Instrumente aus Müll Das ungewöhnlichste Orchester der Welt

Wie klingen Geigen aus Konservendosen und Celli aus Ölfässern? So gut, dass nun ein Film über darüber entsteht.

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„Die Welt schickt uns Müll, wir geben ihr Musik zurück“, sagt Favio Chávez. Und das tut er wirklich. Er leitet in Asuncion, der Hauptstadt Paraguays, das Recycled Orchestra, dessen jugendliche Musiker ausschließlich auf Instrumenten spielen, die sie selbst aus Müll zusammengebaut haben. Kontrabässe und Celli aus alten Ölfässern, eine Querflöte aus einem Wasserrohr und Geigen aus Konservendosen. Abfall wird zu Klangkörpern.

Das Ergebnis ist das ungewöhnlichste Orchester der Welt. Und mit der Geschichte dieses Orchesters will sich nun der Dokumentarfilm „Landfill Harmonic“ befassen, der von Internet-Nutzern aus aller Welt finanziert wird.

Besonders sind auch die 30 Orchestermitglieder aus dem Slum Cateura am Rande einer Müllkippe. Ohne ihre Recycling-Instrumente hätten die Jugendlichen nie die Chance gehabt, Musik von Mozart, Vivaldi oder Haydn zu spielen. Die Welt der klassischen Musik wäre vielen von ihnen ansonsten verschlossen geblieben. „Cateura ist ein Ort, an dem die Menschen eigentlich keine Instrumente besitzen. Eine Geige ist mehr wert, als ein ganzes Haus hier“, sagt Chávez im Trailer zu seinem Film.

Der Film von US-Regisseur Graham Townsley soll Anfang nächsten Jahres vorgestellt werden. Es ist eine Dokumentation über die neue Leidenschaft der Jugendlichen und ihrer Begeisterung für Musik aus recyceltem Abfall. „Ohne die Musik wäre mein Leben wertlos“, sagt eine der Protagonistinnen.

Müll-Orchester-Dirigent Chávez ist studierter Umwelttechniker und selbst leidenschaftlicher Musiker.

Mit dem Projekt „Recycled Orchestra“ verbindet er aber nicht nur seine eigenen Interessen. In erster Linie will er auf die enorme Umweltverschmutzung aufmerksam machen, die durch vernünftiges Recycling zumindest reduziert werden kann. Gegenüber Fox Latin America sagte Chávez: „Ich habe dieses Orchester ins Leben gerufen, um den Menschen der Welt dieses Problem bewusst zu machen und sie zu erziehen“.

Neue Perspektiven durch MusikDarüber hinaus will Chávez die extreme Armut in den Slums von Asuncion zum Thema machen. Die knapp 2.500 Familien von Cateura haben kaum mehr als wenige Dollar pro Woche zum Leben. Der Vorort der Hauptstadt ist zudem für seine Gangs und Drogenkriminalität berüchtigt. So merkwürdig es aus europäischer Perspektive klingen mag: Für die Slum-Bewohner ist die angrenzende Müllkippe der einzige Lichtblick. Die Erwachsenen finden hier regelmäßig Arbeit und die Kinder verdienen Geld, indem sie Müll sortieren und brauchbare Dinge weiterverkaufen.

Bis 2011 arbeitete Dirigent Chávez als Umwelttechniker auf der Müllkippe. Als er das Elend des Slums sah, fasste er den Entschluss, den Jugendlichen mit einer musikalischen Ausbildung neue Perspektiven zu eröffnen. Schon bald war die Nachfrage so groß, dass seine eigenen Instrumente nicht mehr ausreichten. Die Idee für die Lösung des Problems kam ihm bei der täglichen Arbeit: Instrumente aus Müll.

„Am Anfang war es wirklich schwer und der Lernprozess hat eine Weile gedauert. Aber nach vier Jahren haben wir herausgefunden, welche Materialien am besten für die Resonanz sind. Schließlich haben wir die Instrumente gebaut, die wir jetzt noch nutzen“, sagt Chávez.

Um die Geschichte der jungen Musiker in “Landfill Harmonic” dokumentieren zu können, hat Regisseur Townsley über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter Geld gesammelt. In 47 Tagen kamen dabei 214.129 Dollar zusammen, knapp 40.000 Dollar mehr, als erhofft. Das Geld braucht der Regisseur, um das Projekts fertig zu stellen – der Film befindet sich bereits in der Postproduktion.

Doch das Projekt kommt jetzt schon an. Nachdem der Regisseur im Dezember eine Vorschau auf Facebook gepostet hatte, teilten Nutzer das Video mehr als 700.000 Mal.

Doch auch ohne den Film haben es die 30 Jugendlichen vom Recycled Orchestra schon zu weltweitem Ruhm gebracht. Mit Hilfe der „Sonidos De La Tierra“, auf Deutsch den “Klängen der Erde”, einer Organisation die unterprivilegierten Kindern und Jugendlichen aus Paraguay zu einer musikalischen Ausbildung verhilft, ist das Recycled Orchestra bereits in Argentinien, Brasilien und Deutschland aufgetreten.

Schon mehr als 700 InstrumenteDie Organisation will die Idee der Müll-Instrumente nun weiter verbreiten. Laut einem Bericht des Internet-Portals Odditycentral sollen bereits 12.000 Menschen an Kursen mit den außergewöhnlichen Instrumenten teilgenommen haben. Mehr als 700 Instrumente seien auf diese Weise in Südamerika schon entstanden, die bei weltweit 80 Konzerten präsentiert wurden.

Hier sehen Sie einen Live-Mitschnitt des Recycled Orchestra:



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