Vor zwei Jahren schien die Welt für Volkswagen noch in Ordnung zu sein: „VW verfolgt eine systematische CO2-Vermeidungsstrategie und ist auf gutem Weg, zu einem Vorreiter der Green Economy zu werden“, lobte der damalige Umwelt- und heutige Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Die jüngste Skandalserie lässt nicht nur die Geschäftspraktiken von Autokonzernen in neuem Licht erscheinen. Sie wirft auch die Frage auf, welchen Wert Bekenntnisse zur grünen Ökonomie haben. Sie soll ja nicht ein Marketingkonzept sein, sondern eine neue Wirtschaftsordnung, zugeschnitten auf die globalen Herausforderungen – insbesondere den Klimawandel.
Zu den Autoren
Unmüßig ist Vorstand der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung.
Fuhr leitet deren Referat Internationale Umweltpolitik
Fatheuer ist Autor und Exmitarbeiter der Stiftung.
Die Thesen des Essays beruhen auf dem Buch „Kritik der Grünen Ökonomie“, das Anfang November im oekom Verlag erscheint.
Angesichts der Bedrohung durch die Erderwärmung kann die zentrale Botschaft nur lauten: Die Tage des fossilen Kapitalismus sind gezählt. Fast 90 Prozent der bekannten Kohlereserven, die Hälfte des Erdgases und ein Drittel der bekannten Erdölvorkommen müssen im Boden bleiben. Spätestens seit dem letzten G7-Gipfel ist diese Dekarbonisierung der Welt ins Zentrum der globalen Politik gerückt. Doch sie erfordert ein radikales Umgestalten der Wirtschaft. Das erkennt die Green Economy an, so wie sie Weltbank, OECD und Umweltprogramm der UN (UNEP) verstehen. Und verbindet die Einsicht mit der optimistischen Botschaft: Die Wirtschaft kann weiter wachsen, Wachstum kann grün werden.
Diese Wette auf grünes Wachstum ist aber riskant. Auf die Green Economy kann sich nur der einlassen, der fest an technische Innovation glaubt und die realen Machtstrukturen ignoriert. Sie ist insofern nicht eine realistische Option, sondern eher ein Glaubens- und Ausblendungsprogamm. Trefflich lässt sich das gerade in diesen Wochen an der in Deutschland so mächtigen Automobilindustrie nachvollziehen. Wer genau hinschaut, erkennt vier zentrale Widersprüche der Green Economy: Pseudo-Innovation, Reboundeffekte, grüne Irrwege sowie schließlich der Abschied von Verantwortung und Gestaltungsmacht demokratisch verfasster Politik.
Motoren werden zwar effizienter, aber größer
Elf Milliarden Euro investierte VW bisher jährlich in Innovation, mehr als jeder andere Konzern der Welt. „Mehr Reichweite, kraftvollere Motoren, komfortableres Reisen – bei weniger Verbrauch“, so definierte das Management seine Innovationsstrategie. Doch bei genauerem Hinsehen bleibt davon nicht viel übrig: Auch wenn durch punktuelle Maßnahmen der Verbrauch sinkt, fressen die ständige Steigerung der Motorleistung und das Größenwachstum der Modelle diese Effizienzgewinne gleich wieder auf. Was die in den vergangenen Jahren zunehmende Kluft zwischen Test- und Realverbräuchen belegt.
Stattdessen sind es die Wettbewerber im Ausland, die innovativere und tatsächlich effizientere Antriebe entwickeln: Sei es durch konsequentes Verkleinern der Motoren in der gesamten Fahrzeugflotte (Frankreich, Italien), Hybridisierung der Antriebe für den Massenmarkt (Japan) oder ein alltagstaugliches Elektromobil (USA).
Somit zielt VWs Innovationsstrategie – und auch die der anderen deutschen Hersteller – vor allem darauf ab, die bereits 100 Jahre alte Technik des Verbrennungsmotors bis zum Ende auszureizen. Nicht aber, sie zu überwinden. Von Volkswagen können wir bestenfalls etwas sparsamere Motoren und schnellere Autos erwarten, aber kein Verkehrskonzept, das die Dominanz des individuellen Pkws überwindet: mit einer konsequent vernetzten Mobilität unter mindestens gleichwertiger Einbeziehung von öffentlichem Nahverkehr und anderen Fortbewegungsarten. Innovation ist kein Selbstläufer. Sie wird geprägt durch die Interessen mächtiger Akteure, die ihr Geschäftsmodell retten wollen.
Auch die Haushalte verbrauchen nicht weniger Energie
Wie schon erwähnt werden die bescheidenen Fortschritte bei der Verbrauchsminderung fast vollständig aufgezehrt, weil die Autos immer größer und schwerer werden, und der Pkw-Verkehr ungebrochen wächst. Dies grundlegende Dilemma, auch Reboundeffekt genannt, gilt auch für andere Bereiche: Kühlschränke und Fernseher werden immer sparsamer, doch die Haushalte verbrauchen nicht weniger Energie – weil die Zahl der Geräte steigt. Wachstum nur effizienter zu machen wird nicht ausreichen, um das fossile Zeitalter zu überwinden.
Ein weiterer Weg, CO2-Emissionen zu reduzieren, ohne das bestehende Geschäftsmodell aufzugeben, ist der Einsatz von Biodiesel und Ethanol. Fossile Brennstoffe werden durch vermeintlich CO2-neutrale, nachwachsende Rohstoffe ersetzt – was zunächst einleuchtet. Aber inzwischen belegen viele Studien in aller Klarheit: Werden mehr Pflanzen angebaut, um Treibstoff herzustellen, gefährdet dies die Versorgung der Menschheit mit ausreichend Lebensmitteln, zerstört riesige Flächen von Regenwäldern und bedroht massiv die Artenvielfalt.
Längst ist die globale Krise viel mehr als eine Klimakrise. Der Verlust an Artenvielfalt, die Belastung von Boden und Grundwasser mit Nitrat durch den Einsatz chemischer Dünger in der Landwirtschaft haben längst dramatische Ausmaße angenommen.
Dennoch setzt die Industrie weiter auf Biokraftstoffe und sichert sich zugleich in Form von Patenten die Kontrolle über die Produktionsfaktoren der Zukunft (wie Saatgut, genetische Informationen, technische Verfahren). Sie schafft durch Fusionen mächtige Konglomerate und integriert global die gesamte Produktions- und Vertriebskette. Unter Bezug auf die Green Economy versuchen die Konzerne den Eindruck zu vermitteln, sie arbeiteten an Alternativen zur fossilen Energie. Doch offenkundig wollen sie so vor allem das fossile Geschäftsmodell verlängern.
Es fehlt nicht an Alternativen
Der Aufbruch in eine nachhaltige, postfossile Ökonomie wird nicht konfliktlos verlaufen. Die Autoindustrie führt es vor: Die notwendige Transformation berührt Geschäfts- und Machtinteressen, wird Verlierer kennen und nur mit hartem Verhandeln gelingen. Damit ist vor allem demokratisch legitimierte Politik gefragt. Nicht alles muss reguliert werden. Aber das Setzen wirksamer Grenzwerte bis hin zu Verboten (wie bei verbleitem Benzin, FCKWs) stellen eine Erfolgsgeschichte dar. Sie bleiben ebenso unverzichtbar wie unabhängige Kontrollen, wenn wir den notwendigen Wandel wirklich angehen und nicht nur den Märkten hinterherwinken wollen.
Weichenstellungen für die Zukunft müssen gesellschaftlich ausgehandelt werden, sie sind keine Frage der Märkte. So erstaunt es angesichts des erbärmlichen Zustands des Emissionshandels in Europa wenig, dass sich die Autobranche gerne in ebendiesen aufgenommen sähe. Denn er erfordert weniger Handeln als eine effektive Regulierung. Mit der Priorisierung von Marktmechanismen verschärft grüne Ökonomie den Bedeutungsverlust der Politik.
Es fehlt nicht an Alternativen. Ökologische Landwirtschaft, auch im großen Maßstab, ist ein hochproduktiver Wirtschaftsfaktor. Eine andere, vernetzte Mobilität, die nicht primär auf Individualverkehr beruht, emissionsfreie Autos aber auch nicht ausschließt, wird bereits vielerorts in Ansätzen umgesetzt. Vor allem aber darf Innovation nicht auf Technik verengt werden: Auch neue Lebensstile, andere Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, sind Innovation. Daher ist es kontraproduktiv, sich auf die Frage zu fixieren: Wie können wir grün wachsen? Die entscheidende Frage, die die Green Economy nicht stellt, lautet vielmehr: Wie können wir unter dem unvermeidbaren Leitmotiv „Weniger, Anders, Diversifiziert“ eine bessere und gerechte Zukunft für alle schaffen?