Anzeige: Sämtliche Inhalte dieser Seite sind ein Angebot von Oliver Wyman. Für den Inhalt ist Oliver Wyman verantwortlich.
Disruption Nicht ohne Risiko, aber manchmal der einzige Weg
Es geht nicht mehr um Innovation, wir sind im Zeitalter der Disruption. Bestehende Modelle werden nicht mehr nur durch neue Technologien weiterentwickelt, sie werden zerschlagen – eine große Chance für jede Branche.
Null Abgase, null Fahrzeuglärm, null Staus, dafür viele Parks, viel Freiraum. In der Vision einer Smart City im Jahr 2050 bewegen sich die Menschen in optimalen Reiseketten durch die Stadt, denn einst traditionelle Verkehrsunternehmen bieten in Partnerschaften mit Branchenneulingen neue digitale Services. Flotten autonomer Fahrzeuge bringen Pendler gesammelt in die Innenstadt und fügen sich dort nahtlos in den elektrobetriebenen Nahverkehr. Automatisierte Datenanalyse verfolgt die Bewegungen der Innenstadt und dirigiert neuartige Transportmittel. Mobilität als großes Zukunftsthema skizziert Szenarien, die nicht bloß neu, sondern komplett anders sind. „Sie sind disruptiv“, sagt Dr. Juergen Reiner, Partner bei der internationalen Strategieberatung Oliver Wyman.
Reiner ist Experte für Automobilhersteller und -zulieferer und weiß, dass sich die Mobilität der Zukunft nicht in den herkömmlichen Branchengrenzen denken lässt. Denn sektorunabhängig stehen Wirtschaft und Industrie vor Umbrüchen. Disruption beschreibt nicht die Evolution bestehender Modelle, sondern deren Zerschlagung. Machtgefüge etablierter Branchen geraten ins Wanken, und so gestalten Mobilität zukünftig nicht mehr allein die altbekannten Player. Der Bankensektor muss Bezahlwege finden, um neuartige Mobilitätsleistungen abzurechnen; Versicherungen müssen neue Haftungsmodelle entwickeln; die Energiebranche muss gewährleisten, dass die Flotte Strom bekommt.
Das steckt hinter „Disruption“
Der Begriff „Disruption“ leitet sich von dem englischen Wort „disrupt“ („zerstören“, „unterbrechen“) ab. Die Übersetzung lässt schon auf die Definition schließen: Disruption beschreibt demnach einen Vorgang, der vor allem mit dem Umbruch der Digitalwirtschaft in Zusammenhang gebracht wird. Die Unterscheidung von Innovation vs. disruptiver Innovation veranschaulicht das Konzept.
Innovationen bringen etablierte und traditionelle Geschäftsmodelle, Produkte, Technologien oder Dienstleistungen immer wieder voran. Das heißt, sie lösen diese ab und verdrängen sie sogar. Kurz: Innovation bedeutet Weiterentwicklung und ist in wohl allen Branchen gern gesagtes Schlagwort, wenn es vorwärtsgehen soll.
So wichtig Innovation ist, so hat sie doch ihre Grenzen. Es handelt sich bei ihr lediglich um eine Erneuerung, die den Markt zwar nachhaltig verändern mag, ihn aber nicht auf den Kopf stellt. Das tut die disruptive Innovation. Sie bezeichnet eine komplette Umstrukturierung beziehungsweise Zerschlagung eines bestehenden Modells.
Schon in den 1990er Jahren erkannte Clayton M. Christensenin seinem Werk „The Innovator’s Dilemma“, dass jedes noch so erfolgreiche und etablierte Unternehmen eines Tages von einer Disruption betroffen sein wird. Der heutige Harvard-Professor beschreibt in seiner Theorie disruptive Prozesse als notwendig für ein Fortbestehen der Märkte – benennt allerdings auch deren wahrscheinlichste Opfer: große Unternehmen. Diese sind zwar selbst oft mit einer radikalen Innovation ins Geschäft eingestiegen, doch einmal etabliert und gewachsen schwer revolutionierbar.
Ihrer gibt es viele, eines etwa aus der Musikbranche. Die Erfindung der CD bedeutet beispielsweise lediglich eine Weiterentwicklung des klassischen Plattenspielers. Vorangetrieben von Branchenvorreiter Apple brachte hingegen das Aufkommen digitaler Musikvertriebe wie eben dem iTunes-Music-Store und anderen Nachfolgern die schrittweise Zerschlagung des lokalen Musikgeschäfts. Der digitale Musikvertrieb leitete also einen disruptiven Prozess ein.
Das Zusammenspiel geränderter Konsumentenansprüche, technologischer Innovation und Anpassungsdruck äußerer Umstände machen Disruption unumgänglich. Diese Bedingungslosigkeit fordert ein Neudenken des eigenen Geschäftsmodells – und das besser früher als später. Ein Unternehmen kann eine technologische Innovation im Zweifel auch mit Verzögerung zu seinen Wettbewerbern in die eigenen Prozesse integrieren; doch es findet kein neues Geschäftsmodell, wenn das herkömmliche schon abgelöst ist. Das Risiko überholt zu werden, ist in Zeiten der Disruption umso größer.
„Wie kommt man aus der Rolle des Getriebenen in die Rolle des Treibers“, bringt es Dr. Kai Bender, Deutschland- und Österreich-Chef bei Oliver Wyman, auf den Punkt. „Konzerne müssen eine gewaltige Umbauleistung erbringen – strukturell, technologisch und strategisch.“ Der Handlungsdruck wird mittlerweile zwar flächendeckend wahrgenommen, doch die Reaktionen bleiben oft verhalten. Für die Unternehmensberatung sei das ein Riesenthema, so Bender: „Wir haben unseren Digitalbereich extrem verstärkt. Unsere Mitarbeiter werden für unsere Kunden zu Disruptoren.“ Dafür stützt sich Oliver Wyman unter anderem auf praktische Themen wie die Gestaltung von User Experiences oder Data Analytics.
Die Wette auf eine ungewisse Zukunft
Eine Patentlösung gibt es nicht, doch branchenunabhängig gilt: Disruption gelingt nicht ohne Kompromisse im aktuellen Geschäftsmodell. „Ich muss eine unternehmerische Wette auf eine ungewisse Zukunft setzen“, sagt Reiner und verweist erneut auf den so exemplarischen Mobilitätssektor. „Die Autohersteller gehören wohl zu denen, die sich am schwierigsten damit tun, ihre Logik zu ändern.“ Neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen bedeuten bei ihnen aktuell nur einen Bruchteil im Vergleich zum Kerngeschäft. Dennoch müssen die Zukunftsmodelle aus dem Cashflow des heutigen Traditionsgeschäfts finanziert werden. „Im Zweifel muss das bestehende Geschäft zurückgefahren werden, mal auf einen neuen Rekordgewinn oder eine wieder neue Baureihe verzichtet werden, um Freiraum für Transformation zu schaffen.“
Das Beispiel der Autobauer zeigt: Das Risiko, von disruptiven Prozessen überholt zu werden, ist groß; das Risiko von Fehlinvestitionen ist nicht zu unterschätzen. Aber das darf nicht entmutigen. „Flexibilität muss Prognosesicherheit ablösen, denn keiner weiß, was in zehn Jahren möglich sein wird“, sagt Bender. „Wir können eine Organisation durch neue Fähigkeiten so flexibel machen, dass sie sich auf möglichst viele Gegebenheiten schnell einstellen kann.“ Verschiedene Strukturen des Innovationsmanagements haben sich längst bewährt: Ein großes Unternehmen mit Investitionen in Start-ups und einem eigenen Inkubator testet nicht bloß ein Geschäftsmodell, sondern betreibt verschiedene Zukunftsprojekte parallel. In diesem Innovations-Portfolio nimmt das Risiko ab. Doch die Disruption vollzieht nur, wer das Neue nicht nur identifiziert, sondern es in die alten Strukturen überträgt.
„Dieses Veränderungsmanagement unterscheidet sich von jedem bisherigen. Es gelingt nicht top-down, sondern bottom-up. Die Transformation wird nicht verordnet, sondern geschieht aus der Organisation heraus“, sagt Bender. Wer die Disruption ernst nimmt, zerschlägt eigene Denk- und Verhaltensmuster – vor allem in den richtungsweisenden Management-Etagen. Diese schaffen Gestaltungsspielräume, indem sie modularisieren, Fähigkeiten identifizieren, sie ergänzen, delegieren und dann im Zweifel auch Scheitern zulassen. Aktuell stehen viele vor der Hürde, diesen Prozess zu moderieren. Bender: „Manager müssen Challenger sein. Was sie selbst entschieden haben, müssen sie nun auch mal rechts überholen und kannibalisieren.“ Wer sich das traut, ist gut beraten.