Schmuck Perlen: Träne der Götter

Die Perle, heißt es, sei ein Damenschmuck. Da ist was dran – an Hals, Arm oder Ohr von Courtney Love oder Christina Aguilera ist eine Perle noch nicht gesichtet worden.

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Die Perle, heißt es, sei ein Damenschmuck. Da ist was dran – an Hals, Arm oder Ohr von Courtney Love oder Christina Aguilera ist eine Perle noch nicht gesichtet worden. Dafür etwa bei Prinzessin Caroline von Monaco, jüngst sogar gleich drei Ketten, von silbern bis champagnerfarben. Auch die Queen, Königin Silvia von Schweden, Norwegens Mette Marit und Königin Sirikit von Thailand tragen Perlenketten. Ebenso der Geldadel, von Liz Mohn über Friede Springer bis Edda Darboven, weiß sie zu schätzen, und der Fernsehadel auch: Sabine Christiansen trägt zu Handtasche und sandfarbenem Kostüm – gerne – eine sanft schimmernde Perlenkette.

„Die Perle“, sagt Kaya Wilbrandt, Kölner Goldschmied und Juwelier, „ist ein klassischer, dezenter Schmuck.“ Wilbrandt konnte lange nichts mit Perlen anfangen – bis ein Handelsvertreter vor ihm eines Tages Perlen in allen Formen und Farbnuancen, von Goldgelb über Rosé bis Graugrün, ausbreitete. Seither liegen in seiner Auslage in der Maastrichter Straße in Köln kostbare Solitäre, rund oder tropfenförmig, neben einem Aquamarin oder einer Gemme auf schwarzem Samt oder weißem Filz. 

„Ein feuchter Schmelz, der unbegreiflich ist“, schwärmt der Frauen- und Perlenfreund Jaromir in Hugo von Hofmannsthals Lustspiel „Der Unbestechliche“. Der Fachmann spricht vom „Lüster“ oder auch vom „Orient“ der Perle. „Edelsteine funkeln“, so Wilbrandt, „sie sind von kristalliner Härte. Perlen dagegen entfalten ein weiches Streulicht, das ihre Oberfläche erfüllt – ihnen den eigentümlich schwebenden, in den Farben des Regenbogens changierenden Schimmer und etwas Mysteriöses verleiht.“ Wer die Perle unters Mikroskop hält, erkennt den Lüster als Folge des Lichts, das sich an den feinen Kanten der Aragonitschichten an der Oberfläche des Perlmutts bricht und überlagert. 

Im Altertum wurde die Perle als Geschenk des Himmels verehrt – als „Träne der Götter“ oder „Tau des Mondes“. Aphrodite, die Schaumgeborene, schwebt auf einer Riesenmuschel an die Küste von Kythera und verwandelt die aufschießende Gischt in einen Perlenregen. Buddhafiguren tragen zum Zeichen der Erleuchtung eine Perle. Chinesische Drachen ebenso. Das indische Epos „Mahabharata“, die Bibel und der Koran feiern ihre Schönheit. Alle großen Kulturen verehren und nutzen sie – als Schmuckstück, Medizin oder Aphrodisiakum. 

Die so genannte Orientperle leitet ihren Namen her von den Muschelgründen am Golf von Mannar zwischen Sri Lanka und Südindien, am Persischen Golf und im Roten Meer. Perlentaucher segelten schon in der Antike aufs Meer hinaus, um in zehn Metern Tiefe Muscheln von den Bänken zu schneiden. Mit der Öffnung des Okzidents zum Orient, erst durch Alexander den Großen, dann durch Augustus, begann die Blütezeit des Perlenhandels. „Perlen, wohin ich schaue“, schrieb der Philosoph Seneca, „nur eine für jedes Ohr? Nein. Die Ohrläppchen unserer Damen haben eine besondere Kapazität für deren viele entwickelt.“ Die Römerinnen protzten mit Trauben von Perlen, auch an intimen Körperteilen. Per kaiserlichem Dekret war das Schmuckstück Patriziern vorbehalten – und den Imperatoren. Caligula trug perlenbestickte Seidenschuhe. Kaiser Nero ließ Sänften mit Perlenornamenten auskleiden und schmückte sein Lieblingspferd mit einem Perlencollier. Die Mosaike von San Vitale in Ravenna zeigen Kaiser Justinian und Kaiserin Theodora in üppigstem Perlenornat. Herrscher und Herrscherin trugen den Staatsschatz am Körper. 



Die berühmtesten Perlenträgerinnen der Geschichte waren Kleopatra, Königin Elizabeth I. von England – undElizabeth Taylor: Die Geliebte Marc Antons löste ihre Lieblingsperle ihm zuliebe angeblich in Wein auf und trank sie; die eiserne Renaissancedame hatte Perlen für 3000 Gewänder und 80 Perücken; die letzte Filmdiva besaß die berühmte Hybridperle la Peregrina, einst im Besitz Philipps II. von Spanien, der sie als Hutnadel benutzt hatte. Richard Burton ersteigerte das gute Stück 1969 als Geschenk für die Gattin. Inzwischen ist es spurlos verschwunden. Liz Taylors Hund soll es verschluckt haben. 

Perlen entstehen aus Parasiten. Sie sind eine Art Kuckucksei und entwickeln sich, so der Zoologe Friedrich Alverdes, „durch das Eindringen lebender Organismen in das Mantelgewebe der Muschel, wo sie eine sackartige Ausstülpung bilden, in der dann die Perlmuttablagerung, die zur Perlenbildung führt, geschieht, während der Parasit absorbiert wird“. Die für die Perlmuttbildung zuständigen Epithelzellen werden durch den penetrierenden Parasiten eingeschleppt und sorgen, so der Hamburger Mineraloge Jochen Schlüter, „irrtümlicherweise dafür, dass eine Perle entsteht“. 

Ein Versehen der Natur, das sich die Chinesen schon im 11. Jahrhundert kommerziell zu Nutze machten. Sie implantierten an der Innenseite von Süßwassermuscheln kleine Buddhafiguren aus Blei und Zinn, auf denen sich mit der Zeit eine Perlmuttschicht bildete. Die Zucht runder Perlen gelang allerdings erst knapp 1000 Jahre später, um 1900. Die Japaner Tatsuhei Mise und Tikichi Nishikawa griffen dabei auf die Forschungsergebnisse europäischer Biologen zurück und pflanzten einen kugelförmigen Fremdkörper aus Perlmutt samt einem perlmuttbildenden Stück Mantelgewebe aus einer Spenderauster in die Keimdrüse der Wirtsmuschel ein. Ein chirurgischer Vorgang, der dazu führt, dass die Epithelzellen das Perlmutt nicht an der Innenseite der Muschel ablagern, sondern auf dem Zuchtkern: Das Mantelgewebe wächst um diesen Kern, schließt ihn ein, bildet einen Perlensack und, wenn alles gut geht, nach zwei bis drei Jahren eine schöne, runde Perle. 

Diese Implantationstechnik wurde von dem japanischen Kaufmann Kokichi Mikimoto perfektioniert und industriell genutzt. Mikimoto legte an den Küsten Mittel- und Südjapans große Muschelbänke für die Zucht von Akoyaperlen an. Akoya-Zuchtperlen sind billiger als Naturperlen und selbst für den Fachmann auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Zuchtperlen, speziell von Mikimoto, kamen immer mehr in Mode. Jahrzehntelang dominierten die Japaner den Perlenhandel. 1996 kultivierte die Zuchtperlenindustrie des Landes rund 175 Millionen Perlen im Jahr. 

In den vergangenen 15 Jahren ist sie allerdings geschrumpft. Die Küstenlandschaften, die einst von Perlenfarmen geprägt waren, sind heute zum großen Teil mit Autobahnen, Wochenendsiedlungen oder Golfplätzen verbaut. Infektionen vernichteten auf vielen Farmen den gesamten Bestand – so etwa im Biwa-See, wo die Eutrophierung der Reisfelder den Süßwassermuscheln die Nahrungsmittel Plankton und Sauerstoff entzogen hat. 

Inzwischen besitzen auch die Chinesen das Know-how zur Produktion von kernlosen Süßwasserperlen – die fremden Mantelgewebeteilchen werden in den Mantel der Perlmuschel eingesetzt. „Süßwasserperlen aus Mittelchina sind inzwischen ein Substitut für die Akoyaperle“, erzählt Hans Schoeffel. Er führt das gleichnamige Stuttgarter Perlenhandelshaus, eine Institution des deutschen Schmuckhandels. 

Chinesische Perlen, ein Billigprodukt? „Keineswegs“, so Schoeffel. Seine Bestände, hübsch aufgereiht eine Kette neben der andern, laden zur vergleichenden Perlenkunde ein: Da ist der seidige, edelmatte Schimmer der chinesischen Perle, das intensive, silberblaue oder cremefarbene Lüster der Akoya-Zuchtperle, die honiggoldene Aura der indonesischen Südseeperle, die Aubergine- und Pfauenfederfarbe der dunklen Tahitiperle oder das Strahlen der australischen Südsee-Zuchtperle. 

Diese Perle ist die prächtigste ihrer Gattung. Sie kann einen Umfang von bis zu 21 Millimetern erreichen. Im Durchschnitt bringt sie es auch noch auf 11 bis 15 Millimeter. Sie wird aus der Pinctada maxima, einer pfannkuchengroßen, silberlippigen Riesenmuschel gewonnen, die vor allem vor der Nordwest-küste Australiens zu Hause ist. In den reichsten und zugleich einsamsten Perlengründen der Welt gedeihen Perlaustern ungestört von Zivilisationseinflüssen bis sie von Perlenzüchtern in ihrer Ruhe gestört und ans Tageslicht befördert werden. Ein Trauma, von dem sie sich erst einmal für vier Wochen am Meeresgrund erholen dürfen, bevor sie, mittlerweile stressresistent, abermals an Deck geholt und chirurgisch behandelt werden. 

Wie sich beim Öffnen der rauen Schale, eingebettet in saftiges Austernfleisch, eine so klare, sinnfällige Form offenbart, das, so Schoeffel, sei „immer wieder ein Geschenk“ – und für den Fachmann ein aufregender Anblick. Denn jede Perle ist anders. Ihre Qualität bestimmt sich nicht nur nach Größe und Glanz, sondern auch nach besonderen Charakteristika – nach Form und Beschaffenheit der Oberfläche. Als Faustregel gilt: Je dicker die Perlmuttbeschichtung, desto intensiver der Lüster. 

Das Ideal ist die vollkommen runde Perle. Design verträgt sie schlecht, findet Schoeffel. Die Perle brauche ein „klares, ruhiges Umfeld“, so auch Kollege Wilbrandt. 

Sie könnte also gar nicht besser passen: für Hals, Arm, Ohr – oder schlanke Hüften. n 

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