Recycling Dieses japanische Dorf will seinen Müll zu 100 Prozent wiederverwerten

Die Bewohner von Kamikatsu haben 34 Mülleimer - so wollen sie 100 Prozent Recycling erreichen.

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Drei unterschiedliche Tonnen reichen manchmal schon, damit man ratlos mit seinem Müll in der Hand davor steht. Kommt Styropor in den gelben Sack oder den Restmüll? Kaffeefilter in die Biotonne? Und was bitte stelle ich mit alten Nägeln an? Die Einwohner von Kamikatsu in Japan haben für so etwas nur ein müdes Lächeln übrig. Bei ihnen bedeutet Recycling, 34 verschiedene Tonnen zu nutzen.

Das mag auf den ersten Blick übertrieben scheinen, ist aber Teil des "Zero Waste"-Plans der Gemeinde. Bis zum Jahr 2020 will der Ort 100 Prozent seines Mülls recyceln. Momentan liegt die Quote des Dorfes auf der Insel Shikoku bei 80 Prozent, der Rest wandert noch auf die Müllhalde. Die Zero Waste Academy, eine von der Ortsverwaltung gegründete Non-Profit-Organisation, leitet das Projekt und guckt, dass die Einwohner den Müll ordentlich sortieren.

Und das ist keine leichte Aufgabe. Plastikflaschen für Sojasoße müssen von PET-Flaschen für Wasser getrennt werden, die Deckel kommen natürlich auch in einen separaten Eimer, genauso wie die Etiketten. Glasflaschen sind zusätzlich noch nach Farbe getrennt. Aluminiumdosen, Rasierer, Feuerzeuge, Styropor, Shampoo Flaschen, Klopapierrollen, Zeitungen, Karton, Magazine: Für alles gibt es einen eigenen Eimer. Und alles muss fein säuberlich ab- und ausgewaschen werden, bevor es zum Zero Waste Center kommt.

"Die Behälter gründlich zu spülen, so dass keine Überreste daran bleiben, ist harte Arbeit", erzählt die Dorfbewohnerin Hatsue Katayama in einem Video von Seeker Stories. "Das kann sehr nervig sein, und am Anfang waren wir dagegen." Und es ist nicht nur das Sortieren und Waschen, das die Einwohner übernehmen. Eine Müllabholung gibt es nicht. Bioabfälle kommen in die Kompostbehälter, die fast jeder Haushalt zu Hause hat. Den Rest müssen sie selbst zum Waste Collection Center bringen, wo die verschiedenen Eimer und Container aufgereiht stehen. Das motiviert die Menschen zwar, von vornherein weniger Müll zu produzieren. Für viele der gut 1700 Einwohner ist es aber vor allem eine anstrengende Aufgabe, besonders da rund die Hälfte von ihnen über 65 Jahre alt ist.

Das Recycling spart GeldIm Center kontrollieren dann Mitarbeiter, dass der Müll auch tatsächlich richtig sortiert ist. An jedem Eimer steht ein Schild, auf dem beschrieben ist, wie das Material weiterverarbeitet wird und welche Kosten oder Einsparungen die Gemeinde dadurch hat. Und die spart tatsächlich einiges an Geld. „Durch das Recyceln senken wir unsere Kosten auf ein Drittel im Vergleich zu den Kosten, die wir hatten, als wir alles verbrannt haben“, sagt Akira Sakano, stellvertretender Vorstand bei der Zero Waste Academy.

Das neue Recyclingsystem hat der Ort im Jahr 2003 eingeführt. "Zuvor gab es in Kamikatsu offene Müllverbrennung", erklärt Akira Sakano. "Aber die Leute haben erkannt, dass das der Umwelt und der Gesundheit der Menschen schadet." Im Jahr 2000 hatte die japanische Regierung neue Regulationen eingeführt, um den Dioxinausstoß zu verringern. Diese beinhalten strengere Richtlinien für die Müllverbrennung. Das war wohl der Anstoß, das System in Kamikatsu zu ändern.

Am Anfang musste das Team der Zero Waste Academy einige Überzeugungsarbeit leisten. Kein Wunder, haben die Einwohner doch auf einen Schlag einen Haufen neuer Regeln und Aufgaben vor die Nase gesetzt bekommen. Begeistert waren zuerst die wenigsten. Aber mittlerweile hat sich das geändert. Für viele ist es einfach eine Gewohnheitssache: "Wenn man sich daran gewöhnt, wird es normal", meint Hatsue Katayama. "Mittlerweile denke ich gar nicht mehr darüber nach. Es ist ganz natürlich, den Müll korrekt zu trennen."

"Zero Waste" ist noch ein Stück entferntNeben dem Zero Waste Center gibt es auch noch andere Recycling-Projekte in dem Ort. Im "Kuru Kuru"-Laden kann man seine alten Sachen, soweit noch brauchbar, abgeben oder kostenlos andere Sachen mitnehmen. Außerdem gibt es einen Workshop, wo Frauen aus dem Dorf Sachen wie alte Kimonos und andere Klamotten zu Teddybären, Taschen und Pullovern weiterverarbeiten.

Zwar klingt das Konzept in Kamikatsu ziemlich gut, aber es gibt auch vereinzelte Kritiker, die die Sache nicht nur rosig sehen. Zum einen sei der Begriff "Zero Waste" nicht ganz korrekt. Denn beim Recycling gehe es hauptsächlich ums "Downcycling". Das heißt, dass die Produkte aus wiederverwerteten Materialien eine geringere Qualität haben als die Ursprungsprodukte und irgendwann wahrscheinlich dann doch im "klassischen" Müll landen. Auch leben die Einwohner des Dorfes sehr verteilt, teilweise auch in unterschiedlichen Höhenlagen, und müssen immer mit dem Auto zum Recycling Center fahren. Das reduziere den positiven Umwelteffekt des Systems.

Trotzdem: ein Schritt in die richtige Richtung. Zwar ist das"Zero Waste"-Ziel noch ein ganzes Stück entfernt, aber der Trend sieht gut aus. Im letzten Jahrzehnt ist die Recyclingrate in dem Ort von 55 auf 80 Prozent gestiegen. Schon damit hat die Gemeinde für Aufsehen gesorgt. Regelmäßig besuchen Schüler das Dorf, aber auch internationale Touristen kommen nach Kamikatsu, um sich das System anzuschauen. Im Jahr 2014 waren 2500 Besucher dort.

Kamikatsu ist allerdings nicht die einzige Stadt, die eine hohe Recycling Rate aufweisen kann. In den USA gibt es beispielsweise einige Städte, darunter Berkeley in Kalifornien, die berichten, eine Rate von über 70 Prozent zu haben. Da wird es, natürlich auch bedingt durch die Größe der Städte, wohl aber schwer, die 100 Prozent zu erreichen. Bei Kamikatsu ist das schon wahrscheinlicher.

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