Asphalt Warum die Bundesländer auf maximales Recycling verzichten

Ein neues Verfahren macht Asphalt fast vollständig recycelbar. Doch viele Bundesländer verbieten die Bauweise.

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Als die Walze über den heißen Asphalt rollt, schieben sich die Fenstervorhänge im ersten Stock langsam beiseite. Die ältere Dame öffnet die Fenster und beobachtet durch ihre Hornbrille, was in der Marthastraße im sonst ruhigen Kölner Stadtteil Dellbrück passiert.

Wie in Zeitlupe schiebt sich die große Maschine vor ihren Augen vorbei, während frischer Asphalt auf die Straße fließt und im kalten Wind verdampft. Die Luft herum flimmert, als blicke man im gleißenden Sonnenschein dem Horizont entgegen. Brandneuer Asphalt.

„Wir machen das schon immer so“, sagt Rudolf Mathis, dessen dreckige Handschuhe und Schmutzflecken im Gesicht von der anstrengenden Arbeit zeugen. Seit mehr als 30 Jahren asphaltiert er Straßen; für die obersten Asphaltschichten benutzt er fast ausschließlich neuen Asphalt.

Maximales Recycling im Straßenbau - davon habe er gehört, aber ob sich das auf deutschen Straßen durchsetzen werde? „Daran glaube ich nicht.“

Weniger Kosten, weniger EmissionenFür Jens Arnold klingt das wie blanker Hohn. In seinen Augen ist alter, rissiger Asphalt ein wertvoller Rohstoff, der alle Bestandteile für neue Straßen enthält. Der Geschäftsführer der Firma Storimpex aus dem norddeutschen Glinde versucht seit Jahren, Deutschlands Straßen umweltfreundlicher zu bauen und mithilfe eines besonderen Additivs aus Öl und Wachs alten Asphalt wieder nutzbar zu machen.

Bis zu 20 Prozent der bislang anfallenden Kosten und bis zu 30 Prozent Kohlenstoffdioxid könnten bei diesem Verfahren eingespart werden. Und das Beste: Es bräuchte kaum neue Rohstoffe. Nur bekommt Arnold kaum Aufträge. Länder und Kommunen halten nämlich an einer alten Vergabepolitik fest.

Trotz niedrigerer Kosten verbieten viele in ihren Ausschreibungen maximales Recycling, obwohl sie nach den Haushaltsgesetzen von Bund und Ländern zum wirtschaftlichen und sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln verpflichtet sind. „Es ist ein Skandal, dass sich die Ämter aus Bequemlichkeit neuer Innovationen verweigern“, sagt Arnold. Hier würden Steuergelder in Millionenhöhe verschwendet.

Länder und Kommunen jedoch sind sich keiner Schuld bewusst. Nach Angaben des Deutschen Asphaltverbands (DAV) wurden allein im Jahr 2013 von 14 Millionen Tonnen ausgebautem Asphalt zehn Millionen Tonnen wiederverwendet – eine Quote von rund 80 Prozent. „Es gibt kaum eine andere Branche, die so umweltfreundlich arbeitet wie die Asphaltindustrie“, sagt Bernd Hinrichs vom DAV. Nur bestehen an den zugrunde gelegten Zahlen erhebliche Zweifel.

Schwammige Statistiken trügenIm vergangenen Jahr wurden insgesamt 41 Millionen Tonnen Asphalt hergestellt und verbaut. Auch das sind Zahlen des DAV. „Die weit höhere Quote an neuem Asphalt könnte damit erklärt werden, dass Straßen kaum saniert, sondern zum größten Teil neu gebaut wurden, sodass vor Ort weiterer Ausbauasphalt nicht anfiel“, sagt Holger Schwemer, Fachwanwalt für Verwaltungsrecht der Hamburger Kanzlei Schwemer Titz & Tötter.

Wir halten fest: 41 Millionen Tonnen neuer, 14 Millionen Tonnen aufgebrochener und davon zehn Millionen Tonnen wiedervewerteter Asphalt - das klingt nach sehr viel Neubau. Doch wer einen Blick auf Deutschlands Straßen wirft, weiß genau: Neu gebaut wird kaum.

Deshalb ist für Schwemer klar: In Deutschland wird weitaus mehr Asphalt ausgebaut, als die Daten  vermuten lassen. Der Grund: „In der Statistik wird nur jene Ausbaumenge erfasst, die bei den Asphaltmischanlagen angeliefert wird“. Der Rest des Ausbauasphalts sei anderweitig verwendet oder gar entsorgt worden, werde auf jeden Fall nicht mitgezählt. Vermutlich 15 bis 20 Millionen Tonnen, die nicht recycelt werden, aber auch nicht in der Statistik auftauchen.

Stimmt Schwemers Vorwurf, dann könnten jährlich bis zu 30 Millionen Tonnen Asphalt wiederverwertet werden. Nicht bloß 10, wie der DAV angibt. Zahlentricks, die für Schwemer vor allem eines kaschieren: „Einen klaren Verstoß gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz.“

Recycling? Gerne, ein bisschen ...Das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist das zentrale Gesetz des deutschen Abfallrechts. Es verpflichtet Behörden zu prüfen, ob sie Abfälle vermeiden, sie für eine Wiederverwendung vorbereiten und damit bestenfalls recyceln und wiederverwenden können. „Im Zweifel hat also der Bauvortrag Vorrang, der in Bezug auf die Abfallbewirtschaftung die Umwelt am wenigstens belastet“, sagt Schwemer. Im Straßenbau hieße das: Maximalrecycling hat Vorrang. Doch was das heißt, davon haben die Straßenämter ganz unterschiedliche Definitionen.

Die Crux liegt in der unterschiedlichen Güte der Asphaltschichten: Jede Straße besteht aus drei Lagen Asphalt. Je höher die Lage, desto wertvoller die Bestandteile. In der Deckschicht und Binderschicht, den höchsten Asphaltschichten einer Straße, wird deshalb besonders hochwertiges Bitumen eingesetzt, ein Bindemittel aus Erdöl, das die Gesteinskörner in der Straßendecke zusammenhält.

Wird eine Straße saniert, werden die einzelnen Schichten abgefräst, aufbereitet und wieder verwendet. Seit Jahren werden so in manchen Regionen bis zu 90 Prozent des alten Asphalts recycelt.

Dem Kreislaufwirtschaftsgesetz zufolge muss das Bitumen nämlich möglichst hochwertig wiederverwertet werden. Wird Bitumen aus der Binder- und Deckschicht ausgebaut, muss es also auch genau in diesen Schichten wieder eingebaut werden. „Stattdessen versenken die Baufirmen die wertvollen Rohstoffe in der untersten Tragschicht“, moniert Arnold. Selbst in Lärmschutzwällen, als Frostschutz unter Straßen oder auf Schotterwegen im Feld werde der teure Rohstoff verwendet. Mindestens 20 Prozent sollen es nach Angaben des Deutschen Asphaltverbands sein.

In Deckschichten allerdings, da wo es eigentlich hingehört, ist das sogenannte Asphaltgranulat meist Fehlanzeige. Bis heute wird Maximalrecycling in vielen Ausschreibungen Hessens, Sachsen-Anhalts, Bayerns, des Saarlands, Mecklenburg-Vorpommerns, Thüringens, Berlins, Brandenburgs oder Bremens sogar verboten.

Risikobewusstsein oder schlichtweg Ausreden?Die Länder haben ihre Gründe. So sei nicht jede Straße maximal recycelbar, heißt es beispielsweise aus dem Bayerischen Staatsministerium des Inneren für Bau und Verkehr. „Es wäre fahrlässig, viel befahrene Straßen mit recyceltem Material zu asphaltieren und damit Unfälle zu riskieren“, sagt Michael Siefener, Pressesprecher des Staatsministeriums.

Aus Brandenburg heißt es, man habe mehr Recyclingmaterial, als man überhaupt verwenden könne. Es anderen Ländern zu Verfügung zu stellen? „Das wäre viel zu teuer“, sagt Thomas Forbriger, Dezernatsleiter der brandenburgischen Straßenbauverwaltung. In Bremen glaubt man einfach nicht an die Haltbarkeit des recycelten Materials. „Unserer Witterung halten noch nicht einmal die Bauwerke der Römer stand“, beteuert Martin Stellmann vom örtlichen Straßen- und Verkehrsamt. Und in Mecklenburg-Vorpommern fehle schlichtweg die Technologie.

Für Christian Arnold sind das alles Ausreden. Seit fünf Jahren werde sein Additiv aus Öl und Wachs erfolgreich im Asphalt auf Straßen in Hamburg und Baden-Württemberg. Selbst auf viel genutzten Straßen wie der Einkaufsmeile Mönckebergstraße in Hamburg oder dem von LKW viel befahrenen Veddeler Damm im Hamburger Hafen gibt es laut städtischem Straßenbauamt keine Probleme. Hier weiß man: „Asphalt ist ein Baustoff mit einem hohen Wiederverwendungsgrad – den gilt es voll und ganz zu nutzen.“

Statt dem höchstmöglichen Anteil wird in manchen Ländern aber eben nur ein kleiner Anteil des ausgebauten Asphalts tatsächlich wieder im Straßenbau eingesetzt. In den Deckschichten der Straßen von Bayern und Thüringen sind es gerade mal 20 beziehungsweise zehn Prozent, obwohl laut Arnold bis zu 95 Prozent des alten Materials recycelt werden könnten.

Gegen den Rechtsbruch der Länder klagen kann er allerdings nicht. „Werden Bauaufträge ausgeschrieben, kann nur derjenige Klagen, der übergangen wurde, obwohl er ein besseres Angebot macht“, sagt Fachanwalt Schwemer. Die Firma Storimpex, die ihr Additiv an Straßenbauunternehmen liefere und damit im Hintergrund des Wettbewerbs stehe, könne deshalb eine rechtswidrige – weil nicht umweltfreundliche oder zu teure – Auswahlentscheidung nicht angreifen, weil sie nicht in dem direkten Konkurrenzverhältnis der Baufirmen steht. Sollte sich im Gesetz nichts ändern, werde Arnolds Verfahren auch in Zukunft von vielen Straßenbauämtern verboten. Dann heißt es wie auf Mathis Baustelle weiterhin: „Das haben wir doch schon immer so gemacht.

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