Segelenergie Forscher will tausende schwimmende Kraftwerke bauen

Michael Sterner will mit Spezialschiffen Wasserstoff produzieren, der Autos antreibt. Ist das die Lösung des Treibstoffproblems?

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Kürzlich saß der Energieexperte Michael Sterner mit CDU-Bundesumweltminister Peter Altmaier zusammen und sprach über die Zukunft der Energiewende. Mit der Umstellung der Stromversorgung gehe es ja voran, sagte Altmaier. Aber den Verkehr mit grünen Kraftstoffen zu versorgen, sei weitaus schwieriger.

Also fragte er Sterner, Professor für Energiespeicher und Energiesysteme an der TH Regensburg, wie viele Windanlagen man zusätzlich bräuchte, um mindestens die Hälfte des Kraftstoffverbrauchs in Deutschland mit grünen Treibstoffen zu decken?

Gerade sorgte der Autohersteller Audi mit seinem Projekt für Diskussionen, im niedersächsischen Werlte Windstrom umweltfreundlich in Methangas umzuwandeln. Das Gas wiederum können die Autos von Audi tanken.

Sterner überlegte kurz und führte dem Umweltminister eine Rechnung vor, die auf einen Bierdeckel passt:

Heute seien rund 23.000 Windräder in Deutschland mit einer Leistung von gut 30 Gigawatt installiert. Um die Hälfte der Autos in Deutschland mit dem grünen Gas anzutreiben, benötige man aber mindestens Windkraftanlagen mit einer Leistung von 350 Gigawatt.

Zwar liegt das theoretische Potenzial der Windenergie in Deutschland bei mehr als 1000 Gigawatt Leistung. Dann wären aber auch 14 Prozent der Landesfläche mit den Stelzenkraftwerken besetzt.

Altmaier winkte ab – schon jetzt sei es vielfach schwierig, die Bürger von Windparkprojekten zu überzeugen.

Autofahren mit Windgas - mit Windanlagen an Land kaum realisierbarDas Treffen von Energieforscher und Umweltminister zeigt das große Problem vor dem nicht nur Deutschland, sondern alle Industrienationen derzeit stehen. Denn für eine Energiewende stehen Technologien bereit. Aber wie man den Autoverkehr im großen Stil nachhaltiger macht, ist bisher ein Rätsel ohne einfache Lösung.

Noch weiß niemand, wann und wie effiziente Elektroautos wirklich zu einem Verkaufsschlager werden. Biotreibstoffe stehen jetzt schon in der Kritik, weil sie der Nahrungsmittelproduktion Konkurrenz machen.

Aber Sterner konnte Peter Altmaier noch eine Alternative bieten, die den Umweltminister aufhorchen lies. Denn der Forscher arbeitet mit seinem Assistenten Thomas Raith seit mehr als einem Jahr an einem Konzept, das er mit „Segelenergie“ überschrieben hat.

Fahrende KraftwerkeDer Plan: Wenn an Land kein Platz für Windräder ist, muss die Energie auf dem Meer produziert werden.

Aber Sterner plant nicht etwa hunderte Offshore-Windparks vor den Küsten zu errichten, sondern hat noch weiter gedacht. Er will neuartige Segelschiffe in den Nordatlantik hinausschicken, die Wasserstoff produzieren. Den bringen sie zurück an Land, wo ihn Autos tanken können.

Nun könnte man einwenden, dass Sterners Idee so weit von einer Realisierung entfernt ist wie Regensburg von der Nordsee.

Aber Sterner hat sich als Forscher schon einen Namen beim renommierten Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel (IWES) gemacht, wo er viele Jahre arbeitete. Er war einer der ersten Wissenschaftler in Deutschland, der sich damit beschäftigte, wie man Strom in Wasserstoff und Methangas umwandelt und so speichert.

Erste Berechnungen von Sterner und Raith haben ergeben, dass der Wasserstoff vom Meer rund 16 Cent pro Kilowattstunde kosten könnte. Da ein Brennstoffzellen-Auto für 100 Kilometer rund 30 Kilowattstunden Wasserstoff benötigt, würde die Tankfüllung für diese Strecke ohne Steuern und Abgaben 4,80 Euro kosten. Der Treibstoff für ein sehr sparsames Dieselauto wäre auf dieser Strecke ohne Abgaben für rund die Hälfte zu haben.

Konkurrenzfähig durch steigenden Ölpreis„Sicher, heute sind wir mit unserer Idee zu Benzin und Diesel noch nicht konkurrenzfähig“, sagt Sterner. „Werden die aber in Zukunft teurer, wird sich das ändern.“

Im Grunde ähneln Sterners Energieschiffe einem Tanker mit rund 100 Metern Länge. Seinen Vortrieb erhält das Boot durch sogenannte Flettner-Rotoren, die sehr viel effizienter als Segel sind. Während der Fahrt produzieren Turbinen, die unter dem Boot angebracht sind und von der Strömung angetrieben werden, den Strom.

Ein sogenannter Elektrolyseur wandelt den Strom dann auf dem Schiff in Wasserstoff um. In einem zweiten Schritt kann das Gas auch mit CO2 vermengt zu Methan werden, einem Erdgasersatz.

Der Vorteil sei, sagt Sterner, dass alle Technologien, die er für sein Projekt brauche, schon weitgehend entwickelt seien. „Die Schiffstechnik ist nicht aus der Luft gegriffen, Meeresströmungsturbinen gibt es auch, Energiewandlung und Speicherung ist geläufig.“ Jetzt gehe es darum, alle Technologien zu verknüpfen.

Aber auch wenn die Umsetzung auf einem einzelnen Schiff klappen würde, warten noch größere Aufgaben. Was Sterner jetzt schon weiß: Allein um fünf Prozent des deutschen Kraftstoffbedarfs zu decken, müssten 2200 seiner Schiffe auf dem Meer kreuzen. Ein Schiff soll laut Sterner rund 30 Millionen Euro kosten, die Betriebskosten würden pro Jahr bei rund zwei Millionen liegen.

Route durch den NordatlantikSo gigantisch die Zahlen klingen – seine Idee habe dennoch Vorteile, sagt Sterner. Im Gegensatz zu Windanlagen an Land und vor der Küste würde die Landschaft durch Schiffe nicht beeinträchtig. Außerdem stehe sein Meeressprit nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelherstellung wie bei aktuellen Biotreibstoffen.

Die Idee mit den Energieschiffen kam Sterners Mitarbeiter Thomas Raith beim Segeln auf dem Mittelmeer. In diesen Weiten, dachte er sich, könne man ungestört Strom und Kraftstoff produzieren. Aber wie jeder Segler weiß, herrscht auf dem Meer nicht immer gleich viel Wind. Deshalb wäre es das Beste, wenn die schwimmenden Kraftwerke dem Wind folgen könnten.

Raith und Sterner haben deshalb per Computer eine optimale Windroute für ihre Segelschiffe im Nordatlantik simuliert.

Computergesteuert würden die Boote mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 13 Knoten erst gen Norden in Richtung Island fahren, um dann in einer großen Schleife in Richtung Südwesten nach drei Monaten wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Ein Tanker hätte dann Wasserstoff mit einem Energiegehalt von 6000 Megawattstunden an Bord - genug, um rund 20 Millionen Kilometer mit einem Brennstoffzellenauto zu fahren.

Im Gegensatz zu Windanlagen auf dem Meer, die fast die Hälfte des Jahres stillstehen, produziert das Boot während der Fahrt beinahe konstant Strom und Treibstoff.

Derzeit ist Sterner in ganz Deutschland unterwegs und stellt sein Projekt auf Kongressen und Expertentreffen vor. Alle Details wollen die Regensburger schon bald in einer ausführlichen Machbarkeitsstudie klären.

Sterners Ziel: "Wenn die Studie positiv ausfällt und die energiepolitischen Rahmenbedingungen stimmen und wir Investoren finden, dann könnte in ungefähr zehn Jahren das erste Energieschiff in See stechen."

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