Glück gehabt Wenn der Zufall der beste Karrierehelfer ist

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Glück muss man sich verdienen

Hinzu kommt etwas, das Psychologen den fundamentalen Attributionsfehler nennen. „Die äußeren Einflüsse zu verstehen und ihren Beitrag einzuschätzen ist oft sehr schwierig“, sagt Rosing. „Daher neigen wir dazu, alles als das Werk von Menschen zu interpretieren.“ Gut beobachten lässt sich das an Unternehmen, in denen es oft zu einem regelrechten Führungskult kommt: Der Gründer oder Vorstandsvorsitzende gilt als großer Held, der das Unternehmen quasi im Alleingang zum Erfolg führt. „Am Ende ist das aber nur eine Geschichte, ein Mythos, den wir für uns konstruieren, um Komplexität zu reduzieren und eine einfache Erklärung zu bekommen“, sagt Kathrin Rosing.

Dass wir ein Problem mit dem Zufall und dem glücklichen Zwischenfall haben, hat aber nicht nur etwas mit Neurobiologie zu tun. Das sagt der Physiker, Philosoph und Wissenschaftsautor Stefan Klein, dessen Buch „Alles Zufall“ im vergangenen Jahr in einer Neuauflage erschienen ist. „Gesellschaftliche Normen und Weltanschauungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle“, sagt er. „Das ist fast wie eine Ideologie: Wir wollen, dass sich Leistung lohnt und wir unser Leben unter allen Umständen in der eigenen Hand haben.“ Wer die Rolle des Zufalls anerkennt, müsse zugleich akzeptieren, dass Erfolg nicht vollständig planbar ist.

Trotzdem plädiert Klein dafür, diesen Mut aufzubringen. „Wir alle täten gut daran, die Rolle des Zufalls realistischer einzuschätzen“, sagt er. „Das heißt nicht, zum Pessimisten zu werden und in Schockstarre zu verfallen, im Gegenteil: Wir besinnen uns dann auf eine unserer größten Stärken, die schnelle Reaktion auf unerwartete Ereignisse. Wer akzeptiert, dass nicht alles planbar ist, bleibt flexibler und offen für zufällige Möglichkeiten und neue Chancen.“

Lösung gegen Ungleichheit

Der Ökonom Robert Frank glaubt sogar, dass die Akzeptanz des Zufalls die Welt zu einem gerechteren Ort machen kann. Dass die Einkommens- und Vermögensungleichheit in vielen Ländern so stark gestiegen sei, habe auch etwas damit zu tun, dass viele Reiche vehement gegen hohe Spitzensteuern und Umverteilung eintreten. Dahinter stehe die Vorstellung, dass jeder reich werden könne, wenn er nur hart genug arbeite.

Eine Umfrage der Meinungsforscher von Pew Research bestätigt das: Wer mehr verdient, glaubt erst recht, dass Erfolg der Lohn harter Arbeit ist und nur wenig mit Glück zu tun hat. Auf die Frage, wie man reich wird, antworteten die Teilnehmer der Umfrage, die selber zur oberen Einkommensschicht gehörten, häufiger als andere mit der Antwort „Hart arbeiten“.

Studien des Psychologen David DeSteno von der Northeastern-Universität zeigen aber, wie schnell sich solche Vorstellungen ändern können. Und zwar dann, wenn jemandem bewusst wird, dass auch er Glück im Leben hatte. In mehreren Experimenten konnte DeSteno zeigen, dass Menschen hilfsbereiter werden, wenn ihnen kurz zuvor zufällig etwas Gutes widerfahren ist – und das nicht nur gegenüber Menschen, die einem direkt geholfen haben, sondern auch gegenüber völlig Fremden.

Und eine 2009 erschienene Studie von Forschern um den Psychologen Alex Wood von der Universität Stirling zeigt, dass es einem selbst guttut, wenn man die glücklichen Umstände im eigenen Leben bewusst erkennt: Menschen, die das regelmäßig tun, sind laut der Studie selbstbewusster, haben stabilere Freundschaften und Partnerschaften und gehen besser mit Krisen um.

Sich klarzumachen, wie viel Glück man im Leben hat, kann sogar wie ein Schmerzmittel wirken. Die Psychologen Mathias Allemand (Universität Zürich), Patrick Hill (Carleton-Universität, Ottawa) und Brent Roberts (Universität von Illinois) haben gezeigt, dass Menschen, die dankbar gegenüber anderen oder den Rahmenbedingungen sind, in denen sie leben, seltener unter Schmerzen leiden. Für ihre 2014 erschienene Studie verschickten die Psychologen ausführliche Fragebögen an rund 1000 Männer und Frauen in der Schweiz. Diese mussten unter anderem angeben, wie häufig sie wegen Problemen wie zum Beispiel Rückenschmerzen nicht normal arbeiten konnten. In einem anderen Teil des Fragebogens wurde mit einem Standardtest aus der Psychologie die Dankbarkeit der Teilnehmer gemessen. Wer auf der Dankbarkeitsskala besonders hohe Werte erreichte, berichtete seltener über Schmerzen.

Wissen, wo die eigenen Grenzen liegen

Gründe genug also, offen und ehrlich zuzugeben, dass man nicht dort wäre, wo man ist, wenn es nicht dieses eine zufällige Treffen beim Abendessen gegeben hätte. Für Führungskräfte ist diese Ehrlichkeit sogar besonders wichtig, sagt Wirtschaftspsychologin Kathrin Rosing. „Man sollte sich zwischendurch immer mal wieder klarmachen, wo die eigenen Grenzen liegen, welche Dinge man nicht beeinflussen kann und wie wichtig die Beiträge der anderen für den Unternehmenserfolg sind“, sagt sie – und empfiehlt, diese Übung in Demut wie ein Ritual in seinen Alltag einzubauen. „Sonst fällt man schnell den einfachen Erklärungen und dem eigenen Heldenstatus zum Opfer.“

Schließlich bedeutet die Macht des Zufalls auch nicht, dass man nichts mehr beeinflussen kann. Oft muss man sich sein Glück erst mal verdienen. Niemand brachte das je so treffend auf den Punkt wie Gary Player: „Je härter ich trainiere“, sagte der ehemalige südafrikanische Profigolfer, „desto mehr Glück habe ich.“

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