Verstädterung Gutes Geschäft für die Industrie

Die Verstädterung führt zu immer größeren und komplexeren Aufgabenstellungen, die Kommunen bewältigen müssen. Nur wer für diese vielschichtige Nachfrage adäquat bedienen kann, wird als Unternehmen von diesem Millionengeschäft profitieren können.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Immer mehr Menschen zieht es in die Städte. Quelle: dpa

MÜNCHEN . Manch hochfliegendes Städtebauprojekt endet im Desaster. Wilfried Wienholt lässt sich jeden Tag daran erinnern. Über dem Schreibtisch des Siemens-Managers hängt der Turmbau zu Babel von Pieter Brueghel. Bis in den Himmel wollen die Menschen in der biblischen Erzählung ihren Turm bauen - und erregen mit ihrem Hochmut den Zorn Gottes. Der Turm, er wurde nie fertig.

Heute ist es weniger Größenwahn, der die Städte zu immer gigantischeren Investitionen zwingt, als pure Notwendigkeit. Um der Massen Herr zu werden, müssen sie nicht nur Hochhäuser errichten, sondern auch Nahverkehrssysteme, Wasser- und Energieversorgung ausbauen. In den nächsten Jahren werden die Städte dafür Studien zufolge rund zwei Billionen Euro pro Jahr ausgeben. Der Industrie winken lukrative Geschäfte.

Und darum frohlockt Siemens-Chef Peter Löscher: "Städte sind einer der großen Wachstumsmotoren für das Geschäft von Siemens." Und auch beim Rivalen General Electric will man den Zug nicht verpassen. "Das ist der Markt der Zukunft", sagt Georg Knoth, GE-Deutschland-Chef.

Doch so einfach ist das nicht: Die Verstädterung stellt neue Herausforderungen an die Unternehmen. Bislang verkauften sie vor allem einzelne Produkte an Metropolen. Hier eine U-Bahn, dort eine Wasserreinigungsanlage. Wer künftig vorne mitspielen will, braucht aber neue Strukturen über bisherige Ressortgrenzen und Hierarchien hinweg.

Was braucht eine Stadt dringend?

Darum gibt es bei Siemens einen Manager wie Wienholt, Leiter des City Development Boards. Er führt eine Gruppe von 50 "City Account Managern". Sie sollen, sagt Wienholt, den Städten in ihrer Region vor allem helfen, Bedürfnisse zu priorisieren. Womöglich ist es für ein Krankenhaus zunächst effizienter, Glühbirnen im Flur auszutauschen, als sparsame Computertomographen anzuschaffen. Oder für eine Stadt ist es besser, erst die U-Bahn zu modernisieren, statt ein neues Hospital zu bauen.

Für die Unternehmen ist es wichtig, dass nicht die Egoismen der einzelnen Geschäftsbereiche durchschlagen. Bei Siemens profitieren sie von den Erfahrungen mit der Initiative "Siemens One", die Flughäfen, Hotels und Krankenhäusern schon seit Jahren Komplettlösungen verkauft. Bei Städten soll dies im größeren Maßstab genauso laufen. GE bietet seine Produktpalette unter der Marke "Sustainable Cities" an.

Auch die Autohersteller suchen neue Wege. Audi lässt im höchstdotierten Architektenwettbewerb Deutschlands ausloten, wie sich das Verhältnis von Verkehr und Stadt zukünftig entwickelt.

Bei BMW ist man zu dem Schluss gekommen, dass sich heutige Autos mit starken Verbrennungsmotoren in den Metropolen bald kaum noch verkaufen lassen. Seit 2007 werkeln die Münchener an ihrem "Megacity Vehicle" mit Lithium-Ionen-Antrieb, das 2013 auf den Markt kommt. Entwickelt wird das Fahrzeug von einer Projektgruppe, die über Ressortgrenzen hinweg arbeitet. Auch für den französischen Versorger GDF Suez ist die Verstädterung ein Thema. Er sieht sich als eine Art Vollsortimenter, der von Gas über Strom bis zu Energiedienstleistungen eine breite Produktpalette anbietet. Städte und Wirtschaft müssten bei der Stadtplanung gemeinsam neue Umwelttechniken entwickeln, sagt Gérald Mestrallet, Chef von GDF Suez.

Ein Beispiel sei das neue Wohn- und Geschäftsviertel Overhoeks in Amsterdam. Die 437000 Quadratmeter Wohn- und Büroflächen werden von einem neuartigen System beheizt und gekühlt. Im Sommer wird die Hitze in den Gebäuden genutzt, um Wasser zu erwärmen; dieses wird dann in 120 Meter Tiefe ins Gestein gepumpt, wo es die Temperatur hält. Im Winter wird das warme Wasser dann in die Heizung eingespeist.

Damit lassen sich laut GDF 40 Prozent Energie einsparen - und der Kohlendioxidausstoß verringert sich auch noch. Hinzu kommt: Einsparung ist das Zauberwort in Zeiten leerer Kassen. "Was Städte brauchen, ist der Zugang zu Finanzierung", drückt es Siemens-Manager Wienholt aus. Und auch an dieser Stelle bedarf es neuer Wege.

Siemens setzt daher stark auf Energiesparverträge, bei denen der Konzern die Investition trägt und dafür über eine bestimmte Laufzeit einen Teil der eingesparten Energiekosten ausgezahlt bekommt. In bislang über 6000 Gebäuden hatte Siemens die Investitionen so vorfinanziert.

So können auch klamme Kommunen investieren. Den Unternehmen wie Siemens und General Electric winken Milliardengeschäfte. Große konjunkturelle Zyklen seien nicht zu befürchten, sagt Wienholt. "Die Städte wachsen. Der Markt kann gar nicht anders, als auch zu wachsen." Es muss ja nicht gleich bis in den Himmel sein wie damals beim Turmbau zu Babel. Mitarbeit: J. Hofer, M. Fasse, H. Alich

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%