Betriebswirtschaftslehre „Dann haben wir ihren Charakter verdorben“

Rationalität rauf, Sympathie runter: BWL verdirbt den Charakter. Quelle: Marcel Stahn

Das BWL-Studium macht junge Menschen zu gefühllosen Gewinnoptimierern, meint Managementprofessor Dodo zu Knyphausen-Aufseß. Nötig sei zuweilen auch ein „heißes Herz“ statt bloß „nüchterner Interessenskalküle“.

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Dodo zu Knyphausen-Aufseß ist Professor für Strategische Führung und Globales Management an der Technischen Universität Berlin. Er kritisiert die aktuelle betriebswirtschaftliche Ausbildung an den Hochschulen – und versucht es im von ihm gegründeten Studiengang Nachhaltiges Management besser zu machen. 

WirtschaftsWoche: Verdirbt das BWL-Studium den Charakter, Herr zu Knyphausen-Aufseß?
Dodo zu Knyphausen-Aufseß: Naja. Der Kern der ökonomischen Ausbildung besteht darin, dass wir das Konzept der Anreize vermitteln. Damit meine ich die Idee, dass wir alle Menschen dazu bewegen können, etwas zu tun, wenn wir ihnen nur die richtige Wurst vor die Nase hängen. Wenn wir das Studierenden fünf Jahre lang eintrichtern und wenn wir davon ausgehen, dass die Universität eine Rolle in ihrer charakterlichen Prägung spielt, dann haben wir zumindest zu einem Teil ihren Charakter verdorben. 

Welche Folgen hat es, wenn junge Menschen mit dieser Haltung auf den Arbeitsmarkt gehen?
Es führt dazu, dass jeder versucht, den eigenen Nutzen zu maximieren. Das kommt der Idee des Shareholder-Kapitalismus entgegen. Systemtheoretiker würden jetzt argumentieren, wir haben eine gesellschaftliche Arbeitsteilung: Wirtschaft ist dafür da, Wohlstand zu produzieren; für das Soziale und Nachhaltige sind andere Teilsysteme da. Ich glaube aber, dass diese Sichtweise überholt ist. Auch die Unternehmenspraxis ist ja nicht stehengeblieben, so viel Luft nach oben es auch immer geben mag. 

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Nun könnte man Ihnen entgegenhalten, dass nicht die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung die Studenten zu Egoisten macht - sondern, dass es vor allem Egoisten in die Wirtschaftswissenschaften zieht. 
Ich würde sagen, beides ist richtig. Der typische BWL-Studierende ist ein anderer als ein typischer Soziologiestudierende. Die sind anders geprägt. Aber die Uni hat die Chance, diese Prägung zu verstärken oder ein Stück weit zu korrigieren. Das ist zumindest meine Hoffnung als Hochschullehrer. Und ich denke, die Forschung gibt mir da recht: Die Organisationskultur, in der wir lernen und arbeiten, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob wir zu Trittbrettfahrern und Drückebergern, zu trägen Opportunisten oder zu kreativen, kooperationswilligen und lernbereiten Kollegen werden. Das gilt für Unternehmen und Universitäten gleichermaßen.

Sie selbst versuchen jedenfalls, der Managementlehre auch andere Aspekte abzugewinnen. An der TU Berlin haben Sie den Studiengang „Nachhaltiges Management“ ins Leben gerufen. 
Die betriebswirtschaftliche Ausbildung muss eine neue Richtung bekommen. Ich möchte den Studierenden ein Denken vermitteln, in dem es nicht nur darum geht, persönlich viel Geld zu verdienen und den Börsenwert ihres Arbeitgebers zu erhöhen. 

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von Dominik Reintjes

Was heißt das konkret?
Wir können nicht überall – in Politik und Gesellschaft – über Nachhaltigkeit sprechen und dann in der Ausbildung einfach weiter so machen wie bisher. Natürlich wollen wir betriebswirtschaftliches Denken vermitteln, aber: Geht es in Vorlesungen um Finanzierung, kann man auch über grüne Investments oder die ESG-Kriterien sprechen. Im Marketing mag sich ein Exkurs in die Konsumkritik lohnen. In der Produktion können auch Ideen der Zirkulärökonomie vermittelt  und in der Kostenrechnung die externen Effekte diskutiert werden, die wir sonst nicht in den Kostenkalkulationen berücksichtigen. 

Warum kommen diese Aspekte derzeit noch zu kurz?
Es wird oft argumentiert, in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung an Universitäten müsse es vor allem um ökonomische und statistische Methoden, um Modellbildung und mathematische Zusammenhänge gehen. Forschungsansätze, die sich zum Beispiel mit Alternativen zu den Wachstumsmodellen, etwa mit „De-Growth“, beschäftigen, seien wissenschaftlich vergleichsweise auf einem zu niedrigen Niveau.

Wie überzeugen Sie die Kritiker?
Zunächst bin ich der Ansicht, dass wir immer beides machen müssen: Methoden und Modelle lehren, aber auch Ethik und Nachhaltigkeit. Ich will also die Mathematik nicht aus der Ökonomie verbannen. 

Aber? 
Aber ich würde den allzu Mathematikbegeisterten sagen, dass es nicht ausreichen kann, sich arrogant hinzustellen und zu sagen, alternative Ideen sind Quatsch. Man muss doch zumindest anerkennen, dass Klimaschutz und Ressourcenmangel aktuell wichtige Themen sind. Da müssen wir Platz schaffen für Pluralität und Diskurs. Das zeichnet ein akademisches Umfeld auch aus. Wissenschaft impliziert, unter anderem, ein Prinzip der Kritik.

Wie sehen das die Studenten in Ihrem Studiengang?
Das sind oft junge Menschen, die nicht damit einverstanden sind, wie unsere Welt heute aussieht und wo sie sich hin entwickelt. Soll ich mich vor die Studierenden stellen und sagen: Wir behandeln hier zwar leider nicht so relevante Themen, aber dafür sind wir methodisch wirklich gut? So können wir die junge Generation nicht dafür gewinnen, sich konstruktiv den großen Herausforderungen unserer Zeit zu stellen.

Der Publizist Rainer Hank schrieb vom „kalten Herz des Kapitalisten“, das gerade BWL-Studenten manchmal unterstellt wird. Es klingt so, als wollten Sie das Herz erwärmen. 
Es ist nie schlecht, rational mit Dingen umzugehen. Aber wenn wir eine gerechtere Gesellschaft haben wollen, brauchen wir auch Empathie und manchmal auch ein heißes Herz, nicht bloß nüchterne Interessenskalküle. Nehmen Sie als Beispiel die Einwanderungsdebatte. Ein ökonomisches Standardargument dazu wäre: Wir lassen Einwanderer nur rein, wenn sie uns was bringen. Wenn sie gut ausgebildet sind, zum Beispiel. Wenn sie das nicht sind, lassen wir sie im Elend sitzen. In solidarischen Gesellschaften sollte es um mehr gehen. Nur zu kalkulieren, welchen Nutzen jemand für uns hat, finde ich in der Tat kaltherzig.

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