Nivea Beiersdorf liftet seine Kultmarke

Nagellack und Lippenstift sind zu viel: Längst steht die Weltmarke Nivea nicht nur für Hautcreme, sondern auch für Deos, Shampoos und ähnliches. Die Marke droht zu verwässern. Darum plant Nivea-Hersteller Beiersdorf einen radikalen Einschnitt.

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Nivea

Beiersdorf-Chef Thomas-B. Quaas konnte auf der Hauptversammlung im Hamburger Congress Centrum den rund 1000 anwesenden Beiersdorf-Aktionären keine frohe Botschaft verkünden. Während die Wirtschaftsforschungsinstitute der Reihe nach ihre Wachstumsprognosen anheben, viele Unternehmen wieder Rekordergebnisse einfahren und die Erwartungen nach oben schrauben, musste der Chef des Hamburger Nivea-Herstellers ein mageres Jahr ausrufen. Und das ausgerechnet zum Jubelfest: Nivea wird Mitte Mai 100 Jahre alt.

Im Interview mit der WirtschaftsWoche gibt Quaas Einblick in seine Befindlichkeiten. Konsequente Entscheidungen seien getroffen worden und diese sollen konsequent umgesetzt werden. „Die Fokussierung auf die Hautpflege wird uns langfristig nachhaltiges, globales Wachstum sichern.“ Die Aktionäre soll die stabile Dividende für 2010 bei Laune halten: Sie ist ein Signal dafür, dass die Einschnitte bei Beiersdorf das Fundament des Unternehmens nicht erschüttern können.

Es wird nicht leicht

Einschnitte, das heißt: Quaas zieht die Notbremse und richtet vor allem die Marke Nivea neu aus. Ganze Nivea-Produktlinien wie Make-up werden aufgegeben, das Sortiment wird ausgedünnt, Marken mit geringer, internationaler Expansionskraft wie das Hautpflege-Label Juvena und die Haarpflegeserie Marlies Möller wurden bereits verkauft, fünf von sechs Positionen im Vorstand neu besetzt. Zwar wuchs Beiersdorf 2010 mit seinen 19 000 Mitarbeitern insgesamt um drei Prozent auf 6,2 Milliarden Euro Umsatz. Doch der Bereich Consumer, der zu 75 Prozent mit Nivea-Produkten bestückt ist, hinkte mit knapp zwei Prozent hinterher.

Leicht wird der neue Kurs nicht. Der Schwenk drückt auf Umsatz, Gewinn und Margen. Im neu besetzten Vorstand fehlt es an Erfahrung und auch wenn die demografische Entwicklung, also eine immer älter werdende Bevölkerung, einer Hautpflegemarke sicherlich in die Karten spielt: Nivea braucht jüngere Käufer. In vielen Gesprächen gewährten Beiersdorf-Chef Quaas, Produktmanager, Marktforscher und Wissenschaftler der WirtschaftsWoche Einblicke in ihre Arbeit. Sie zeigen die feinen Schnitte, mit der die Markenikone vorsichtig geliftet wird.

"Focus on Skin Care"

Jahrzehntelang waren aus Hamburg nur expansive Töne zu hören. Aus der simplen Nivea-Creme sollte ein Schönheitssortiment entstehen, das jede und jeden anzusprechen versuchte. Doch der Ausbau der Marke in der blauen Blechdose über Sonnenmilch und Aftershave, Deoroller und Haargel uferte aus. Hinzu kam der Einstieg in die dekorative Kosmetik, also das glamouröse, bunte Geschäft mit Eyeliner, Lippenstift, Lidschatten und Nagellack. Eine Markendehnung, die grandios scheiterte: Nivea, die Weltmarke, die nach eigenen Angaben mehr als 160 Nummer-eins-Positionen bei einzelnen Produktgruppen in einzelnen Ländern für sich reklamiert, schaffte es im deutschen Make-up-Geschäft nur auf Platz sechs.

„Focus on Skin Care. Closer to Markets“ heißt der Slogan, der die Zukunft sichern soll – also alle Kraft auf die Hautpflege und näher ran an Märkte und Verbraucher. „Diese Refokussierung von Nivea zurück auf Pflege ist der richtige Schritt, um das Markenprofil wieder zu schärfen“, sagt der renommierte österreichische Markenberater Michael Brandtner.

Grafik Nivea

Wilton im US-Staat Connecticut. Ausgerechnet in dem verschlafenen 17 000--Einwohner-Städtchen im Nordosten der Vereinigten Staaten, umgeben von Wäldern und Golfplätzen, wurde die Blaupause für die neue Konzernstrategie  erprobt. Im gut eine Autostunde von New York entfernten Wilton sitzt Beiersdorf Inc., die US-Tochter mit 250 Mitarbeitern.

Für den US-Markt hatte Beiersdorf schon 2005 das Management ausgewechselt, kleinere Marken verkauft, sogar die Gesichtspflegemarke Nivea Visage, obwohl weltweit eine der Kernkategorien, eingestellt. Die freigewordenen Kapazitäten wurden in die Stärkung der Körper- und Männerpflegemarken gesteckt.

Nicolas Maurer, ein Franzose aus Blois, der heute von Hamburg aus die Hautpflegesparte von Nivea verantwortet, war von 2005 bis 2010 als Marketingdirektor an den Veränderungen in den USA beteiligt. „Wir haben uns von Produkten und Marken getrennt, bei denen wir kurz- bis mittelfristig voraussichtlich keine Führungspositionen hätten erreichen können“, sagt der 40-Jährige, der seit 15 Jahren in Beiersdorf-Diensten ist.

Der umgekrempelte Vorstand

Seit dem Beginn des Ausmistens vor sechs Jahren wächst das Geschäft in den USA, trotz Finanzkrise und verringertem Angebot. Die Produkte, die Nivea in den Mittelpunkt rückte, legten im Durchschnitt um 13 Prozent pro Jahr zu. 2010 stieg der Umsatz im US-Markt von 297 auf 364 Millionen Euro, ein Plus von 14 Prozent. „Wir sind die am schnellsten wachsende Hautpflegemarke in den USA“, sagt Maurer, und der US-Markt sei damit die Blaupause für das globale Consumer-Geschäft von Beiersdorf.

Beiersdorf-Hauptquartier in Hamburg-Eimsbüttel. Im fünften Stock, am Ende eines langen Flurs mit weißgetünchten Wänden, ist das Büro von Beiersdorf-Chef Quaas. Der 59-Jährige will Nivea zurück zu den Wurzeln führen. Nur: Kaum jemand seiner Vorstandskollegen kennt sie. Drei Vorstände sind erst zwischen einem Jahr und wenigen Wochen an Bord.

Chefetage umgekrempelt

 Quaas, der letzte altgediente Beiersdorf-Kämpe, hat im Laufe der vergangenen zwölf Monate die Chefetage umgekrempelt und die Zuständigkeiten verändert: weg von der reinen Funktionalität, hin zu mehr Regionalität, eben: „closer to the markets“. Es ist auch eine Reaktion auf das schleppende Geschäft in China. Dort schreibt Beiersdorf auch vier Jahre nach der Übernahme des chinesischen Haarpflegespezialisten C-Bons rote Zahlen und musste den Firmenwert in der Bilanz verringern.

Künftig sind drei Vorstände direkt für die Ergebnisse in ihren Regionen verantwortlich: James Wei, ein 53-jähriger Taiwaner, der fast 20 Jahre für Procter & Gamble arbeitete und 2009 vom Kosmetikkonzern Avon zu Beiersdorf wechselte, ist als Asien-Vorstand für das Problemkind China zuständig. Der 45-jährige, ehemalige Johnson & Johnson-Deutschland-Chef Peter Feld kümmert sich um Europa und Nordamerika. Darüber hinaus ernannte Beiersdorf mit Ümit Subasi erstmals einen eigenen Vorstand für Wachstumsmärkte wie Osteuropa und Lateinamerika. Der 43-jährige Türke kam im März vom Konsumgüterkonzern SC Johnson. Oberster Markenstratege ist Markus Pinger, der neben der Verantwortung für die Marke auch Herr über Lieferketten sowie Forschungs- und Entwicklungslabors ist – Unternehmenseinheiten, die früher getrennt voneinander gesteuert wurden.

Mitten in einem Wohngebiet, in der Nähe der Hamburger Beiersdorf-Zentrale, arbeitet Horst Wenck im Forschungszentrum. Der 52-Jährige ist seit fast 25 Jahren dabei, seit der Jahrtausendwende leitet er die Forschung. 450 Mitarbeiter beschäftigen sich in Hamburg mit molekular-biologischer Forschung, untersuchen, wie sich in den Collagen- und Lipid-Haushalt der Haut eingreifen lässt, oder betreiben Genanalysen, um den Ursachen der Hautalterung auf die Spur zu kommen.

Auch die Wirkung von pflanzlichen Inhaltsstoffen erforscht Wencks Team schon seit Mitte der Neunzigerjahre. „Und da flatterte, so um 2002 herum, ein Brief von Bauer Horn auf den Schreibtisch einer unserer Forscher“, erzählt Wenck. „Darin stand in Kurzfassung: Ich züchte Kletten mit einem besonderen Wirkstoff. Haben Sie Interesse?“ Als Anhang folgten einige Seiten mit wissenschaftlichen Details und Untersuchungsergebnissen zu den Wirkungen der Klettenfrucht, einer heimischen Pflanze die besonders viel Arctiin enthalten sollte, einen Anti-Age-Wirkstoff.

Trend zur Naturkosmetik verschlafen

Auch wenn das zunächst nach der spinnerten Idee eines Ökofreaks klang, Wenck reagierte auf das Schreiben von Gert Horn, einem Landwirt aus Zappendorf in Sachsen-Anhalt, und lud ihn nach Hamburg ein. Sechs Jahre forschten Beiersdorf und Horn gemeinsam. Und dann schaffte es der Wirkstoff der Klette in die neue Anti-Falten-Tages- und -Nachtcreme von Nivea Visage Pure & Natural, die seit Januar 2011 auf dem Markt ist. Ein Millionengeschäft, das auf einem ostdeutschen Bauernhof seinen Anfang nahm.

Den Trend zur Naturkosmetik hat Beiersdorf dennoch verschlafen. Wettbewerber wie Weleda, aber auch Drogerieketten wie dm mit der Eigenmarke Alverde bieten seit Jahren naturbelassene Cremes und Lotionen an. „Dabei hatten wir die Grundlagen“, ärgert sich Wenck. „Wir haben schon vor Jahren Emulsionen hergestellt, die hätten sie auch essen können, so natürlich waren die.“ Andere waren schneller. „In den alten Strukturen hatten wir einfach nicht genug Ohren und Augen am Markt.“ Das habe sich jetzt deutlich verändert, allein durch die Tatsache, dass nun Produktentwickler und Marketingmanager gemeinsam in Geschäftseinheiten organisiert sind.

Rihanna zum Jubiläum

„The Brain“ – das Gehirn, wird er von Kollegen genannt. Ansgar Hölscher, erst knapp ein Jahr im Unternehmen, ist bei Beiersdorf der Mann für die Zahlen. Nach dem Studium sammelte er Daten bei Markt- und Meinungsforschern wie AC Nielsen und Emnid, später bereitete er sie in bunten PowerPoint-Präsentationen als McKinsey-Berater auf. Nun kümmert sich der 40-Jährige bei Beiersdorf um Markenstrategien, Marktforschung und digitales Marketing. Und da haben Hölscher und sein Team zum Nivea-Jubiläum einiges vor, um parallel zur Konzentration auf die Hauptpflege auch die Verjüngung der Marke voranzutreiben.

Um neue Kunden der Facebook- und Twitter-Generation anzulocken, bekommt Nivea ein prominentes Zugpferd aus der jungen Musikszene: die auf Barbados geborene, kaffeebraune Sängerin Rihanna. Der Star wird nicht nur von Mitte Mai an einen eigenen Song für Nivea trällern, sondern auch auf Facebook und in anderen Internet-Portalen zwitschern, wie toll sie die Marke Nivea findet.

30 Millionen Follower, also Fans, habe Rihanna allein bei Facebook, schwärmt Hölscher. Auch auf der Nivea-Internet-Seite wird Rihanna zu sehen sein. Hölscher rechnet mit weltweit einer Milliarde Aufrufen der Nivea-Web-Seite pro Woche. Parallel zu den Aktivitäten in den sozialen Netzwerken werden von Mitte Mai an weltweit Fernsehspots und Printmotive der neuen Imagekampagne „100 Jahre Hautpflege fürs Leben“ zu sehen sein.

Auch im wirklichen Leben soll Nivea zu den Menschen finden. „Wir starten eine Beratungstour im Einzelhandel“, sagt Hölscher. In 75 000 Läden rund um den Globus sollen hübsche Nivea-Mädels rund 1,7 Millionen Beratungen rund um das Thema Haut durchführen und mit mehr als 13 Millionen Kunden in Kontakt treten.

Mit Rihanna, Facebook und Twitter dürften die beiden Mittsechziger Michael und Wolfgang Herz wahrscheinlich wenig am Hut haben. Über die Holding Maxingvest halten die beiden hanseatischen Kaufleute, Milliardäre und Tchibo-Eigner etwas mehr als 50 Prozent an der im Dax notierten Beiersdorf AG. Den aktuellen Umbau dürften die Herren Herz mit forciert haben. Offiziell steht die Familie trotz der zwischenzeitlich schwächelnden Wachstumszahlen fest hinter dem Unternehmen. „Unser Engagement bei Beiersdorf ist langfristiger Natur“, sagt ein Sprecher von Maxingvest auf Anfrage.

Rückbesinnung auf den Markenkern

Immer wieder machen allerdings Gerüchte die Runde, der US-Konzern Procter & Gamble – Gillette-Rasierer, Ariel-Waschmittel und Pampers-Windeln – greife nach den Hanseaten. Procter wollte schon einmal 43 Prozent an Beiersdorf übernehmen, die 2002 die Allianz abgeben wollte. Die Hansestadt Hamburg, die Tchibo Holding und die Beiersdorf-Pensionskasse wehrten den Versuch allerdings gemeinsam ab.

Damit die Familie auch künftig erst gar nicht in die Versuchung kommt, sich von Beiersdorf zu trennen, muss die Rückbesinnung auf den Markenkern gelingen. Die Chancen sind gut, die Markenbekanntheit von Nivea liegt bei fast 100 Prozent, das Vertrauen in die Marke ist ungebrochen. „Mit dem Einstieg in den Make-up-Markt ist Beiersdorf zwar über das Ziel hinausgeschossen“, sagt ein hochrangiger Manager eines Wettbewerbers. „Aber ich muss auch sagen: Hut ab, dass Beiersdorf die Rolle rückwärts so mutig angeht.“

Das sieht auch Markenexperte Brandtner so. Psychologisch betrachtet sei es für Manager immer leichter, neue Produkte auf den Markt zu werfen, als bestehende einzustampfen. „Das eine erzeugt Aufbruchstimmung, das andere Angst“, sagt Brandtner, „weil es auf den ersten Blick unlogisch klingt, dass man mit weniger Produkten erfolgreicher sein kann.“

Und so soll es schließlich sein. Von 2012 an sollen Umsatz und Ertrag wieder steigen. Vielleicht kann Quaas schon im kommenden Jahr um die Osterzeit herum wieder frohe Botschaften verkünden.

Nivea-Poster von 1950 Vor allem Frauen wurden von Beiersdorf umworben – je nachdem, wie es der Zeitgeist gerade vorgab Klassiker in Blau 123 Millionen Nivea-Cremedosen wurden 2010 produziert

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