Unternehmensführung der Zukunft Wenn der Manager zum Magier wird

Wer heutzutage Entscheidungsträger in einem Unternehmen ist, sieht sich einer unüberschaubaren Vielzahl von Entwicklungen und Veränderungen gegenüber - und muss diese auch noch voraussehen können. Das klassische Bild des Managers gerät immer mehr ins Wanken, Führungspersonal wird immer häufiger ausgetauscht. Dabei gibt es schon jetzt Vorbilder, wie das Management der Zukunft aussehen muss.

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Kann Harry Potter ein Unternehmen führen? Nein, aber Manager müssen künftig etwas Magie wirken. Quelle: Reuters

DÜSSELDORF . "Die Schwierigkeit ist nicht, neue Ideen zu finden, sondern den alten zu entkommen", dozierte der berühmte Nationalökonom John Maynard Keynes vor Jahrzehnten. Seine Erkenntnis ist aktueller denn je. Manager halten zu lange an Bewährtem fest - und werden deshalb immer häufiger ausgetauscht. Europäische Vorstände überleben kaum noch den klassischen Fünf-Jahres-Vertrag. Selbst Unternehmen, die nicht an der Börse notiert und von Finanzinvestoren getrieben sind, wechseln ihr Spitzenpersonal in immer kürzeren Zeiträumen aus.

Das Festhalten an alten Denkmustern hat seinen Grund. Bislang führen Manager mit Zahlen und Fakten. In Zukunft fällen sie mehr und mehr Entscheidungen unter Ungewissheiten. Forschung und Wissen treiben Manager regelrecht vor sich her. Wirtschaft und Gesellschaft, sagt Management-Guru Fredmund Malik aus Sankt Gallen, befänden sich in einer Periode des tiefgreifendsten Wandels der Geschichte.

Wie aber sieht der Manager der Zukunft aus? Eine Eigenschaft rückte mit der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise ganz oben auf die Qualifikationsagenda: das Managen gesellschaftlicher Akzeptanz. Denn das globale Desaster gilt zum großen Teil als ein Führungs- und Kontrollversagen.

Zweites Führungskriterium ist die Fähigkeit, Technologiesprünge zu bewältigen. Ein Beispiel: Noch vor zehn Jahren galten soziale Netzwerke als Fantasterei von Internet-Freaks. Heute sind sie ein Muss für jeden Unternehmer.

Größte Herausforderung aber ist die rasant wachsende Komplexität, die es Topmanagern schwer macht, den Überblick zu wahren. So erfordert eine Aktiengesellschaft mit Hunderttausenden Beschäftigten, Niederlassungen in aller Welt und Tausenden von Produkten einen perfekten Netzwerker. Die Qualifikation vermitteln bislang nur wenige der Business-Kaderschmieden.

QUALIFIKATION 1: Ressourcen organisieren

Der deutsche Familienkonzern Heraeus ist schon dort angekommen, wo viele noch hinwollen und müssen. Frank Heinricht, Vorsitzender der Geschäftsführung, leitet ein Firmengeflecht, das komplexer kaum sein könnte. Und das scheinbar das Gegenteil eines Ideal-Konzerns ist: sieben Geschäftsbereiche, 25 Entwicklungszentren, 40 Business-Units, 110 Gesellschaften weltweit. Zwar hat alles irgendwie mit Edelmetallen zu tun. Doch zwischen Infrarotstrahlern und Federspitzen für Tintenfüller liegen Welten. Trotzdem funktioniert das System aus Hunderten Produkten und 12000 Menschen in 123 Ländern. Und zwar besser als manches Unternehmen, das sich einem Managementtrend folgend auf sein "Kerngeschäft" konzentriert hat.

Heraeus (16 Milliarden Euro Umsatz) hat eine Managementstruktur entwickelt, die Modell für andere sein könnte. Gesteuert wird über die Business-Units, die eigenständig am Markt operieren. Neue Produkte für neue Märkte werden einer Zellteilung gleich abgespalten und in neue Geschäftseinheiten ausgegründet. Das alles geschieht unter Regie einer Holding, die ihre Aufgabe darin sieht, den Kapitaleinsatz zu optimieren, den Geschäftsverlauf zu kontrollieren, die einzelnen Einheiten dabei aber nicht zu behindern. Und: das firmeninterne Netzwerk zu koordinieren.

Ressourcen zu vernetzen wird zur zentralen Aufgabe künftiger Manager, ist Josef Wieland, Professor an der Hochschule Konstanz, überzeugt. Ob Rohstoffe, Produktionskapazitäten oder Know-how, in der Kombination von Standorten, Abteilungen und Köpfen liege die eigentliche Managementleistung des Führungspersonals der Zukunft.

In einem EU-weiten Projekt hat die Fraunhofer-Gesellschaft mit der Beratung AT Kearney 1 600 Firmen untersucht. Es zeigte sich: 70 Prozent der Wachstumschampions waren besser vernetzt als der Durchschnitt. Stark vernetzte Firmen machten ein Viertel ihres Umsatzes mit Innovationen, die jünger als drei Jahre sind, bei den weniger verdrahteten waren es zehn Prozent.

Wollen Unternehmen in Führung bleiben, holen sie sich immer öfter Wettbewerber ins Boot. Das Zauberwort heißt "Co-opetition" - kooperativ konkurrieren. In der Automobilbranche sind solche strategischen Allianzen längst Usus - nicht erst, seitdem die Vans Galaxy von Ford und Sharan von VW in derselben Fabrik entstanden.

Netzwerkorganisationen erfordern ein anderes Management. Professor Malik prophezeit: "Neben riesigen Konzernen und dezentralen Strukturen wird es ganz neue Unternehmensformen geben." Diese könnten fast beliebig schnell vom einen Modus in den anderen wechseln, so wie die Situation es erfordere. Vorbild ist die Bionik - etwa von einem Nervensystem, das alle Abläufe vernetzt und steuert - nicht sequenziell, sondern simultan.

QUALIFIKATION 2: Technologiesprünge managen

Von Carl Zeiss, der 1846 eine Feinwerkstatt für Mechanik und Optik in Jena gegründet hat, erzählt man sich folgende Geschichte: Entsprachen die entwickelten Mikroskope nicht seinen hohen Erwartungen, dann zerschlug er die Geräte eigenhändig mit dem Hammer. Heute, 150 Jahre später, kann sich das Unternehmen solche Ausfälle nicht mehr leisten. "Das Produkt muss von Anfang an fehlerfrei, stimmig und passgenau sein für die Anforderungen der Kunden", sagt Forschungschef Markus Weber. "First time right" heißt die Devise.

Die Produktzyklen verkürzen sich wie in allen Industrien dramatisch. Beispiel Automobil: Noch vor wenigen Jahren kamen neue Oberklassewagen in einem Rhythmus von sieben, acht Jahren auf den Markt, heute in nicht mal der Hälfte der Zeit. Und das, "obwohl Fahrzeuge viel komplexer geworden sind", sagt Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

Für Zeiss bedeutet das: Ein Operationsmikroskop für die Augen wird heute innerhalb von zwölf Monaten entwickelt. Bis vor kurzem waren noch zwei Jahre üblich. "Unternehmen, die sich auch nur kurz zurücklehnen, werden ganz schnell von den Wettbewerbern überholt", sagt Markus Weber von Carl Zeiss.

Malik glaubt, dass "viele Manager nicht wahrhaben wollen, wie rasend schnell sich Technologien und anderes lang Bewährtes komplett wandeln." Die Verkürzung der Innovationszyklen stellt das Führungspersonal vor eine schwierige Aufgabe. Es muss sich immer früher für ein Produkt entscheiden. Zugleich weiß es immer weniger über die Neuentwicklung.

Mit steigender Schlagzahl wächst das Risiko des Scheiterns, warnt Wissenschaftler Bullinger. Er sieht die Unternehmen im "Innovationsdilemma". Zumal Unternehmen wie Carl Zeiss oder Heraeus sich als technologiegetriebene Unternehmen definieren. Zeiss hat allein im Jahr 2009 rund 300 neue Patente angemeldet. Heraeus hält über 5 500 Patente in allen Sparten.

Das Dilemma lösen können virtuelle Entwicklungen. Oder Kooperationen. In der Autoindustrie ist Kooperation fast schon symbiotisch. VW, BMW und Daimler arbeiten so eng mit ihren Zulieferern zusammen, dass beide Seiten ohne den anderen gar nicht mehr existieren könnten. 70 Prozent der Wertschöpfung eines Autos entsteht beim Lieferanten. Andere Branchen kopieren dies. Carl Zeiss arbeitet exklusiv zusammen mit der niederländischen ASML, Marktführer für Lithografiescanner. 2 500 von 13 000 Zeiss-Beschäftigten sind nur für diesen Schlüsselkunden abgestellt.

In weniger sensiblen Fällen geht der Trend in die Gegenrichtung - hin zur flexiblen Vernetzung mit spezialisierten externen Partnern. Früher hat zum Beispiel Carl Zeiss extrem breit selbst geforscht. "Heute sind unsere Forscher in vielen Fällen Innovationsmanager", sagt Forschungschef Weber.

Neuester Trend: die Schwarmintelligenz der Masse, Stichwort Crowd-Sourcing. Auf Internet-Plattformen für Open Innovation fischen Zeiss und andere Firmen interaktiv nach kreativen Lösungen. Weber schätzt, dass in zehn Jahren etwa ein Drittel der Forschung über solche anonymen Plattformen läuft.

QUALIFIKATION 3: Das Managen gesellschaftlicher Akzeptanz

Unternehmer Frank Straub mag es direkt. Der Mittelständler redet von "aktiver Kulturarbeit", wo andere hochtrabend von Corporate Citizenship oder Responsibility sprechen. Straub hat seine eigene Philosophie. Gesellschaftliche Verantwortung beginnt im Unternehmen, sagt der Seniorchef der Blanco-Gruppe. Der internen Akzeptanz folgt nach seiner Erfahrung automatisch die externe. Blanco ist Hersteller von Küchentechnik, macht 800 Millionen Euro Umsatz und repräsentiert den typischen deutschen Mittelständler. Straub geht es um mehr als die Befriedigung des sozialen Gewissens. Unternehmenspolitik müsse sich an allen Interessengruppen ausrichten. Und: Alle Mitarbeiter müssen mitziehen. Um das zu erreichen, hat er ein ganzes Bündel an Maßnahmen ergriffen - von der Integritätsklausel in Arbeitsverträgen bis zu Mitarbeiterforen über Fehlerkultur. Mit weitreichenden Folgen: Immer mehr Bewerber, stellt Straub fest, meldeten sich gezielt bei Blanco unter Hinweis auf die Managementphilosophie.

Was der Inhaberunternehmer seit mehr als 20 Jahren praktiziert, ist für angestellte Manager noch lange nicht selbstverständlich. Immerhin: Die Brisanz des Themas ist erkannt. Zum ersten Mal ist 2010 die "gesellschaftliche Akzeptanz" als eines der zehn Topthemen auf dem Risikoradar der Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young aufgetaucht. Für die befragten europäischen Manager hat das Thema auf Anhieb fast denselben Stellenwert wie Ökologie und grüne Produkte.

Die Frage ist nur, welche Erwartungen hat die Gesellschaft an Manager? Einige Antworten formuliert die Politik. Etwa für die Bezahlung von Führungskräften. Noch vor wenigen Jahren galt die Vergütung als Privatangelegenheit. Doch das hat sich grundlegend geändert. In Deutschland erzwingt der Gesetzgeber nicht nur Transparenz. Auch drängt der Staat darauf, die Vergütung der Manager auf Nachhaltigkeit auszurichten und in Einklang mit gesellschaftlichen Vorstellungen zu bringen.

Selbst der von der Wirtschaft entworfene Kodex für gute Unternehmensführung verpflichtet neuerdings ausdrücklich auf die "Soziale Marktwirtschaft". Eigentlich selbstverständlich. Doch viele Manager traten bis vor kurzem offensiv für einen Shareholder-Kapitalismus ein, der die Investoren einseitig bevorzugt. Auch das führte dazu, dass die Akzeptanz der Führungselite ein historisches Tief erreichte.

Experten gehen deshalb davon aus, dass erst der Generationswechsel in den Topetagen einen Wechsel der Managementziele bringen wird. "Manche aus der jetzigen Führungsgeneration tun sich schwer damit, das Thema gesellschaftliche Akzeptanz zu managen", sagt der Wissenschaftler Wieland. "Die jüngere und mittlere Managergeneration erkennt aber die strategische Bedeutung des Themas für das Geschäftsmodell."

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