Rheinische Trüffelschweine Kaufhauskette Strauss Innovation setzt auf Wachstum

Die Kaufhauskette Strauss Innovation expandiert kräftig: mit ihrer kuriosen Mischung aus Kerzen, Kaschmirpullovern und Küchentischen.

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Das ist übrigens Ludwig“, sagt Peter Geringhoff, lächelt und deutet mit einer Kopfbewegung in Richtung Empfang. Ludwig ist ein Stoff-Strauß mit schwarzen Flügeln und dünnen gelben Beinchen, von der Größe einer Parkuhr und steht im Foyer der Langenfelder Kaufhauskette Strauss Innovation. Benannt ist das Plüsch-Maskottchen nach Geringhoffs Vater: Peter Ludwig Geringhoff, dem heute 66-jährigen Senior, der Anfang der Sechzigerjahre als Angestellter zu Strauss kam, 1989 Geschäftsführer und Teilhaber wurde, das heutige Geschäftsmodell erfand und das Unternehmen fortan von einer Mini-Kette in und um Düsseldorf zu einem bundesweiten Handelsunternehmen ausbaute. Vor knapp drei Jahren übergab er die Führung an Sohn Peter. Seitdem ist der schlaksige 37-Jährige mit dem Bubi-Kurzhaarschnitt und der unauffälligen Brille Gesellschafter und Geschäftsführer einer der ungewöhnlichsten und zugleich erfolgreichsten Einzelhandelsketten in Deutschland. Während der Umsatz vieler Händler seit Jahren stagniert, Traditionsgeschäfte schließen müssen oder sich in Rabattaktionen flüchten, wächst der Filialist aus Langenfeld bei Düsseldorf mit einer kuriosen Mischung aus Kerzen, Kaschmirpullovern und Küchentischen. Mit diesem Konzept rollt das 104 Jahre alte Familienunternehmen mit über 2200 Mitarbeitern die Republik auf. In diesem Jahr wird der Umsatz von 265 voraussichtlich auf knapp 280 Millionen Euro klettern. Hinzu kommen die Umsätze aus dem Großhandelsgeschäft: Über die Innovations-Club Handelsgesellschaft beliefern die Langenfelder seit gut zehn Jahren rund 80 weitere Geschäfte „befreundeter Unternehmen“, wie die Kunden im Strauss-Jargon genannt werden. Vor wenigen Wochen hat Geringhoff in Wolfsburg den 100. Laden eröffnet; zwei weitere sind inzwischen hinzugekommen. Noch liegt der Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen und dem Großraum Berlin. Doch das wird sich ändern. München, noch ein weißer Fleck auf der Strauss-Landkarte, steht ebenso auf der Agenda wie Österreich. Und ein Arbeitskreis entwickelt Franchise- und Shop-in-Shop-Konzepte. Natürlich trägt der Chef Strauss. Das zartblaue Hemd und die handgenähten dunkelbraunen Schuhe sind aus den eigenen Regalen. Nur der schicke Nadelstreifenanzug nicht. „Ich trage Größe 98, weil ich sehr schlank bin“, sagt Geringhoff. „Die mussten wir leider aus dem Angebot nehmen. Wir hatten einfach zu viele verschiedene Größen, aber zu wenig Platz.“

Im Schnitt müssen die Strauss-Kaufhäuser mit gut 800 Quadratmeter Verkaufsfläche auskommen. Auf die packt Geringhoff Damen- und Herrenmode, Lebensmittel, Wein, Möbel und Wäsche. Doch genau diese Askese ist die entscheidende Zutat im Erfolgsrezept der Langenfelder. „Der Kunde kommt, weil er stöbern und sehen will, was es Neues bei uns gibt“, sagt Geringhoff. „Und nimmt dabei vielleicht auch ein Hemd mit.“ Vorselektion nennt Geringhoff das. Im Grunde macht er nichts anderes als Aldi. 3 statt 30 Nudelsorten – Minimalismus statt heilloses Überangebot. Aber: Exklusivität und Individualität zu erstaunlich günstigen Preisen. „Wir liegen irgendwo zwischen Aldi und Armani“, hat es Vater Geringhoff mal formuliert. Und auch größere Geschäfte wären keine Lösung: „Strauss wäre auf 3000 Quadratmetern auch nicht besser“, sagt der Sohn. Bei Strauss gibt es keine Ordnung nach Warengruppen. Präsentiert wird über Themen. Die heißen mal „Im Kristallpalast“, oder „Hüttenweihnacht“. Und das funktioniert. Strauss verkauft keine Restposten, keinen Ramsch. Das Enfant terrible der Branche lässt eigene Kollektionen fertigen. Nur gut 20 Prozent des Sortiments, vor allem Lebensmittel sowie Wäsche und Handtücher, werden dauerhaft angeboten. Der Großteil wechselt alle zwei Wochen. Das Sortiment für Mai des kommenden Jahres wird derzeit in der großen Musterhalle im Untergeschoss der Zentrale aufgebaut. In Kürze kommen die Geschäftsführer und Abteilungsleiter der Großhandelskunden und ordern: Seidenkissen mit Handstickereien, abwaschbare Designer-Tapeten, Polohemden, Shorts oder Stühle und Sofas für drinnen und draußen. Auf den ersten Blick wirkt alles ein wenig farblos, Braun-, Beige- und Grautöne überwiegen; zurück zur Natürlichkeit lautet das Motto für das kommende Jahr. Auf der Kundenliste des Innovations-Clubs standen einmal prominente Namen wie Allkauf und Kaufhalle, bis sie vor einigen Jahren von der Metro geschluckt wurden. Heute sind es eher kleine und mittelständische Einzelhändler wie das Kaufhaus Gröblinghoff in Werne, einige Handelshof-Warenhäuser der saarländischen Globus-Gruppe oder das Hüter Einkaufszentrum in Wirges. Über die Umsätze im Großhandel lässt sich Geringhoff nichts entlocken. Schätzungen zufolge dürften sie bei gut100 Millionen Euro liegen. Zwei Jahre lang hat Strauss die Expansion gestoppt – jetzt lässt es Geringhoff wieder richtig krachen. Zwölf Neueröffnungen in diesem Jahr, für das kommende Jahr sind bereits die Mietverträge für acht Standorte unterschrieben. „15 Standorte sind die Marschroute“, sagt Geringhoff, „und das schaffen wir bequem aus eigener Kraft.“ Das war vor gut zwei Jahren anders. „Wir mussten damals zwangsläufig eine Verschnaufpause einlegen“, sagt Geringhoff. Zu rasant waren die Langenfelder in die Offensive gegangen, und „die internen Strukturen waren nicht mitgewachsen“. Mit zwei eigenen Logistikstandorten und einem halben Dutzend Dienstleistern herrschte beim Warennachschub das pure Chaos. Heute werden alle Filialen von einem nagelneuen, 20.000 Quadratmeter großen Zentrallager im benachbarten Solingen aus beliefert, das sogar den Nachschub für 200 Läden stemmen könnte.

Dabei hatte alles ganz klein und beschaulich begonnen. Die Eheleute Heinrich und Maria Strauss eröffnen 1902 in der Düsseldorfer Altstadt ein Geschäft für Kurz-, Weiß- und Wollwaren. 1930 übernehmen ihre Kinder Maria und Gertrud das Geschäft. Bis 1982 werden fünf Filialen eröffnet. Anfang der Sechziger kommt Geringhoff ins Unternehmen. 1989 werden er, Arnold Stolper und Edmund Strauss Gesellschafter. Jeder erhält 33 Prozent. 1997 kracht es gewaltig. Geringhoff und Strauss geraten sich über die weitere Expansion in die Haare. Geringhoff hat die Nase voll, will aussteigen. Doch Geringhoffs Kinder beknien den Vater. Er könne unmöglich jetzt aussteigen. Strauss nimmt ihm die Entscheidung ab. Er werde seine Anteile verkaufen, teilt er nach ein paar Wochen Funkstille mit. Das wiederum macht den dritten Gesellschafter Stolper nervös. Wenn Strauss aussteige, dann wolle er seine Anteile ebenfalls verkaufen. Damit nimmt das Problem zwar eine überraschende Wende, eine Lösung scheint aber ferner denn je. „Natürlich wollten wir weitermachen. Aber wir waren nicht in der Lage, 66 Prozent auszuzahlen“, erinnert sich Geringhoff junior. Der Vater erhöht seinen Anteil immerhin auf 50 Prozent. Die andere Hälfte übernimmt die Finanzgruppe Alldata GmbH, die dem Kölner Rechtsanwalt Jürgen Pelka gehört. Geschäftsbeziehungen mit Pelkas Anwaltskanzlei gab es schon lange vorher. Doch als die Tochter von Geringhoff senior einen Sozius Pelkas heiratete, wurde der Kontakt intensiver. „Die Chemie zwischen meinem Vater und Pelka stimmte, und der Einstieg wurde per Handschlag besiegelt“, erinnert sich Geringhoff junior. Pelka gehört neben Alldata vor allem die Steuerberater-, Rechtsanwalts- und Wirtschaftsprüfersozietät PNHR, die allein in Köln und Hamburg 140 Mitarbeiter hat. Darüber hinaus pflegte Pelka über Jahrzehnte enge private und geschäftliche Beziehungen zum Handelskonzern Rewe und zu dessen langjährigem Chef Hans Reischl. Als Präsident des Golfclubs Burg Konradsheim in Erftstadt ist Pelka regelmäßig Gastgeber des Lancaster Charity Cups. „Herr Pelka hat viele Firmenbeteiligungen. Aber es gibt wohl keine andere, wo er sich wie bei Strauss auch strategisch engagiert und so viel Herzblut einfließt“, sagt Geringhoff. Geringhoff redet fast so schnell, wie sich viele Produkte bei Strauss verkaufen. Er schwärmt vom Edel-Kaufhaus Manufactum, das für ihn ein Vorbild ist, von seinem sauerländischen Trüffellieferanten, der in Handarbeit fertigt und auch die Lufthansa First Class und das Hotel Sacher in Wien beliefert, von handgefertigten Schuhen aus Budapest, den Nachbildungen der legendären Terrakotta-Armee aus dem chinesischen Xian, die vor Jahren ein Verkaufsrenner bei Strauss waren, den in Deutschland hergestellten Christbaumkugeln – Geringhoffs Redefluss ist kaum zu stoppen. „Das ist kein Beruf, das ist totale Leidenschaft.“

Strauss verkauft mühelos Eichen-Esstische für 800 Euro und Damen-Gummistiefel für 10 Euro. Mit seinen 42 Trüffelsorten setzt das ungewöhnliche Kaufhaus jährlich gut zwei Millionen Euro um. Und wie die Trüffelschweine spüren die Langenfelder immer wieder überraschende Produkte und neue Trends auf. Im kommenden Jahr wollen sie ein völlig neues Format für Kopfkissen auf den Markt bringen. Regelrechtes Schlussverkaufsgedränge entsteht immer dann, wenn Strauss in Zeitungsanzeigen, auf Plakaten oder Werbeprospekten seine hochwertigen Schnäppchen anpreist: wie etwa ein 16-teiliges Grand Hotel Besteck aus Solinger Manufaktur für 69 Euro. Oder die Edelstahl-Schokoladenbrunnen für 29,95 Euro, so geschehen im September, anlässlich der 100. Filialeröffnung in Wolfsburg. „Ich habe dieses Produkt Ende Januar auf der Süßwarenmesse entdeckt und wollte es unbedingt im Laden haben.“ Als Geringhoff recherchierte, wer das Produkt herstellen könne, was es kosten würde und wie schnell es ausgeliefert werden könne, hieß es plötzlich: „Tchibo will das auch haben.“ Jetzt musste alles schnell gehen. In Rekordzeit wurde geordert, wurden Kartons designt, Zusatzangebote wie Schokolade geplant, Prospekte entworfen. Und mit der gleichen Geschwindigkeit waren die Dinger ausverkauft: 8000 Stück in vier Tagen. „Ein Hammerartikel. Braucht zwar kein Mensch. Aber jeder wollte ihn haben“, schwärmt Geringhoff. Übrigens: Tchibo verkaufte den Schoko-Brunnen vorvergangene Woche, für 50 Euro. Drei Geringhoffs arbeiten heute bei Strauss. Neben Peter auch seine Schwester Marie-Louise Schröder, 38, die sich um den Damenmode-Einkauf und den Innovations-Club kümmert, sowie sein Bruder Philipp Maximilian, 31, der für den Vertrieb mitverantwortlich zeichnet. Sebastian, mit 27 Jahren der jüngste Geringhoff, arbeitet in der Kanzlei von Mitgesellschafter Pelka und schreibt dort an seiner Doktorarbeit. Pelkas Tochter wiederum arbeitet im Controlling bei Strauss. Auch wenn Herr Strauss heute Geringhoff heißt: Strauss ist ein klassisches Familienunternehmen. Und die Geringhoffs haben noch viel vor. Sie wollen Shops in Kaufhäusern und Einkaufszentren eröffnen, testen zurzeit in drei Pilotläden ein Konzept namens Strauss Home, in dem keine Mode angeboten wird, wollen im kommenden Jahr nach Österreich expandieren, Modenschauen ausrichten oder Kochevents veranstalten. „Wir müssen uns immer wieder etwas Neues einfallen lassen“, sagt Geringhoff. „Denn wenn alle das Gleiche machen, dann kommt es ja nur noch auf den Preis an.“

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