Versicherungsbetrug Versicherer gehen in der Krise massiv gegen Betrüger vor

Lange nahmen Versicherungen Betrügereien mehr oder weniger hin und erhöhten die Prämien. Das ändert sich in der Krise. Die Assekuranz macht gegen Falschspieler mobil wie noch nie.

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Feuer: Bei 8 von 10 aller von Quelle: AP

Manfred Göth legt eine Pause ein und lenkt seinen hellgrauen Maserati zu einem Fastfood-Restaurant am Bonner Verteiler im Süden von Köln. Der 57-jährige Inhaber eines kriminaltechnischen Prüflabors in Mayen hat gerade eine ausgebrannte Wohnung untersucht, hat verkohlte Fenster, Türen und Schlösser auf Einbruchspuren überprüft und die Bewohner befragt. Göth weiß: Es ist Brandstiftung.

Der selbstständige Gutachter, der 1993 beim Landeskriminalamt Hessen in Wiesbaden ausgestiegen ist, kann sich vor Aufträgen kaum noch retten. „Ich könnte Tag und Nacht im Einsatz sein“, sagt er. Sein mobiles Labor, untergebracht in einem luxuriösen Hummer H2, ist bestens ausgelastet. Heute hat Göth außer dem Indiz, dass den Bewohnern mehrere Schlüssel zu ihrer Wohnung fehlen, keine weiteren Verdachtsmomente gefunden. Doch er bleibt skeptisch, denn er weiß: „In mehr als 80 Prozent der von mir untersuchten Brandstiftungen haben die Besitzer selbst Feuer gelegt, und von Einbrüchen sind etwa 30 Prozent fingiert.“

Göths hohe Auslastung steht für einen Trend. Mit neuen Ausbildungsgängen für Betrugsspezialisten, dem Einsatz neuer Technik und psychologischer Schulung macht die Branche nach Jahren des passiven Zuschauens mit aller Macht mobil gegen Versicherungsbetrüger. Die müssen auch mit schärferen Strafen rechnen: Die Kölner Kanzlei Bach, Langheid & Dallmayr trägt neuerdings in ihrem eigens gegründeten Betrugsaufklärungszentrum zielgerichtet Informationen über Verdächtige zusammen, die am Ende vor Gericht verwertbar sind.

Volkssport Versicherungsbetrug

Bisher sind solche Vorermittlungen im Auftrag der Assekuranz alles andere als selbstverständlich: „Unternehmen geben viel Geld dafür aus, dass Ermittler unzählige Details über den Delinquenten ausgegraben haben – aber nichts, was für den Prozess brauchbar ist“, sagt Dirk-Carsten Günther, der Leiter des Betrugsaufklärungszentrums in Köln.

Das Thema hat Hochkonjunktur in der Versicherungsbranche, seit es mit der Wirtschaft abwärts geht. „Hätten wir in Deutschland Vollbeschäftigung, wäre ich arbeitslos“, glaubt Göth. „Versicherungsbetrüger stecken fast immer in einer Finanzklemme“, sagt Hans-Jürgen Dannenberg, seit 20 Jahren Betrugsexperte der R+V, die mit knapp zehn Milliarden Euro an Beitragseinnahmen zu den Top Ten der deutschen Versicherer gehört. „Wir vermuten auf Basis von Polizei-Statistiken, dass die Delikte mit der Finanzkrise ansteigen“, sagt Thomas Lämmrich, Leiter der Abteilung Kriminalitätsbekämpfung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Die Branche klagt schon lange über den Volkssport Versicherungsbetrug. Nach GDV-Schätzungen liegt der Schaden bei geschätzt vier Milliarden Euro jährlich. Jeder Zehnte, der Geld von seiner Versicherung will, hat den Schaden frei erfunden oder setzt diesen zu hoch an, so eine Faustformel der Branche. In der Autoversicherung sollen sogar rund 15 Prozent der Unfälle vorgetäuscht sein oder überteuert abgerechnet werden. Ein Unrechtsbewusstsein ist selten vorhanden: „Einige Kunden rechtfertigen sich damit, dass sie schließlich lange ihre Beiträge bezahlt haben“, sagt Lämmrich. „Versicherungsbetrug ist aber eine Straftat.“

Dabei kennt die Fantasie keine Grenzen. Kommt eine neue Generation Smartphones auf den Markt, gehen auffällig viele alte Modelle durch Einwirkungen Fremder zu Bruch – und die private Haftpflichtversicherung muss blechen. Vor einer Fußballweltmeisterschaft fahren die Blitze nur so in die Fernseher – merkwürdigerweise meist bei denjenigen, die gegen Überspannungsschaden versichert sind und noch kein Flachbild-Gerät besitzen. „Hinter fast jedem gebrochenen Bein einer Brasilienurlauberin steckt in Wahrheit eine Brustoperation“, glaubt die Managerin einer Reiseversicherung. Und klamme Firmeninhaber melden Brand in ihren Gebäuden – damit der Versicherer die Hypotheken ablöst, in Altverträgen sogar dann, wenn selbst gezündelt wurde.

Reif für die Schrottpresse: Quelle: dpa

Doch ganz unschuldig ist die Assekuranz an solchen Gepflogenheiten nicht. Um keine Kunden zu verlieren, verfolgten die Versicherer lange Zeit nur die offensichtlichsten Täuschungen, weil ihnen ein simpler Ausweg offenstand. „Die Versicherer haben gezahlt und die Prämien erhöht“, sagt ein Branchenkenner. Nur rund 4800 Fälle von Versicherungsmissbrauch wurden 2008 angezeigt, die wenigsten kommen vor Gericht. Selbst die Möglichkeit, nach einem Schadensfall zu kündigen, nutzen die Versicherer bisher eher selten.

Einfach weiter wegzuschauen können sich künftig jedoch immer weniger Versicherungen leisten. Denn in Zeiten sinkender Umsätze wächst der Wettbewerbsdruck. „Die Versicherungsunternehmen, die heute keine Abwehr betreiben, werden bald im Wettbewerb ganz hinten stehen“, sagt R+V-Manager Dannenberg. R+V gilt in der Branche als Vorreiter und sparte 2008 in der Kfz-, Hausrat und Haftpflichtversicherung unter dem Strich 18 Millionen Euro durch systematische Betrugsverfolgung, bei insgesamt 661 Millionen Euro an Versicherungsleistungen. „Mit einer Erfolgsquote von 60 bis 70 Prozent übertreffen wir den Markt um das Fünffache“, sagt Dannenberg.

Betrugsaufklärung mit speziellen Teams

Offenbar stehen viele Versicherungen bei der systematischen Suche nach Betrügern erst ganz am Anfang. So scheitert eine beträchtliche Zahl von ihnen schon beim Versuch, verdächtige möglichst genau von den unauffälligen Schadensmeldungen zu trennen. Die meisten nutzen dazu elektronische Warnsysteme, die verdächtige Merkmale in den Anträgen auf Schadensersatz suchen: zum Beispiel nächtliche Unfälle ohne Zeugen, Wiederholungsfälle oder auch bestimmte Kombinationen von Fahrzeugen, die in angebliche Unfälle verwickelt sind. „Doch in vielen Schadenssystemen sind keine Datenfelder für benötigte Informationen vorgesehen, oder sie werden unter Zeitdruck nicht ausgefüllt“, berichtet Genre-Manager Fähnrich aus der Praxis.

Auch scheiterten die Systeme bisher meist bei Serientätern, die unauffällige Schadenssummen geltend machten. So meldete eine Dame mehr als 20 Mal den gleichen Glasbruch bei verschiedenen Versicherern, bis sie schließlich doch auffiel. Das neue Warnsystem „Fraud Framework“ des Softwarehauses SAS Institute und der Beratungsgesellschaft Accenture soll nun für Abhilfe sorgen und bisher verborgene Betrugsmuster aufdecken.

Wo die Technik versagt, setzen die Versicherungen immer häufiger auf Psychologie. Nach dem Vorbild des amerikanischen Fernsehdetektivs Columbo wollen sich die Betrugsspezialisten mit scheinbar naiven Fragen an die Lücken in den Lügengeschichten der Kundschaft herantasten. „Wie haben Sie sich denn gefühlt, als Sie vor den rauchenden Trümmern Ihres Hauses standen?“, fragte kürzlich eine Spezialistin des Kölner Betrugsaufklärungszentrums einen Versicherten. Der Interviewte war so perplex, dass er darauf einfach keine überzeugende Antwort wusste. Kein Wunder: Am Ende stellte sich heraus, dass er sein Haus selbst abgefackelt hatte.

Und wenn es sein muss, gehen die Kölner Ermittler auch in den Untergrund. Das musste der Deutsche feststellen, der das Verschwinden seiner schicken Yacht vor Mallorca bei der Versicherung als „typischen Diebstahl von Drogenkurieren“ gemeldet hatte. Obwohl das Boot später versenkt auf dem Meeresgrund gefunden wurde, regte sich bei den Behörden kein Verdacht. Die Rechercheure aus Köln ließen nicht locker – erst recht nicht, als sie entdeckten, dass der Besitzer das gute Stück zuvor vergeblich zum Kauf angeboten hatte. Vor Ort fanden sie heraus, dass kein Fremder das Loch im Rumpf ge-stemmt hatte, sondern der Eigner höchstselbst. Der bekommt nun einen Prozess statt Schadensersatz, Ersparnis für die Versicherung: 250 000 Euro.

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