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Digitaler Zwilling Wenn die Fabrik simuliert
Cloud-Plattformen ebnen immer häufiger den Weg zum Digital Twin, dem digitalen Abbild einer Maschine oder Anlage. Die Technologie bietet Unternehmen viele Vorteile – ihr Versprechen wird aber noch zu selten eingelöst.
Der digitale Zwilling lauert derzeit überall. Besonders auf Technologie- und IT-Messen scheint er als Inbegriff der Digitalisierung von Anlagen und Maschinen nicht mehr wegzudenken zu sein. Da surren Motoren leise vor sich hin, ein Roboterarm bewegt seine fünf silber-metallenen Finger, ein Sportschuh baut sich per 3-D-Druck Schicht für Schicht auf und es besteht die Chance, sich per Augmented Reality auf eine Windkraftanlage hinauf zu katapultieren und dort Reparaturen auszuführen: Und jedes Mal entpuppt sich bei genauerem Hinschauen ein digitaler Zwilling.
Da ist zum einen der Motor, dessen Verhalten in der Cloud analysiert wird. Der Roboterarm erscheint als 3-D-Modell auf dem Bildschirm, und Ersatzteile lassen sich schon vor dem sehr wahrscheinlichen Verschleiß eines Bauteils bestellen. Der Sportschuh entspricht genau den individuellen Anforderungen des Kunden, ist also ein Abbild der Größe der Fußes und angepasst an die Kraft, mit der er auftritt. Und die Probleme, die eine Windkraftanlage weit draußen auf dem Meer macht, sind virtuell per AR-Brille visualisierbar.
Digital Twin: Voraussetzung für Industrie 4.0
Zwar ist der digitale Zwilling oft noch mehr Hype und Zukunftsvision als Unternehmensrealität. Doch klar ist auch, dass die „virtuelle Repräsentation von Maschinen oder Anlagen auf einer digitalen Plattform“, wie Johannes Winter, der Leiter Technologien bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) den Digital Twin nennt, Unternehmen viele Vorteile bietet. „Nur über Daten lassen sich Störungen vorhersagen, Wartungen zum richtigen Zeitpunkt ausführen und Produktfehler erkennen und beheben – und zwar über den gesamten Lebenszyklus hinweg“, erläutert Winter. „Digitale und reale Zwillinge sind dauerhaft miteinander verbunden, wodurch ein Objektgedächtnis entsteht.“
Ein weiterer Reiz liegt für die Unternehmen darin, Kunden Mehrwerte liefern zu können – über Services, die heute noch gar nicht bekannt sind. Marktforscher Gartner hat nicht nur den Digital Twin als eine der zehn wichtigsten Technologien für 2017 identifiziert, sondern gleich auch weitere Entwicklungen, die für jene Services nötig sein werden. Dazu gehören etwa das Internet of Things, lernende Maschinen und nicht zuletzt digitale Plattformen.
Reifeprüfung mit dem digitalen Zwilling
Das wirtschaftliche Potenzial allein für Industrie 4.0 – gewissermaßen für alle digitalen Zwillinge in der Fertigungsbranche zusammen – beziffert der ITK-Branchenverband Bitkom auf über 78 Milliarden Euro in 2025. Voraussetzung: Die Systeme werden künftig nicht nur miteinander vernetzt sein, sondern zusätzlich sehen und verstehen können, vorbereitet sein und sich selbst optimieren – Eigenschaften, die nach Maschinenbau-Professor Günther Schuh aus der RWTH Aachen und dem von ihm entwickelten „acatech Industrie 4.0 Maturity Index“ dann der höchsten Reifestufe entsprechen dürfte. Dazu gehört, Sensordaten zu erfassen, um zu wissen, was im Unternehmen passiert, zudem zu analysieren, warum etwas passiert ist und Voraussagen darüber zu treffen, wie sich ein Prozess entwickeln wird. Ist die Anlage oder Maschine sogar in der Lage, auf Basis der Prognosen Entscheidungen selbst zu treffen, hat ein Unternehmen die höchste Reifestufe erreicht. Ein digitaler Zwilling schafft die Voraussetzungen dafür.
Zwar ist die gläserne, intelligente und lernfähige Maschine letztlich das große Versprechen des digitalen Zwillings. Doch es wird noch zu selten eingelöst. Es scheitere schon am „Single Source of Truth“, so Winter – also an einer zentralen Sammelstelle für die Daten. „Meist gibt es dezentrale Silos und eine einheitliche Basis fehlt, um den digitalen Zwilling einführen und dessen Vorteile tatsächlich nutzen zu können“, erläutert der acatech-Spezialist. Er fordert integrierte Informationssysteme, die einen durchgängigen Austausch von Informationen für die Planung und Produktion über Auftragsabwicklung bis hinunter auf die Maschinenebene zulassen. „Nur dann wird die Nutzung von Daten im Wertschöpfungsnetzwerk möglich“, so Winter.
Welche Ziele Unternehmen mit dem Einsatz von Industrie-4.0-Anwendungen verfolgen
... der Befragten hoffen auf verbesserte Prozesse durch Industrie 4.0.
Quelle: Bitkom Research, 2016; befragt wurden Anwender und Planer von Industrie-4.0-Anwendungen in Unternehmen ab 100 Mitarbeitern.
... wollen die Auslastung ihrer Kapazitäten optimieren.
... haben als Ziel, individuelle Kundenwünsche schneller umsetzen zu können.
... möchten ihre Produktionskosten mit Hilfe von Industrie-4.0-Anwendungen senken.
... wollen mit Hilfe von Industrie 4.0 an Personal sparen.
... wollen ihre Wartungsfenster besser planen.
... möchten neue Geschäftsmodelle entwickeln oder ihr bestehendes Geschäftsmodell verändern.
... aller Befragten verfolgen das Ziel, neue Kundengruppen anzusprechen.
... erhoffen sich eine flexiblere Arbeitsorganisation.
... der befragten Anwender und Planer sehen die Erweiterung der Produktpalette als eines der Ziele.
Schaeffler: Zwischenlösung ohne durchgängigen Product Lifecycle
Von einem durchgängigen Produkt-Lifecycle kann auch Fabrice Mogo Nem heute noch nicht sprechen. Der Spezialist für virtuelle Produktentwicklung beim Maschinenbaukonzern und Autozulieferer Schaeffler nutzt einen virtuellen Produktentwurf – eine Art digitalen Zwilling – dafür, spezifische Lastfälle zu simulieren. Dadurch sind weniger „echte“ Prototypen nötig, da das virtuelle Pendant schon im Vorfeld sehr gut validiert und verifiziert werden kann. Erst wenn diese Ergebnisse zufriedenstellend sind, wird ein physischer Prototyp gebaut und getestet. Die Digitalisierung der Prozesse zwischen Entwicklung und Fertigung reduziert damit die Anzahl der nötigen Prototypen und erspart Schaeffler jeweils langwierige Tests am Prüfstand. Allerdings profitiert etwa der Service derzeit noch nicht vom Digital Twin der Produktentwicklung. „Nachdem die Produkte gefertigt und an den Kunden verschickt sind, reißt die digitale Kette ab“, erläutert Mogo Nem.
Cloud-Plattform als Datensammler
Deshalb hat das Unternehmen Ende vergangenen Jahres seine eigene digitale Plattform angekündigt, um die Entwicklungssysteme auf die Plattform zu bringen und mit den anderen Systemen im Produktlebenszyklus zu verbinden. Schaeffler ist damit dem Vorbild von MAN und Bosch gefolgt, die bereits neue Services auf Basis ihrer Plattformen geschaffen haben.
Derzeit konkurrieren unzählige Anbieter von Cloud-IoT-Plattformen miteinander. Doch vor allem Großunternehmen setzen selbst welche auf. Für Winter ist das „mindestens ein guter Zwischenschritt“, denn wenn die Systeme in den Unternehmen historisch gewachsen und heterogen sind, lassen sie sich nicht von heute auf morgen neu aufsetzen.
Bei Schaeffler jedenfalls werden die Daten aus den verschiedenen Systemen schon bald auf einer zentralen Plattform in der Cloud zusammenlaufen – und der digitale Zwilling aus der Produktentwicklung entwickelt sich immer mehr zu jenem kompletten digitalen Abbild über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes.