Florian Lange drückt seinen Rücken noch ein wenig gerader, als er ohnehin schon ist. Er steht in einer Reihe mit 20 Männern und Frauen. Alle tragen schwarze Anzüge und Krawatten, die Hände in weißen Handschuhen vor dem Bauch gefaltet, den Blick geradeaus gerichtet. Draußen ist es noch dunkel, drinnen beginnt Ausbildungsleiter Cornelis Greveling den Tag mit schmalen Lippen und bebender Stimme: „Gestern ist etwas passiert, das mich sehr verärgert hat. Wer von euch hat seinen verdammten Laptop auf den Beistelltisch im Zigarrenzimmer gestellt? Ihr habt offensichtlich überhaupt keine Vorstellung davon, was später euer Job sein wird!“ Niemand regt sich, alle wissen: Es würde viele Punkte auf dem Abschlusszeugnis kosten, falls es herauskommt.
Lange will Butler werden, genauso wie die anderen in der Reihe. Der 25-Jährige trägt einen gepflegten Kurzhaarschnitt, die seidene Krawatte hat er im Windsorknoten gebunden.
Was bei Krawatten alles schief gehen kann
Eine zu kurze Krawatte ist vor allem für große Männer oder Zeitgenossen mit langem Oberkörper ein Problem. Diesen hilft nur die Krawatte nach Maß. Es sei denn, diese Männer steigen auf Schleifen um.
Quelle: Bernhard Roetzel „Der Gentleman nach Maß – Maßgeschneiderte Herrenkleidung“, ISBN: 9783848007684, ullmann publishing GmbH
Für etwas kleinere Männer ist die Standard-Krawatte meistens zu lang. In solchen Fällen wird gern zu einem doppelten Windsor geraten, der die Länge regulieren kann – doch manche Krawatten sind dafür zu dick.
Krawatten aus glatter, bedruckter Seide werden oft mit zu dünner Einlage geliefert. Die Folge: Der Knoten fällt sehr mager aus und lockert sich obendrein ständig. Dies kann die Freude an der betreffenden Krawatte schnell beeinträchtigen.
Wenn Krawatten aus schwerer Jacquardseide oder dicken Wollstoffen mit zu mächtigen Einlagen ausgestattet sind, fällt selbst ein einfacher Knoten viel zu voluminös – ganz zu schweigen von einem Windsorknoten.
Angesichts eines breiten Oberkörpers oder eines üppigen Bauchs wirken schmale Krawatten geradezu verloren. Wann immer die Mode sie gerade vorschreibt, wird es für starke und fülligere Männer schwer, ein passendes Exemplar zu finden.
Was nützt die schönste Seide, wenn die Krawatte zu breit ist? Bei einem sehr schmalen Oberkörper wirkt selbst eine Krawatte von durchschnittlicher Breite überdimensioniert und aus diesem Grund wenig elegant.
Sein Erscheinungsbild wird täglich überprüft, inklusive der Fingernägel. Sobald sein Haar verstrubbelt oder das Hemd ungebügelt ist, gibt es Punktabzug. Sogar unangekündigte Stubenkontrollen gehören zum Alltag der internationalen Butler-Akademie in Simpelveld, knapp fünf Kilometer hinter der niederländischen Grenze bei Aachen.
Butler ist ein Lebensstil, kein Job
Die Teilnehmer brauchen vor allem Durchhaltevermögen, denn ein Kurs dauert 8 Wochen, 16 Stunden am Tag, 6 Tage pro Woche. Keine Heimatbesuche, kein Alkohol. „Als Butler musst du diszipliniert und ordentlich sein. Deshalb finde ich das absolut in Ordnung“, sagt Lange, „es ist schließlich mehr als ein Job, es ist ein Lebensstil.“
Dass dieser Beruf auch eine innere Einstellung ist, wird bei einem Treffen mit einem professionellen Diener deutlich. Vor dem Gespräch schickt Valentin Gradescu ein Dokument, in dem er die wichtigsten Punkte penibel aufgelistet hat: den Weg vom Bahnhof zu seinem Arbeitsplatz, Straßenbahnen, detailliert geschilderte Fußwege, Telefonnummern im Falle von Schwierigkeiten. Der 50-Jährige ist seit zwei Jahren Chefbutler der Uniworld Kreuzfahrtflotte und koordiniert 24 Butler, die die Gäste der Luxussuiten an Bord betreuen. Auch er hat die Butlerschule in den Niederlanden besucht: altes Gemäuer, gusseisernes Tor, lange Gänge mit schwerem bordeauxrotem Teppich, ein Kaminzimmer mit Kronleuchter.
Ausbildung für Botschaften, Hotels, Privathaushalten
Doch die Butler Academy geht über die Unterrichtseinheiten hinaus. Die Schüler leben den Alltag eines Butlers rund um die Uhr, wie in einem Kostümfilm. „Die Schule bereitet vor allem auf das Leben als Privatbutler vor“, sagt Gradescu, „doch viele Butler arbeiten danach an ganz anderen Orten.“ Ein Fünftel der Absolventen arbeitet in Botschaften, Hotels oder als Haushaltsassistenten für wohlhabende Vielbeschäftigte. Auf dem Stundenplan stehen daher auch Putzen, Kochen, Bügeln, Kofferpacken und Kinder-Bespaßung.
Gradescu sitzt 80 Kilometer von der Akademie entfernt im leeren Restaurant des Kreuzfahrtschiffes Antoinette im Kölner Hafen. Das Schiff wird vorbereitet für die nächste Tour, Böden und Tische sind mit weißen Folien abgedeckt. In zwei Wochen kommen die amerikanischen Gäste. Wie man einen Koffer auspackt, Tee serviert oder einen Tisch deckt – das könne jeder schnell lernen, sagt Gradescu. Viel wichtiger sei das Vorausdenken: „Du musst Wünsche erkennen, bevor der Gast sie äußert.“ Fragt er an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gegen Abend nach einem trockenen Riesling, muss die Flasche am dritten Tag unaufgefordert in der Suite stehen.
Freie stellen in den USA und arabischen Länder
Mehr als 250 Euro kostet jeder Tag Plackerei die Schüler der Akademie, doch damit erwerben sie gleichzeitig die Eintrittskarte in ein Milieu, in dem Luxus selbstverständlich ist. „Butler arbeiten überall dort, wo reiche Menschen sind. Die meisten Jobs gibt es derzeit in den USA und im arabischen Raum“, sagt Paul Huizinga, der die hauseigene Vermittlungsagentur der Schule leitet. „Doch vor allem China und Indien sind Wachstumsmärkte.“ Der Grund ist simpel: Noch nie gab es weltweit so viele reiche Menschen. Und da enormer Wohlstand meist einhergeht mit einer hohen Termindichte und wenig Freizeit, gönnen sich viele der oberen Eintausend einen Diener.
Die Regeln für diese Welt lernen Florian Lange und die anderen Schüler im täglichen Theorieunterricht mit Melchior van der Meulen. Der Lehrer hat graue Haare, trägt einen Siegelring und unter dem dunklen Anzug eine gelbe, akkurat gebundene Krawatte. Heute will er ein heikles Thema besprechen.
"James" aus Dinner for One ist ein schlechtes Beispiel
Die Schüler sitzen im Seminarraum an u-förmig angeordneten Tischen und blicken erwartungsvoll auf die Wand, auf der van der Meulen ein YouTube-Video startet. Die zwei Deutschen im Raum kichern wissend, die anderen runzeln die Stirn, als sie den Butler James sehen, wie er sich in „Dinner for One“ als Diener von Miss Sophie hemmungslos betrinkt. Als der Filmsketch endet, steht der Lehrer auf und fragt auf Englisch mit feinstem britischem Akzent: „Was meint ihr: Wenn der Hausherr mich auffordert, am Tisch mitzuessen – soll ich mich dazusetzen?“
Florian Lange meldet sich: „Ich lehne ab, denn es ist unangemessen für einen Butler, am selben Tisch zu speisen.“ Der Dozent widerspricht: „Wenn du ablehnst, denkt er, du würdest ihn nicht mögen und seine Befehle ignorieren.“ Eine junge Chinesin wirft ein: „Also setzen wir uns dazu?“ „Auf gar keinen Fall, du musst doch die Grenze bewahren!“, antwortet van der Meulen.
Kunst, Mode und Lifestyle statt politischer Themen
Als er gerade anfangen will, das korrekte Verhalten zu erklären, erblickt er auf dem Tisch eines Studenten ein englisches Nachrichtenmagazin. Abrupt bleibt er stehen und schnippt mit dem Finger: „Apropos! Was sind die heutigen Nachrichten? Stellt euch vor, ihr sitzt mit eurem Lord im Auto, und er möchte die Schlagzeilen hören!“ Ein Student trägt stolz die aktuellen Themen vor: Kampfjets in Syrien, Flüchtlinge in Deutschland. Nach einigen Sätzen unterbricht ihn der Lehrer: „Und wie finden Sie das?“ Als der Italiener zu sprechen beginnt, hebt der Lehrer seine flache Hand vor seine Brust: „Stop! Niemals mit dem Chef über Politik sprechen. Die einzigen Themen, die okay sind: Kunst, Autos, Mode, Restaurants, Essen und Trinken.“
Tipps für den gelungenen Smalltalk
Zum Smalltalk gehört auch eine entsprechende Körperhaltung: Es geht um eine nette, harmlose Plauderei, also beginnen Sie diese mit einem netten Lächeln. Und verschränken Sie die Arme nicht vor der Brust und verstecken Sie Ihre Hände nicht hinter dem Rücken oder in den Hosentaschen.
Smalltalk betreiben wir meist mit Menschen, die wir nicht besonders gut kennen. Deshalb ist es wichtig, einen angenehmen Gesprächsabstand einzuhalten. Wer seinem Gegenüber zu dicht auf die Pelle rückt, darf sich nicht wundern, wenn er sich unbeliebt macht.
Am liebsten smalltalken die Deutschen über ihren Urlaub, Ärger mit Handwerkern, ihre Hobbies, Berufliches oder die Gesundheit.
Vermeiden Sie die Themen Politik, Religion, Geld und private Probleme: Solche Themen sind nur für den Freundes- oder Verwandtenkreis bestimmt. Für eine unverbindliche Plauderei mit Fremden eignen sie sich nicht.
Auch wenn es sich um Ihren absoluten Lieblingswitz handelt, beginnen Sie ein Gespräch bitte nicht mit: „Kennen Sie den?...“ Niemand hat etwas gegen humorvolle Bemerkungen und Schlagfertigkeit, aber Sprücheklopfer und Witzbolde kommen einfach nicht gut an.
Bringen Sie Ihr Gegenüber dazu, etwas zu erzählen. Wer geschlossene Fragen stellt, auf die der Gesprächspartner nur mit „Ja“ oder „Nein“ antworten kann, schafft keine angenehme Gesprächsatmosphäre. Versuchen Sie es lieber mit einer Frage wie „Woher kennen Sie den Gastgeber?“
Achten Sie darauf, neutrale Fragen zu stellen und freundlich zu bleiben. Wer fragt: „Finden Sie Fußball auch so doof?“ wird es sich mit einem eingefleischten Fan verscherzen. Dann lieber fragen, was das Gegenüber beruflich macht. Zur Not reden Sie über das Wetter, das geht immer.
Damit sich wirklich ein nettes Gespräch ergibt, müssen Sie natürlich nicht nur Fragen stellen, sondern auch zuhören. Schenken Sie Ihrem Gegenüber also die volle Aufmerksamkeit, auch wenn Sie sich über belanglose Themen unterhalten. Sonst verliert er schnell die Lust am Gespräch mit Ihnen.
Auch wenn Lästern im Freundeskreis Spaß macht, beim Smalltalk sollten Sie es sich sparen. Es fällt nur negativ auf Sie zurück. Zuhörer übertragen jene Eigenschaften, die Person A einer Person B andichtet, unbewusst und automatisch auf Person A. Ebenfalls verzichten sollten Sie auf prahlerische Redebeiträge nach dem Motto „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht“.
Mit akkurater Schreibschrift schreibt Florian Lange mit. Jemand erinnert den Lehrer an das ungelöste Tischproblem. Lange schlägt vor, sich zu entschuldigen und zu sagen „dass ich ein anderes Mal gerne dabeisitzen werde, doch heute noch etwas in der Küche zu tun habe“. Van der Meulen bleibt vor seinem Tisch stehen: „Korrekt. Es wird dieses nächste Mal nie geben, doch Sie haben trotzdem die Grenze bewahrt.“ Er schaut auf Langes Namensschild. Das könnte Punkte geben.
Bis zu 200.000 Euro Jahresgehalt
Ihre endgültige Bilanz erfahren die Schüler erst am Abschlusstag. Nur die besten Absolventen bekommen ein Angebot der attraktivsten Arbeitgeber, sie arbeiten dann bei den reichsten Familien der Welt. Je nach Einsatzort können die Butler bis zu 200.000 Euro im Jahr verdienen. An Königshöfen wird tendenziell schlechter bezahlt, dafür gibt es viel Prestige.
Valentin Gradescu hat sich bewusst gegen die Karriere als Privatbutler entschieden. Einmal habe ihn ein Schiffsgast aus Südafrika gebeten, mit ihm zu kommen und für die Familie zu arbeiten. Er lehnte ab. „Mein Sohn ist acht Jahre alt. Als Bordbutler habe ich einen Zeitplan und regelmäßig einige Tage frei. Dann kann ich zu meiner Familie nach Bukarest fahren“, sagt der Rumäne. Wer Teil einer fremden Familie ist, kann kaum ein eigenes Leben führen. Ein Grund, weshalb auch Florian Lange nach dem Abschluss ungern in einem Privathaushalt arbeiten möchte. Sein Traumarbeitsplatz sei in einer Botschaft oder einem Hotel.
Tischdecken wird zur Prüfung
Es herrscht Hektik im Bankettsaal der Butlerschule, die Schüler eilen um den Tisch. Zwei Männer platzieren Vasen und Kristallsteine auf der hellen Tischdecke, zwei weitere stellen mit weißen Handschuhen Unterteller, Suppenteller und Brotteller an jeden Platz. Zwei Frauen rücken behutsam die Reihe der Porzellantassen zurecht, sodass alle Henkel im gleichen Winkel auf dem Tisch stehen. Das Gewusel ist minutiös choreografiert, denn die späteren Arbeitgeber erwarten akkuraten Service. Deshalb werden die angehenden Butler rund um die Uhr in der Praxis geprüft: Neben den Unterrichtseinheiten müssen sie die Familie des Schulleiters bedienen. Sie haben meist nur wenige Minuten Zeit, um beispielsweise die Tafel für das Mittagessen so vorzubereiten, wie bei den meisten nicht einmal an Weihnachten gedeckt wird.
Mit hölzernem Zollstock geht ein junger Mann um den Tisch herum. Hinter jedem Stuhl bleibt er kurz stehen, beugt sich über das Gedeck und kontrolliert den Abstand des Messers zum Teller. „Es gibt keinen Standardwert, es ist nur wichtig, dass alle gleich sind“, sagt Lange. Jemand ruft die Uhrzeit durch den Saal: Noch drei Minuten bis halb eins. Am Tisch rücken jetzt nur noch zwei Studenten letzte Bestecke zurecht, dann stellen auch sie sich in die Reihe der Mitschüler.
Schlagartig wird es ruhig, erst jetzt ist im Hintergrund leise Klaviermusik zu hören. Minutenlang. Dann schlägt der Holzstock auf das dunkle Parkett, dreimal. Schulleiter Robert Wennekes und seine Frau betreten den Raum und schreiten zur Tafel. Am Tischende wartet bereits ein Diener, der ihnen den Stuhl akkurat unter das Gesäß schiebt, den Oberkörper vorbeugt, die linke Hand auf den Rücken gelegt, und mit der rechten Tee einschenkt.
Heute scheint der Schulleiter gut gelaunt. An anderen Tagen brüllt er die Studenten an oder wirft etwas vom Tisch. Der strenge und launische Umgang hat Prinzip. Dadurch sollen die Studenten lernen, die Contenance zu bewahren. Dieses Ziel hatte auch Ausbildungsleiter Greveling, wie er später verrät. Wer den Laptop am Vorabend im Kaminzimmer vergaß, war ihm unwichtiger, als den Schülern ihre Rolle klarzumachen: den Status als Untertan. Permanent im Hintergrund bleiben, Macht akzeptieren – auch das gehört zum Job.