Recycling Wie aus Klärschlamm Kohle wird

In Lingen wandelt Klaus Herrmann Abwasser in Kohle um. Denn im Klärschlamm steckt mehr, als man denkt.

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Klaus Herrmann ist ein freundlicher älterer Herr, schüttere Haare, wacher Blick. Mit einer besonderen Vorliebe: Der emeritierte Professor steht auf Kohle. Genau gesagt auf Biokohle, die er selbst erzeugt. Und die kommt nicht aus einem Bergwerk, sondern aus dem Faulturm eines Klärwerks.

Klärschlamm, das Ausgangsmaterial dieser Biokohle, steht täglich in großen Mengen zur Verfügung. Es ist sozusagen ein regionales Gemeinschaftserzeugnis, zu dem jeder einzelne von uns regelmäßig seinen Beitrag leistet. Rund sieben Millionen Tonnen Klärschlamm werden in Deutschland jährlich aus Abwasser gewonnen, das entspricht zwei Millionen Tonnen Trockensubstanz. Und die müssen entsorgt werden. Möglichst kostengünstig, umweltfreundlich und nährstoffschonend.

Denn Klärschlamm besteht nicht nur aus zahlreichen Schadstoffen, er enthält auch wichtige Nährstoffe, wie etwa den immer seltener werdenden Phosphor, dessen Recycling sich lohnt. Deshalb verbrauchen Landwirte fast ein Drittel des Schlamms als Dünger-Zusatz. Über die Hälfte wird „thermisch verwertet“, also verbrannt.

Zwei Entsorgungswege, die aber in der Kritik stehen: Auf den Feldern sind die Schadstoffe ein Risiko für Böden und Grundwasser, in der Verbrennung geht unter anderem der Phosphor verloren, der als Nährstoff für Menschen, Tiere und Pflanzen von unschätzbarem Wert ist.

Ein Dilemma, dessen sich Klaus Herrmann angenommen hat: Der 78-jährige Biochemiker hat einen besonders effektiven Weg gefunden, den Schlamm in Biokohle umzuwandeln. Im Klärwerk der Stadt Lingen forscht er an einem entsprechenden Projekt.

Zuvor lehrte er 38 Jahre an der renommierten Purdue University in West Lafayette, Indiana (USA) bevor er 2005, nach seiner Pensionierung, zurück nach Deutschland kam. Das war für ihn jedoch kein Grund sich zurückzulehnen und nichts mehr zu tun. 2007 startet der gebürtige Lingener seine Untersuchungen zur Hydrothermalen Carbonisierung (HTC).

 Braunkohle aus BiomasseDabei handelt es sich, wie er erklärt, um die Herstellung von Braunkohle aus Biomasse. Ein Prozess, der auch in der Natur vorkommt, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied. Bei Herrmann dauert er nicht 50.000 oder sogar einige Millionen Jahre, sondern nur noch einige Stunden. „Das Verfahren wurde bereits vor gut 100 Jahren vom deutschen Chemiker Friedrich Bergius beschrieben“, erklärt Herrmann. „Dafür bekam er sogar den Nobelpreis. Kurz, nachdem ich aus den USA zurückkam, erlebte HTC eine Renaissance als eine Möglichkeit zum Klima- und Ressourcenschutz. Und das weckte auch mein Interesse.“ Vorreiter sei damals Prof. Dr. Markus Antonietti gewesen, Leiter des Max-Planck-Instituts (MPI) für Kolloid- und Grenzflächenforschung, der das Verfahren modernisierte.

HTC lohnt sich energetisch und wirtschaftlich nur dann, wenn wässrige oder stark wasserhaltige organische Rest- und Abfallstoffe zum Einsatz kommen. Ungepresster Klärschlamm enthält 95 bis 98 Prozent Wasser. Wird er gepresst, besteht er immer noch aus ca. 70 Prozent Flüssigkeit. Beste Voraussetzungen also, um sie in Kohle umzuwandeln.

Mit dem Lingener Klärwerk findet Herrmann einen Kooperationspartner, der ihn im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt. „Begonnen habe ich mit einer kleinen Forschungsanlage. Meine jetzige Versuchsanlage fasst 130 Liter und ich kann nun noch umfangreicher arbeiten“, so der Forscher. In einer Halle direkt neben dem Faulturm zeigt er die aktuelle HTC-Forschungsanlage. Unterstützung bei der Montage bekam er von den Handwerkern des Klärwerks. Ein Unikat, selbst entworfen, selbst gebaut und selbst finanziert, verrät der Professor, dessen Leidenschaft für seine Arbeit auch mit 78 Jahren unverkennbar ist.

Um seine Kohle herzustellen, nimmt er den Faulschlamm direkt aus dem Faulturm, der dann im Reaktor der Versuchsanlage auf 240 Grad erhitzt wird. Dadurch wird eine exotherme Reaktion ausgelöst, eine chemische Reaktion der Inhaltsstoffe also, die Hitze erzeugt. So kann der Schlamm über mehrere Stunden, ohne weitere Energiezufuhr, auf dieser hohen Temperatur gehalten werden. Praktischer Nebeneffekt: Die überschüssige Wärme aus dem Reaktor wird außerdem über einen Wärmetauscher zum Heizen genutzt.

Mit einem weiteren Prozess lässt Herrmann die Masse wieder abkühlen. Sowohl zum Erhitzen als auch das Abkühlen nutzt er ein spezielles Öl, das über ein Kreislaufsystem zwischen die Reaktordoppelwand gepumpt wird. Im letzten Schritt erfolgt das Filtern und Trocknen des abgekühlten Biokohleschlamms. „Wir haben hier eine Energie-Plus-Anlage, das heißt, es wird mehr Energie erzeugt als benötigt, denn am Ende haben wir ja auch noch die Kohle als Energieträger“, so Professor Herrmann.

Unterschiedliche ForschungsansätzeAuch andernorts forscht man am Klärschlamm: Das Unternehmen AVA-CO2 mit Hauptsitz in der Schweiz sowie das Düsseldorfer Unternehmen TerraNova Energy verfolgen einen ähnlichen Ansatz. TerraNova hat bereits einige Pilotanlagen in Teilbetrieb. Der Dauerbetrieb in einer deutschen Kläranlage sei in zwei Jahren geplant, so Geschäftsführer Marc Buttmann. Ein Viertel des dort anfallenden Klärschlamms solle dann in Biokohle umgewandelt werden.

Herrmanns Ansatz hat allerdings einen, wie er sagt, ganz entscheidenden Vorteil: „Die anderen verwenden gepressten Klärschlamm. Ich nehme den Schlamm direkt aus dem Faulturm.“ Eine teure Pressung des Schlamms ist damit überflüssig. Teuer, weil der Schlamm dazu mit Zusätzen wie Polymeren und Eisensalzen behandelt werden muss – was wiederum auch ökologisch fragwürdig ist. Ab 2017 darf deshalb nur noch Klärschlamm zur Düngung verwendet werden, dessen Polymere biologisch abbaubar sind. Aus einer Tonne ungepressten Klärschlamms mit einem Wassergehalt von 97 Prozent erzeugt Herrmann rund 30 Kilo Biokohle.

Unabhängig vom Verfahren entspricht der Heizwert der Biokohle dem Rheinischer Braunkohle. Mit dem Unterschied, dass die Biokohle mittelfristig betrachtet CO2-neutral ist, denn das enthaltene CO2 wurde ja auch erst kürzlich der Atmosphäre entnommen. Würde man die Kohle lagern, wäre sie sogar ein CO2-Speicher.

Ein weiterer Vorteil ist, dass die Medikamentenrückstände im Klärschlamm durch die hohe Temperatur und den hohen Druck im Reaktor unschädlich gemacht werden. Schwermetallrückstände bleiben hingegen in der Biokohle gebunden. Deshalb ist ihre Verbrennung nur in Anlagen mit entsprechenden Filtern möglich.

Auch die Rückgewinnung des wertvollen Phosphors, der nicht nur als Dünger, sondern auch als Trockenmittel und zur Brandregulierung genutzt wird, sei laut Herrmann „machbar“. Und während des HTC-Prozesses sogar günstiger und einfacher, als bei der Klärschlammverbrennung – das zumindest ergibt eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Phosphor ist eine endliche Ressource, weshalb das Phosphorrecycling auch ein umweltpolitisches Ziel der Bundesregierung ist. Experten schätzen, dass die natürlichen Phosphorressourcen noch 50 bis 130 Jahre halten – spätestens dann wäre Recycling die einzige Phosphorquelle.

Belastetes AbwasserNeben der Biokohle entsteht aber auch das sogenannte HTC-Prozesswasser. Wegen seines erhöhten chemischen Sauerstoffbedarfs (CSB) ist es gesondert zu behandeln. Der CBS gibt Auskunft über die oxidierbaren Stoffe im Wasser und sagt damit etwas über die Belastung des Wassers aus. Laut Herrmann sind bereits 80 Prozent des CSB biologisch abbaubar. An einer optimalen Lösung arbeitet er derzeit.

Hier ist TerraNova bereits einen Schritt weiter. Geschäftsführer Buttmann: „Im Prozesswasser stecken mehrere Potenziale. Zurzeit nutzen wir es energetisch, indem wir es wieder in den Faulturm leiten und damit zusätzlich Biogas erzeugen.“ Dabei verringere sich auch die Belastung deutlich.

Ganz abbauen lässt sie sich bisher nicht. Sie liege aber unterhalb der Grenzwerte des Abwassers, versichert Buttmann. Alternativ könne das Prozesswasser auch zu Flüssigdünger verarbeitet werden, denn es enthält ebenfalls noch Phosphor. Für Buttmann, dessen Klärschlammverwertung immerhin den Innovationspreis der Deutschen Wirtschaft gewonnen hat, ist das allerdings noch Zukunftsmusik.

Einen Preis hat Klaus Herrmann noch nicht gewonnen, noch arbeitet er ja auch nicht im industriellen Maßstab. Mehr als 250 Versuche im Labormaßstab hat er mittlerweile durchgeführt, um die optimalen Bedingungen für die Klärschlamm-Umwandlung herauszufinden.

Dass sein Konzept wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll ist, konnte er in der vergleichsweise kleinen Versuchsanlage bereits beweisen. In gut zwei Jahren soll deshalb eine große Industrieanlage folgen, die in einem kontinuierlichen Prozess ca. 50 Prozent des anfallenden Faulschlamms in Kohle umwandelt.

„Wenn die Anlage erst einmal optimal funktioniert, können ohne weiteres auch 100 Prozent des anfallenden Klärschlamms eines Klärwerks in Biokohle umgewandelt werde. Es werden dann mehrere Anlagen miteinander verbunden“, so seine Überlegung. Ein interessierter Anlagenbauer ist schon gefunden. Für die Finanzierung, Herrmann schätzt das Projekt auf rund zwei Mio. Euro, hofft er auch auf die Unterstützung durch Fördergelder.

Dass sein Verfahren für Kläranlagen wirtschaftlich ist, macht der 78-Jährige am Beispiel des Lingener Klärwerks deutlich. „Täglich gehen 20 Tonnen gepresster Klärschlamm zur Verbrennung ins gut 50 Kilometer entfernte Kohlekraftwerk nach Ibbenbüren. Da er noch 70 Prozent Wasseranteile hat, muss er dort vor der Verbrennung mit viel Energieaufwand getrocknet werden. Und der Phosphor ist auch verloren.“ Ein Aufwand, der sich mit seiner Methode deutlich reduzieren ließe.

Grundsätzlich kann die Biokohle auf üblichem Weg thermisch entsorgt - also verbrannt - werden. Herrmann könne sich aber auch Verbrennungsanlagen für Biokohle vorstellen, die im Gegensatz zu den derzeitigen Verbrennungsanlagen Energie erzeugen – sozusagen Biokohle-Kraftwerke. Sein Wunsch für die Zukunft: „Wenn regionale Kläranlagen gemeinsam eine Verbrennungsanlage betreiben, wäre über kurze Wege die regelmäßige Lieferung der Biokohle und damit die Wirtschaftlichkeit der Anlage gesichert.“ Wenn dann auch noch der Phosphor optimal recycelt werden kann, würde seine Forschung nicht nur die Energiewende, sondern auch die Landwirtschaft ein gutes Stück weiterbringen.

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Dieser Text ist Teil der Reihe “Die Zukunft vor der Haustür: Grüne Innovationen aus den Regionen”, die im Rahmen einer Kooperation zwischen WiWo Green und dem Studium Nachhaltigkeit und Journalismus der Leuphana Universität Lüneburg entstanden ist. Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

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