernsehpublikum leichter zum Lachen zu bringen. Wir kennen also die Tricks, mit denen man das Lachen provoziert, aber wir wissen nicht genau, was es ist. Lachen und Humor zählen – wie auch die Liebe – zu jenen eigentümlichen Forschungsgebieten, bei denen sich die Praxis als die höchste Form der Theorie erweist und wo der Beweis für das Wissen im Tun liegt. Plato misstraute dem Lachen In einem berühmt gewordenen Essay über das Lachen aus dem Jahr 1899 verglich der französische Philosoph Henri Bergson dieses im wahren Wortsinn unbegreifliche Phänomen, das sich "jeder begrifflichen Erkenntnis entzieht", mit der "Schaumkrone auf einer Meereswoge". Der Lachtheoretiker steht dem Lachen ähnlich hilflos gegenüber wie das Kind der Brandung. Es versucht, den Wellenschaum mit der Hand abzuschöpfen und muss enttäuscht feststellen, dass ihm statt des luftigen Schaums nur salziges Wasser durch die Hand rinnt. Kein Wunder, dass vielen Philosophen bei der Reflexion übers Lachen der Humor abhanden kam. Plato, der Patriarch der abendländischen Philosophie, misstraute dem Lachen grundsätzlich, weil er es als Quell menschlicher Enthemmung sah. Sein Schüler Aristoteles behauptete, dass der Mensch vor allem über das Hässliche lacht. Von ihm stammt auch das bis heute unbewiesene und vom Evolutionstheoretiker Charles Darwin entschieden bestrittene Postulat, dass der Mensch das einzige lachende Lebewesen sei.

Jesus lachte nie Auch den leise lächelnden Stoikern von Epikur bis Seneca war das lauthalse Lachen unheimlich. Humorige Philosophen wie der "lachende Philosoph" Demokrit oder der philosophierende Possenreißer Diogenes waren in der Antike die Ausnahme. Und nicht nur da. In der Spätantike und im Mittelalter wurden Kirchenväter und Scholastiker nicht müde, vor der Sündhaftigkeit des Lachens zu warnen. So verdammte der heilige Johannes Chrysostomus das Lachen mit der Begründung, Jesus Christus habe schließlich auch nie gelacht – ganz so als habe er den dreieinhalb Jahrhunderte vor ihm geborenen Heiland höchstpersönlich kontrolliert. Auch der Heilige Benedikt verbot den Mönchen in seiner Regel ausdrücklich, laut zu lachen und drohte rückfälligen Lachsündern die Prügelstrafe an. Andererseits berichtet die mittelalterliche "Legenda Aurea" wiederholt von Märtyrern, die einen ausgeprägten Sinn für Humor hatten und mit wahrer Todesverachtung lachten. So soll der heilige Laurentius, den der römische Kaiser Decius bei lebendigem Leibe auf dem Kohlengrill rösten ließ, seinen Peinigern lachend zugerufen haben: "Dreht mich jetzt mal auf die andere Seite, da bin ich noch nicht ganz durchgebraten." Zum Lachen gehört auch das Auslachen Ausgerechnet von einem zutiefst frommen und asketischen Philosophen stammt die eingängigste Erklärung des Lachens. Der französische Mystiker-Mathematiker Blaise Pascal (er betete täglich, Krankheit möge ihn unfähig machen, die Welt zu genießen) erkannte, dass das Lachen in aller Regel von einer unerwarteten logischen Unstimmigkeit ausgelöst wird – eben jener kleinen Inkongruenz, die beim Witz die Pointe ausmacht und den Spaßmachern die besten Lachsalven beschert. "Nichts produziert mehr Gelächter", so Pascal, "als eine überraschende Disproportion zwischen dem, was man eigentlich erwartet hatte, und dem, was man wirklich wahrnimmt." Natürlich spielt bei den sozialen Komponenten des Lachens auch das Auslachen eine Rolle. So behauptete der Engländer Thomas Hobbes, das Lachen resultiere aus der Erkenntnis eigener Überlegenheit im Vergleich zu fremder Schwäche. Schon Griechen und Römer fanden die körperlichen und geistigen Gebrechen ihrer Mitmenschen urkomisch und kugelten sich angesichts von Krüppeln oder Geisteskranken vor Lachen. Könige und Fürsten beschäftigten vorzugsweise Zwerge und Bucklige als Spaßmacher. Der letzte deutsche Hofnarr versah noch im Jahr 1774 sein Amt am kurfürstlichen Hof zu Mannheim. Lachen hängt vom Lebensumfeld ab Hämisches Verlachen des Gegners (heute würde man es wohl Teamlachen nennen) war auf den antiken Schlachtfeldern gang und gäbe. Der schreibende Feldherr und Sokrates-Schüler Xenophon berichtete in seiner "Anabasis" davon. Nachdem griechische Kämpfer in einer Schlacht das feindliche Barbarenheer in die Flucht geschlagen hatten, seien sie in ein unbändiges und nicht enden wollendes Lachen ausgebrochen. Die neuzeitliche Variante dieses Siegerlachens ist durch eine historische Filmaufnahme belegt: Adolf Hitlers Lachanfall beim Erhalt des französischen Waffenstillstandsersuchens im Juni 1940. Lachen ist stark vom Lebensumfeld geprägt. Was lustig ist und worüber man lacht, ist keineswegs überall gleich. Zwischen Orient und Abendland etwa besteht ein ausgeprägtes Lachgefälle, wie der Humorforscher Goh Abe von der Tokushima Bunri University in Japan am Beispiel eines beliebten japanischen Witzes dokumentiert. "Was tut ein rohes Ei im heißen Regen? Es verbrennt sich." Über diesen Witz, den Abendländer kaum verstehen, geschweige denn lustig finden, können Japaner einen ganzen Abend lang Tränen lachen. Ein anderer Humorforscher beobachtete Besucher in chinesischen Zoos, die den Krokodilen mitgebrachte Küken ins Gehege werfen und sich köstlich über das amüsierten, was in der Folge passierte.

Gesundes "Todlachen" Ganz anders der aus einem Gemisch von Exzentrik und Melancholie entspringende englische Humor. Er scheint universell anzukommen. Das dürfte nicht zuletzt auch an seiner starken Nonsens-Komponente liegen – wie etwa in jenem Monty-Python-Sketch über einen Witz zum Todlachen, mit dem die britische Generalität im Zweiten Weltkrieg die deutschen Truppen außer Gefecht setzen wollte. Obwohl die besten Witze "zum Todlachen" sind, ist lachen sehr gesund. Die Gelotologie (von griechisch: gelos = Lachen), also die Wissenschaft vom Lachen, dürfte derzeit zu den am schnellsten wachsenden interdisziplinären Forschungsfeldern gehören. Sie reicht von medizinischen Spezialgebieten wie der Immunologie über die Psychiatrie, die Psychologie, die Sozialpädagogik bis hin zur Arbeitsorganisation und der Managementtechnik. Lachen ist danach nicht nur gesund, sondern fördert auch berufliches Fortkommen und steigert den (unternehmerischen) Gewinn. Nicht nur, weil bessere Gesundheit zu weniger Arbeitsausfällen und so zu mehr persönlichem Erfolg und höherer Produktivität führt. Lachen fördert vor allem auch die Kreativität. Quatsch machen dürfen So schreibt etwa der Harvard-Psychologe Daniel Goleman in seinem Bestseller "Emotionale Intelligenz", dass das Lachen, wie auch die Begeisterung, helfen kann, weitsichtiger und komplexer zu denken, freier zu assoziieren und gedankliche Beziehungsgeflechte zu entdecken, die sonst verborgen bleiben würden. Das Lachen, so der Autor, trage im Arbeitsalltag nicht nur entscheidend zur Konfliktlösung bei und fördere auch auf diese Weise die Produktivität; es erhöhe auch die geistige Flexibilität, indem es eine "neue Denkdimension" schafft. Somit sei das Lachen nicht nur im kreativen Bereich, sondern auch bei der Folgenabschätzung wichtiger Entscheidungen eine wichtige Hilfe. Linus Torvalds, Begründer der Linux-Software, sieht in Spaß und Lachen unerlässliche Voraussetzungen für gutes Programmieren. "Die Leute müssen Quatsch machen dürfen", so Torvalds. Beim Bewerbungsgespräch Humor beweisen Kein Wunder, dass immer mehr Unternehmen diese Zusammenhänge gezielt nutzen. Die US-Fluggesellschaft Southwest Airlines etwa, eines der erfolgreichsten Unternehmen in der amerikanischen Luftfahrtgeschichte, erkannte die subtilen Querverbindungen zwischen Humor, Kreativität und Produktivität früher als viele andere und setzt sie besonders systematisch für sich ein. Wer sich um einen Job bei Southwest Airlines bewirbt, wird schon im Bewerbungsgespräch nach seinem Sinn für Humor befragt und muss darlegen, wie er ihn in der Arbeitsumgebung einzusetzen gedenkt. Wem dazu nichts einfällt, der braucht sich keine Hoffnungen auf einen Arbeitsvertrag zu machen. Die Airline räumt dem Humor ihrer Mitarbeiter mehr Bedeutung ein als luxuriösen Ausstattungsdetails an Bord. Der Erfolg ist nachweisbar: Seit 30 Jahren fliegt die Gesellschaft ununterbrochen Gewinne ein und hatte noch nie eine betriebsbedingte Kündigung. Da sage noch einer, Lachen sei nicht gesund. In jeder Hinsicht.

Hohe Kosten wären durch Lachen vermeidbar Nach einer Studie der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, leidet fast jeder dritte Beschäftigte in Europa unter arbeitsbedingtem Stress. Zwischen 50 und 60 Prozent der Krankmeldungen stehen danach in Zusammenhang mit Stress am Arbeitsplatz. Die Folgekosten werden auf 265 Milliarden Euro in der EU geschätzt. Ein großer Teil davon wäre wohl vermeidbar durch Lachen. Auf internationalen Fachkongressen (den nächsten veranstaltet die Gesellschaft zur Förderung von Humor in Therapie, Pflege, Pädagogik und Beratungen unter dem Motto "Heilsames Lachen – Humor und Gesundheit" anlässlich des Welt-Lachtages am 4. Mai in Stuttgart) debattieren Gelotologen denn auch ganz ernsthaft über Themen wie "Lachen, Humor, Gehirn als neurologische Korrelate", "Humor und Hirnläsionen", "Lachen als Hilfe für Behinderte und Kranke", "Die Heilkraft des Yogalachens" oder "Der Clown als Heiler". Clowns im weißen Kittel und Arztvisite mit der Pappnase? In australischen und amerikanischen Kliniken sind Clownärzte, Humorberater und Gelächterzimmer keine Seltenheit mehr. In etlichen australischen Kliniken sind sogar schon Spaßmacher auf der Intensivstation unterwegs. Systematische Lachübungen Auch 18 schweizerische Kinderspitäler setzen Clownärzte ein. Und bei den Gelotologen-Kongressen finden Workshops, in denen man sich zum Klinikclown ausbilden lassen kann, derzeit gerade bei deutschen Medizinern regen Zuspruch. Schon beginnen manche Gesundheitspolitiker darüber nachzudenken, ob vorbeugendes Lachen nicht dabei helfen kann, unser finanziell marodes Gesundheitssystem zu sanieren. Vielleicht durch Lachclubs? Wie die des Inders Madan Kataria? Der Kardiologe aus Mumbai hat sich auf die Fahnen geschrieben, das Lachen zu einer dem Jogging vergleichbaren Massenbewegung von globalen Ausmaßen zu machen. Dazu hat er systematische Lachübungen auf der Basis weiterentwickelter Yogaatemübungen entwickelt. Allein in der Stadt Bangalore, dem Zentrum der indischen High-Tech-Industrie, sind derzeit 90 Lachclubs registriert. Inzwischen hat Kataria, der sich als "lachender Guru" vermarktet, weltweit schon 1300 Lachclubs gegründet. Kürzlich wurde der erste Lachclub in Budapest eröffnet, nächste Woche ist Teheran dran. Witzeln unter Artilleriebeschuss Wenn Lachen erwiesenermaßen gesund ist, dann ist es nur logisch, dass in ungesunden Zeiten, in denen es eigentlich nichts zu lachen gibt, erst recht gelacht wird. Tatsächlich untermalt das Lachen immer wieder kontrapunktisch das Trauerlied von Tyranneien und Diktaturen, Wirtschaftskrisen und Kriegen. Sogar noch unter mörderischem russischem Artilleriebeschuss witzelten die Berliner im April 1945, wann der Krieg wohl zu Ende sei ("Wenn man mit der Straßenbahn von der Ostfront zur Westfront fahren kann"). Noch nie delektierten sich die Deutschen so an Kanzlerwitzen, Schröder-Imitationen, Gerd-Shows und Steuersongs wie in diesen Tagen, in denen es angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Rezession, von außenpolitischem Dilettantismus und allgemeiner Reformunfähigkeit eigentlich nichts zu lachen gibt.

Dienst ist Dienst - auch beim Karneval Einzig bei Karnevalisten der strengen Observanz scheint es mit der ungezwungenen Lachtherapie immer noch nicht ganz zu klappen, wie sich kürzlich in einer Kleinstadt im Rheinland zeigte. Bei einer Büttenrede des örtlichen Karnevalspräsidenten meinten einige fundamentalistische Narren im Saal, eine alkoholschwere Zunge herauszuhören. Skandal! Denn Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps – auch wenn Ersterer an einem von Letzterem bis zur Affektinkontinenz eingenebelten Publikum zu verrichten ist. Trunkenheit in der Bütt – das ist noch schändlicher als Alkohol am Steuer. Prompt fand sich das Ärgernis in der Zeitung wieder. Tags darauf ward freilich alles aufgeklärt: Der Obernarr hatte nicht pflicht-, sondern gesundheitsvergessen gehandelt. Um den humoristischen Abend heil zu überstehen, hatte der herzkranke Karnevalist sich vorsorglich ein paar Betablocker eingeworfen – mit den entsprechenden Nebenwirkungen bis hin zum Lallen. Der zu Unrecht Geziehene reagierte auf das einer gewissen Komik nicht entbehrende öffentliche Missverständnis situationskonform, das heißt bierernst. Er schmiss die Narrenkappe hin. Eigentlich könnte er nun einen Lachclub gründen. Eine Geschichte aus der Wirtschaftswoche Nr. 10/03

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