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Interview mit Hannah Bahl Wie Unternehmen sich für die Generation Y verändern müssen

Hannah Bahl: Die Soziologin beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Generation Y.

Wer sind diese „Millennials“, die in sozialen Netzwerken leben und Hierarchien ablehnen? Soziologin Hannah Bahl erklärt, wie ihre Generation tickt und wie Unternehmen es schaffen, gute Leute bei sich zu halten.

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Als „Generation Y“ bezeichnet man die etwa zwischen 1980 und 1995 Geborenen. Sie werden auch „Millennials“ genannt und sind die erste Generation, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Im Umgang mit den Digital Natives prallen in Unternehmen oft Welten aufeinander. Da sorgen die Forderungen der jungen Wilden nach flachen Hierarchien und offenen Netzwerken noch häufig für Schluckbeschwerden, wie Hannah Bahl feststellt. Die Soziologin beschäftigt sich beruflich mit der Generation Y und berät Unternehmen zum Thema intergenerationale Entwicklung. Sie sagt: Wenn Unternehmen gute Leute aus der Generation Y rekrutieren und halten wollen, müssen sie sich verändern.

Frau Bahl, Sie haben sich wissenschaftlich mit den Merkmalen der so genannten „Generation Y“ befasst. Sie selbst sind 1989 geboren. Sind Sie ein typisches Mitglied dieser Generation?
Ja, ich denke schon. Ich bin in allen sozialen Medien aktiv und arbeite eigentlich fast nur vernetzt. Dadurch, dass ich freiberuflich tätig bin, habe ich die größtmögliche Flexibilität mit allen Vor- und Nachteilen. Außerdem würde ich sagen, dass es bei mir auch immer um die Frage geht: Ist das, was ich gerade mache, das Richtige für mich? Bringt mich das dahin, wo ich eigentlich hinkommen möchte? Ich glaube, dass ein inhärentes Reflektieren und ständiges Hinterfragen den Millennials sehr eigen ist.

Wie wirkt sich dieses Reflektieren auf den Umgang mit dem Arbeitgeber aus?
Typisch für die Generation Y ist, zu denken: Wenn ich die Gegebenheiten hier nicht verändern kann, dann ist es für mich vielleicht einfach nicht der richtige Ort. Das heißt, ich kommuniziere lieber schnell von Beginn an meine Vorstellungen und Ideen klar, um dann zu gucken, ob man sich gemeinsam weiterentwickelt oder ob man sich vielleicht doch eher trennen muss , weil die Vorstellungen zu verschieden sind. Ich würde dieser Generation auf jeden Fall eine Direktheit attestieren, die vielleicht auf den ersten Blick manchmal als zu stark fordernd empfunden wird.

Wie wichtig sind denn für die Millennials ethische und moralische Aspekte bei der Wahl des Arbeitgebers?
Es geht ihnen am Ende des Tages darum, dass sie noch in den Spiegel gucken können und wissen, dass sie etwas „Gutes“ gemacht haben, wenn man das so platt ausdrücken möchte. Nachhaltigkeit oder gesellschaftliche Verantwortung spielen definitiv eine Rolle. Dabei geht es nicht darum, wie sich ein Unternehmen vordergründig darstellt, sondern was die wahren Werte dahinter sind und vor allem, wie diese auch im Unternehmensalltag gelebt und kultiviert werden.

Inwieweit stimmt das Vorurteil, die Generation Y sei opportunistisch?
Ich glaube, das, was als opportunistisch missverstanden wird, ist eigentlich Selbstreflexion. Das hat etwas mit dem Aufwachsen der Generation zu tun: Die Kindheit dieser Leute wurde von sehr vielen Krisen geprägt. Die Terroranschläge vom 11. September 2001, der Irakkrieg, der Amoklauf an der Columbine High School, Fukushima – eine Krise jagt die nächste. Aus diesem Krisengefühl ist das Gefühl entstanden, dass man sich eigentlich nur noch auf sich selbst verlassen kann. Deshalb achtet man sehr stark darauf, dass man da hinkommt, wo man hin möchte, wo es für einen selbst sicher ist. Man stellt die Situation in der man sich gerade befindet konstant in Frage. Dieses Auf-Sich-Selbst-Blicken kann als selbstverliebt oder opportunistisch verstanden werden. Ich glaube aber, dass es eher ein Schutzmechanismus dagegen ist, noch weiter verloren zu gehen. Wenn nichts mehr sicher ist und sich alles ständig in Bewegung befindet, musst man gut auf sich achtgeben, was vielleicht auch erklärt warum so viele in dieser Generation Yoga machen, meditieren oder schon früh über Sabbaticals nachdenken.

„Aus dem Krisengefühl ist das Gefühl entstanden, dass man sich eigentlich nur noch auf sich selbst verlassen kann.“  

Steht die Generation Y der zunehmenden digitalen Vernetzung weniger kritisch gegenüber als ältere Generationen?
Das ist auf jeden Fall so. Unsere Generation ist einfach so vernetzt und so an die tägliche Nutzung digitaler Technologien gewöhnt, dass bei den meisten keine große Angst mehr um Daten besteht. Wenn man dagegen von Unternehmensseite ausgeht, sind Datensicherheit und geschlossene Netzwerke Standard. Da prallen oft Welten aufeinander. Die Herausforderung besteht darin, die Vorteile beider Seiten zusammenzubringen: Wie kann man etwas öffnen und von einem großen Netzwerk profitieren, ohne die Sicherheit des Produktes oder der Unternehmung zu gefährden?

Sie bieten Vorträge und Workshops für Unternehmen an, bei denen Sie erklären, wie die Generation Y tickt. Wie reagieren ältere, wie jüngere Mitarbeiter auf Ihre Thesen?
Aus der älteren Generation sind sie meistens sehr froh, dass ihnen endlich mal jemand erklärt, wie Twitter, Instagram, Slack oder Snapchat funktionieren und wozu man diese Tools braucht. Mitarbeiter aus meiner Generation freuen sich dagegen meistens, dass ich sie in ihren Anliegen bestätige. Oft haben die sich nämlich schon umsonst den Mund fusselig geredet, um den Vorgesetzten den Nutzen bestimmter neuer Anwendungen nahe zu bringen. Dann muss aber erst ich, die ich mich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt habe, dieselben Dinge sagen, damit sie ernst genommen werden. An der Stelle muss man dann manchmal auch sehr sensibel sein und intergenerationale Brücke schlagen, um deutlich zu machen, dass die Wünsche vielleicht garnicht so weit auseinander gehen, vielleicht aber einfach in anderen Medien stattfinden.

Laut einer Studie wollen 34 Prozent der Millennials in Deutschland in den kommenden zwei Jahren ihren Arbeitgeber wechseln. Wie können Unternehmen die jungen Menschen halten?
Das ist eine große Frage. Wenn man über seine Erwartungshaltungen – also die des Unternehmens und die des Millennials, der dort arbeitet – offen spricht, hat man schon viel gewonnen. Um diese Generation zu halten, muss sehr viel kommuniziert werden. Da reicht ein Mitarbeitergespräch pro Jahr einfach nicht aus. Es geht immer um die Frage: Wohin möchte sich der Mitarbeiter entwickeln? Das kann dann vielleicht bedeuten, dass er oder sie ein Sabbatjahr macht oder ins Ausland geht für die Unternehmung, dann aber von vorne herein vereinbart wird, dass er oder sie wieder zurückkehrt. So eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann nur auf Vertrauen basieren. Vielen Millennials ist der Wunsch nach Freiheit und Flexibilität sehr wichtig: Man will nicht an ein Unternehmen gekettet sein, wo man nicht wachsen kann. Ein anderer Punkt ist, dass sich der physische Arbeitsplatz verändert. In vielen Unternehmen hat man ja noch sehr klassische Büros, die nicht besonders kommunikativ ausgerichtet sind. Ich glaube, wenn sich da auch etwas verändert, dann schafft man es vielleicht, Leute bei sich zu halten, die man gerne halten würde.

Streben die Millennials überhaupt Führungspositionen an, wenn sie Hierarchien offensichtlich so ablehnen?
Ich glaube, dass der Wunsch nach Führung schon besteht aber dass die Form von Führung ganz anders aussehen sollte. Statt einer klassischen Top-Down-Führung bietet sich eine kollaborative Führung an. Ich nehme da ganz gerne als Beispiel die Agentur Elbdudler in Hamburg. Die haben sich selbst unter anderem das Gebot auferlegt: Kompetenz schlägt Hierarchie. Immer. Das bedeutet im Umkehrschluss, wenn der Praktikant in einem Feld eine größere Kompetenz hat, als der Geschäftsführer, dann muss dieser dem Praktikanten folgen. Diese Aussage führt in klassischen Unternehmen, die ich berate, meist erst mal zu Schluckbeschwerden und riesiger Angst, weil es bedeutet, dass man die Kontrolle abgibt und auch die eigene Rolle für einen Moment ruhen lässt.

Man kann aber nicht alle Unternehmen rein kollaborativ organisieren.
Nein. In einem Krankenhaus zum Beispiel wird es immer Hierarchie geben. Die Frage ist einfach, wie kann sich Führung verändern und wie kann man gemeinsam überlegen, welche Form von Führung die richtige ist für alle Mitarbeiter, gar nicht nur für die Generation Y. Wenn man alle Mitarbeiter befragen würde, würden bestimmt sehr viele sagen, sie möchten gerne einen flexiblen Arbeitsplatz und sie würden sehr gerne ein Sabbatical nehmen. Aber ich glaube, dass sich die Leute einfach nicht trauen, das so vehement einzufordern, wie die Millennials. Das ist vielleicht auch die Stärke dieser Generation, dass sie jetzt vehementer Dinge einfordert, die viele Mitarbeiter gerne hätten.

„In den nächsten zehn, fünfzehn Jahren wird sich die Generation Y aussuchen, wo sie gerne arbeiten möchte.“  

Wenn Sie den Blick in die Zukunft wagen: Was wird aus den Idealen der Generation Y in zehn Jahren?
In den positiven Beispielen sieht man die stärkste Veränderung im Bereich Führung, also dass Führung viel mehr in Richtung Partnerschaft, Coaching und Entwicklung geht und dass sich eine Art Mentoring-Beziehungen entwickeln. Dann kann man auch sehen, dass die Flexibilisierung des Arbeitsplatzes zunimmt, dass Arbeiten immer weiter weggeht vom eigenen Tisch, an den man jeden Morgen hinkommt, sondern sich hin zu offeneren, flexibleren Räumen entwickelt, die man seinen Bedürfnissen anpassen kann. In den nächsten zehn, fünfzehn Jahren wird sich die Generation Y aussuchen, wo sie gerne arbeiten möchte. Deshalb sollten Unternehmen jetzt anfangen, sich zu verändern und ihre Strategien immer im Einklang mit der eigenen Unternehmenskultur anzupassen. Wer in Zukunft weiter gute Leute haben möchte sollte jetzt anfangen darüber nachzudenken, wer er ist und in Zukunft sein möchte. Ich muss da immer an dieses Tweet von Florian Harms denken, der die gesamte Entwicklung und Generation Y Debatte für mich sehr schön verdeutlicht:

Vielleicht ist es Zeit jetzt Zeit neue Wege zu finden, wenn man in Zukunft weiter hochqualifizierte, motivierte Mitarbeiter haben möchte.

Zur Person:
Hannah Bahl ist 1989 geboren und hat Communication and Cultural Management an der Zeppelin Universität studiert. Ihre Bachelorarbeit hat sie über die Generation Y geschrieben. Seither beschäftigt sich die Soziologin und freie Journalistin intensiv mit dem Thema. Sie hält unter anderem Vorträge und Workshops in verschiedenen Unternehmen, um diese im Umgang mit neuen Technologien und den Millennials aufzuklären und zu schulen. Vorträge hat Hannah Bahl zum Beispiel beim Möbel-Hersteller und -Händler Vitra, der Stadt Nürnberg oder verschiedenen Konferenzen gehalten.

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