Aus der weiten Welt

Syrien: Kampf um das sensible Herz des Nahen Ostens

Klaus Methfessel Ehem. Leiter der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten und ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Global

Der Machtkampf in Syrien verläuft blutiger und langwieriger als in den anderen arabischen Ländern. Syrien droht zum Schlachtfeld im Kampf um die Vorherrschaft im Nahen Osten zu werden.

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Wenn es um unsere Zukunft geht, schauen wir reflexartig nach Fernost. Chinas schier unaufhaltsamer Aufstieg gilt als unsere größte Herausforderung – in volkswirtschaftlicher Hinsicht. Doch für unsere nächste Zukunft ist die politische Entwicklung im Nahen Osten viel wichtiger.

Denn der Kampf um die politische Neugestaltung im südlichen Mittelmeerraum im Gefolge des arabischen Frühlings könnte dazu führen, dass die Region in unserer unmittelbaren Nachbarschaft dauerhaft von Krisen, Krieg und politischer Instabilität erschüttert wird. Mit unabsehbaren Folgen wie unkontrollierten Flüchtlingsbewegungen und Risiken für die Weltwirtschaft, die immer noch einen Großteil ihres Öls aus dieser Region bezieht.

In meinen nächsten Kolumnen befasse ich mich deshalb mit den wichtigsten Konfliktfeldern in dieser Region. Dabei stütze ich mich unter anderem auf das sehr lesenswerte Buch „The Battle for the Arab Spring“ von Lin Noueihed und Alex Warren. Noueihed hat als Korrespondent der britischen Nachrichtenagentur Reuters mehr als zehn Jahre aus dem Nahen Osten berichtet, Warren hat dort als Berater gearbeitet. Die erste Folge meiner Serie befasst sich mit Syrien, dem „sensiblen Herz des Nahen Ostens“, wie die Autoren schreiben. Wie die politische Landkarte dieser Region  zukünftig aussehen wird, hängt vor allem von Verlauf und Ausgang des Bürgerkriegs in Syrien ab.

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Wenn eine schlechte Regierung reformiert

Für das Syrien von heute gilt, was der französische Gelehrte Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) bei zeitgenössischen Regierungen beobachtete: „Der gefährlichste Augenblick für eine schlechte Regierung tritt gewöhnlich dann ein, wenn sie zu reformieren beginnt.“

Das könnte man als die Tragik des Baschar al-Assad bezeichnen. Als er nach dem Tode seines Vaters in Syrien die Macht übernahm, versuchte er die von seinem Vater Hafiz al-Assad ererbte sozialistische Kommandowirtschaft marktwirtschaftlich zu reformieren. Er milderte auch den Personenkult ab und gestand dem Volk einige kleinere Freiheiten zu.

Aber die alte Machtelite hielt weiter die Zügel in der Hand. Baschar setzte auf das chinesische Modell – ökonomische, aber nicht politische Liberalisierung. Er brachte Technokraten in die Regierung, die sich von ausländischen Experten beraten ließen, unter anderem von dem deutschen VWL-Professor Bert Rürup, der damals Vorsitzender des Sachverständigenrates war. 

In Damaskus eröffnete 2009 eine Börse, und die Regierung privatisierte Staatseigentum. Damit verschaffte Baschar sich anfängliches Ansehen als Reformer. Doch von der Liberalisierung profitierten nicht das Volk, sondern reiche sunnitische und alawitische Familien – die Machtbasis des Regimes. Nicht zufällig avancierte die von Rami Makhlouf, einem Vetter Baschars, kontrollierte Cham Holding binnen kurzem zum größten privaten Unternehmen des Landes.

Die Spaltung zwischen Arm und Reich, zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung vertiefte sich. Vom Zollabbau auf westliche Konsumgüter profitierte eine wohlhabende städtische Schicht, während Importgüter einheimische, weniger wettbewerbsfähige syrische Produkte und Arbeitsplätze obsolet machten.

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