Eine der ersten Pilotinnen „Da habe ich gedacht: Warum hinter der Cockpittür bleiben?“

30 Jahre Frauen im Cockpit: Eine Pilotin berichtet Quelle: Presse

Am 23. August 1988 steuert zum ersten Mal eine Frau als Copilotin eine Lufthansa-Maschine. In den Folgejahren tun es ihr mehrere Frauen nach. Eine von ihnen war Rena Achten. Heute steuert die 54-Jährige den A380.

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WirtschaftsWoche: Frau Achten, heute vor 30 Jahren ging die erste Kapitänin als Copilotin an Bord einer Lufthansa-Maschine. Heute sind Sie eine von zwei Kapitäninnen, die den Airbus A380, das größte Passagierflugzeug der Welt, steuern. Wie kam es dazu?
Rena Achten: Ich hatte eigentlich vor, meine fliegerische Laufbahn bei Lufthansa auf der Kurzstrecke zu beenden. Dann hat es mich gejuckt, noch einmal in die Ferne zu reisen und die Veränderung anderer Länder zu erleben, da meine Zeit auf dem Jumbo schon 17 Jahre zurückliegt.

Was muss man vorweisen können, um den A380 steuern zu dürfen?
Im Gegensatz zum Führerschein fürs Auto erwirbt man die Flugberechtigung immer für ein Flugzeugmuster. Für jedes muss man die elektronischen Verschaltungen, hydraulischen Systeme, Leistungsdaten und die spezifische Aerodynamik erlernen. Jedes Flugzeug hat ein wenig andere Triebwerke und leicht andere Verhaltensmuster. Diese Systeme muss man beherrschen und die Verfahren trainieren – zuerst im Simulator und dann auch im Flugzeug. Für die Langstrecke braucht man außerdem umfangreiches Wissen über die Flugziele: Überflug- und Einflugbestimmungen verschiedener Länder, Funkverfahren, An- und Abflugverfahren für die Flughäfen und Ausweichflughäfen unterwegs.

Hatten Sie so viel Paukerei im Sinn, als Sie sich für eine Karriere als Pilotin entschieden?
Ich war mir darüber nicht im Klaren, obwohl damals schon ein Werbefilm durch die Fliegerschule ging, der „Prüfung lebenslänglich“ hieß. Das ist tatsächlich so. Fünfmal im Jahr gehe ich in den Simulator. Dann gibt es noch andere Checks wie den Systemtest, den Check auf der Linie, wo ein Prüfer und Ausbilder mitfliegt und man sowohl in der Rolle als fliegender als auch in der Rolle als nichtfliegender Pilot „gecheckt“ wird. Das alles ist neben dem Beherrschen der Notfallverfahren und den medizinischen Überprüfungen Voraussetzungen für den Lizenzerhalt.

Frauen in der Luftfahrt

Sie gehörten zu den allerersten Frauen, die eine Ausbildung zur Pilotin begonnen haben Ende der Achtzigerjahre. Wie war das? 
Selbstverständlich waren Frauen in der absoluten Minderheit. Ich war die einzige Frau in meinem Lehrgang, in dem vor mir war keine einzige, in dem nach mir auch nicht. Dadurch hatte ich in der Ausbildung wenige Begegnungen mit anderen Frauen. Man war drei Monate in Bremen in der Flugschule, dann wieder fünf Monate in Phoenix/Arizona, dann wieder in Bremen und so weiter. So hat man sich kaum gegenseitig erlebt. Ich kenne aber jede der ersten zwölf Pilotinnen mit Namen, weil man ständig irgendwie voneinander hörte. Und allein das zeigt, wie außergewöhnlich das damals noch war. Die Männer in meiner Gruppe waren zwar völlig offen für eine Frau in ihren Reihen, aber ich fiel als Einzelne eben auf.

Wie kamen Sie darauf, Pilotin zu werden?
Mich hat die Vielfalt an Aufgaben gereizt, die meinen Fähigkeiten und Neigungen sehr entgegenkam. Das Fliegen hat einen technischen und handwerklichen, einen zwischenmenschlichen und einen Führungsaspekt. Dazu hat es mit Reisen zu tun, mit fernen Ländern und anderen Kulturen. Ich konnte meine Fremdsprachenkenntnisse einbringen und auch das gefiel mir.

Aber wie kommt man als junges Mädchen in der damaligen Zeit auf die Idee, an eine Pilotenschule zu gehen? Ihr Umfeld hat ja vermutlich bei der Frage der Berufswahl nicht gesagt: Werd‘ doch Pilotin! Wie kam es bei Ihnen?
Ich war schon damals der Meinung, dass Frauen alles können. Mir war allerdings auch klar, dass sie noch nicht alles durften. Und so habe ich 1984 erst einmal als Flugbegleiterin angefangen. Da habe ich immer ein wenig ins Cockpit hineingeschnuppert, fand das sehr spannend und habe mir viel erklären lassen. Als die Fliegerschule für Frauen geöffnet wurde, habe ich gedacht: Warum hinter der Cockpittür verbleiben? Dann habe ich mich beworben und das Auswahlverfahren bestanden. Von da an gab es nicht mehr viel zu überlegen. Bis zum 31. Mai 1988 arbeitete ich noch als Flugbegleiterin, am 1. Juni saß ich schon im ersten Lehrgang in Bremen. 

Wenn Sie heute jüngere Kolleginnen treffen, welche Veränderungen bemerken Sie bei denen? Die Jüngeren sind ja aus der Pionierinnenrolle raus, gehen vielleicht mit einem anderen Selbstverständnis an die Sache heran.
Der Unterschied ist in der Tat, dass den ersten Frauen im Cockpit noch die Vorbilder fehlten. Ich musste erst einmal herausfinden, wie ich meine Stärken einbringen konnte, ohne mich zu vermännlichen. Ich wollte ich selbst bleiben und dieser Rolle meinen individuellen weiblichen Stempel aufdrücken. Ich denke, dass die jungen Frauen heute mit einem deutlich höheren Führungsanspruch an die Sache herangehen. Ich musste mich da erst einmal hinentwickeln. Auch wenn ich mir das fachlich zutraute, so war die Führungsrolle eine, die ich lernen musste, weil ich dazu nicht erzogen worden war. Die jungen Frauen heute haben sehr genaue Vorstellungen davon, wie sie ihren Beruf ausüben wollen und wie sie ihn mit ihrem Privatleben kombinieren. Sie setzen sich auch aktiv dafür ein – angefangen bei ihrer Partnerwahl und indem sie in ihren Beziehungen Zuständigkeiten aushandeln. Das sehe ich aber auch bei den jungen Männern, die ja doch überwiegend noch neben mir sitzen. Die haben heute ein ganz anderes Verständnis von ihrer Beziehung, als das damals der Fall war.

Wie haben Sie Ihre Rolle letztendlich gefunden und gestaltet?
Wenn man in der Minderheit ist, liegt die Versuchung nahe, nicht mehr so herauszustechen und sich anzupassen. Ich habe gelernt, dass es einfach so ist, dass ich heraussteche – und dass ich es aushalten kann und auch genießen darf. Ich war nie dieser Typ von Pilotin, die nichts anderes als Fliegen wollte. Ich fühle mich immer im Sinne meiner Kolleginnen und Kollegen des Teams in der Kabine, am Boden und der Fluggäste dafür verantwortlich, die Stimmung mitzugestalten. Ich will auch meine Fürsorge einbringen und den Passagieren den Flug als ein besonderes Erlebnis gestalten. Meine Arbeit verstehe ich nicht nur als einen Flug von A nach B, sondern als ein Projekt mit vielen Aspekten. 

Das Fliegen ist heute zu einer Massengewohnheit geworden, etwas Alltägliches für viele Menschen. Ist Ihre Arbeit dadurch anstrengender geworden?
Wie überall in der Gesellschaft gibt es auch bei uns eine gewisse Arbeitsverdichtung. Dadurch, dass mehr Flughäfen angeflogen werden, sind die Aufenthalte vor Ort wesentlich kürzer geworden. Das hat Vor- und Nachteile. Man sieht nicht mehr so viel von der Welt, weil man nicht mehr so viel Zeit vor Ort hat. Der Jetlag hat sich dadurch etwas verstärkt. Interessanterweise würde ich aber sagen, dass gerade beim Airbus A380 die alte Faszination vom Fliegen noch einmal neu belebt worden ist. Das hat mich überrascht, weil ich dachte, der A380 sei bis auf seine Größe ein Flugzeug wie jedes andere auch.

Dann sah ich, wie die Menschen auf dieses Flugzeug reagieren. Es übt eine große Faszination auf die Gäste aus und auch auf mich hat sich das übertragen. Manche Leute buchen ihr Ticket um, um A380 fliegen zu können oder nehmen dafür Umwege in Kauf. Dieses Erlebnis erinnert ein bisschen an die Anfangszeiten meiner Fliegerei, als sie noch etwas Außergewöhnliches war. Es ist schön, dass die Faszination nicht verlorengegangen ist und nicht durch die Alltäglichkeit des Fliegens nivelliert wurde. Mit dem A380 schließt sich für mich am Ende meiner Karriere der Kreis.

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