Homeoffice Ein Königreich für einen Drehstuhl

Nach drei Wochen Homeoffice steigt der Wunsch nach den Annehmlichkeiten des Büroalltags. Quelle: dpa Quelle: dpa

Für Büroarbeiter schien der Shutdown sein Gutes zu haben: Das begehrte Homeoffice wurde schlagartig zur Selbstverständlichkeit. Nach drei Wochen zwischen Wäscheständer und Geschirrablage schlägt die Sehnsucht um.

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Das Virus, so sagen es Fernsehkommentatoren derzeit gerne mit bedeutungsschwerer Pause, verdammt uns zwar zur Einsamkeit, nächste Pause, es bringt uns zugleich aber auch näher zusammen als je zuvor.

Ich kann das bestätigen. Was ich in den vergangenen Wochen allein über die tierischen Vorlieben meiner Kollegen gelernt habe, ist erstaunlich. Einer grüßt jeden Morgen vor einem Gemälde dreier bedrohlich dreinblickender Stiere. Verständlich, dass ihm selten einer widerspricht. Das Büro eines anderen schmücken die Detailzeichnungen tropischer Fische. Ein dritter Kollege schließlich scheint wenig für all diese Geschöpfe übrig zu haben: Hinter ihm baumelt ein Jagdgewehr.

Was sie mir damit sagen wollen? Wahrscheinlich bloß: Woanders war leider kein Platz.

Homeoffice, das bedeutet für die meisten Leute derzeit eben: arbeiten, wo es eigentlich nicht vorgesehen ist. In den ersten Tagen ergab sich genau daraus der Charme des Zuhausebleibens. Wenn sich die Videokonferenz gerade um Themen dreht, die einen nichts angingen, konnte man sich plötzlich unsichtbar machen und kurz auf der Terrasse die Sonne genießen. Und wer um halb neun anfangen wollte zu arbeiten, der konnte wirklich erst um Viertel nach acht aufstehen. Wer abends eine Quiche backen wollte, konnte in der Mittagspause schon mal den Mürbeteig vorbereiten. Das sonst so geregelte Arbeitsleben, es fühlte sich plötzlich selbstbestimmt an. Und am Abend hatte man trotzdem mehr geschafft.

Die Vorzüge offenbarten sich sofort – die Nachteile zeigen sich nun mit einiger Verzögerung.

Keine Rückenlehne, nirgends

Mein Schreibtischstuhl zum Beispiel, der ist wirklich ein schönes Stück. Was vor allem daran liegt, dass er eigentlich gar kein Schreibtischstuhl ist. Er lässt sich nicht in der Höhe verstellen, die Rückenlehne ist so kurz, dass ich problemlos einen Rucksack tragen könnte. Und Rollen hat er auch keine.

Ähnliches gilt für meinen Schreibtisch, den Rechner, ja, das gesamte Arbeitszimmer: Wenn der Nachbar seinen Gartentisch abschleift, kann ich dank meiner mäßig dichten Fenster kaum noch telefonieren. Ich habe Ergonomie lange für eine mit der Homöopathie und der Astrologie artverwandte Wissenschaft gehalten. Inzwischen kann ich die Ergebnisse einer Ein-Personen-Feldstudie präsentieren: Wer den Arm tagelang im falschen Winkel gebeugt hält, dem tun am Ende tatsächlich die Sehnen weh.

Und so suchen die Sehnsüchte sich neue Ziele. Das Büro, dieser öde graue Raum, an dessen Wände ich nichts anbringen darf und wo mich sogleich ein Kollege zurechtweist, wenn ich das Fenster einen Moment zu lange geöffnet lasse oder eine Spur zu laut rede, es offenbart aus der Ferne plötzlich seine Reize. Wie ich doch diesen kleinen Knopf vermisse, um aus dem Tisch in meinem Büro binnen Sekunden ein Schreibpult zu machen! Die gleichmäßige Temperatur hinter den automatischen Jalousien, die ich in nun so weit entfernt wirkenden Zeiten stets als Bevormundung empfand!

Sehnsucht nach der Gewohnheit

So geht es derzeit vielen. Mit jeder Woche in zwangsweiser Heimarbeit steigt die Freude auf eine Rückkehr in alte Gewohnheiten. Rückenschonend, zentral klimatisiert. Es ist am Ende wahrscheinlich ein bisschen so wie mit dem deutschen Brot: Solange wir zu Hause sind und jederzeit ein Bäcker in Reichweite ist, sind Backwaren kaum der Rede wert. Leben wir aber einmal länger im fernen Ausland, wird aus dem Grundnahrungsmittel ein Sehnsuchtsgut, mit dem sich ganze Abendunterhaltungen unter Expats bestreiten lassen.

Und wem das Vollkorndeutschland zum Halse heraus hängt, der setzt sich eben in den Flieger und nimmt sich eine Auszeit – bis er den Geruch wieder vermisst.



Wahrscheinlich würden wir so auch unsere Bürokomplexe los: Wenn wir die grauen Funktionsmöbel nicht mehr als Orte der Pflichterfüllung betrachteten, sondern als den Platz, der unseren Arbeitsbedürfnissen gerade am besten entspricht. Und wenn die Gedanken mal wieder mehr Freiheit brauchen, dann bleiben wir eben mal für einen Tag im Homeoffice. Und finden dort kreativere, positivere Gedanken. Manche sogar, wenn an der Wand ein Jagdgewehr hängt.

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So gelingt das Homeoffice: Von technischen Tücken bis zur Frage, wie Sie selbst aus der Ferne beim Chef punkten. Das große WiWo-Homeoffice-Dossier finden Sie hier.

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