Psychologin „Freundschaften im Job sind auch Selbstzweck“

Am Arbeitsplatz entstehen oft Freundschaften. Nur: Halten sie auch ohne den Kontakt im Job? Quelle: Imago

Wenn Kollegen das Unternehmen verlassen, ist die Freundschaft schnell Geschichte. Eine Psychologin erklärt, was man dagegen tun kann und warum Kollegen gar nicht unbedingt Freunde sein müssen.

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Annette Schlipphak ist Vizepräsidentin des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Die ehemalige Polizeipsychologin arbeitet im Betrieblichen Gesundheitsmanagement einer Bundesbehörde.

WirtschaftsWoche: Frau Schlipphak, wann überlebt eine Freundschaft unter Kollegen, wenn einer die Firma verlässt?
Annette Schlipphak: Das hängt sehr davon ab, wie eng und persönlich der Kontakt ist. Ist es eher eine kollegiale Freundschaft oder teilt man mehr? Bei ersterer tauscht man sich vor allem im dienstlichen Kontext aus, berät sich unter Kollegen. Ist der Kontakt persönlicher, ist man vielleicht Teil des Freundeskreises und kennt sich auch privat. Je integrierter man in das Leben des Anderen ist, je mehr man auch andere Themen hat, die verbinden, desto höher ist die Chance, dass die Freundschaft auch einen Jobwechsel übersteht. Freundschaften brauchen immer eine gemeinsame Basis.

Sind Sie noch mit ehemaligen Kolleginnen befreundet?
Viele Beziehungen lassen in der Tat nach. Ich habe noch Freundinnen aus dem Studium und eine Freundin aus der Zeit, als wir an der Universität gearbeitet haben. Mit anderen Menschen habe ich wirklich toll zusammengearbeitet, wir waren befreundet, haben uns privat getroffen – das hat nach dem Jobwechsel ein paar Jahre gehalten, aber wenn dann noch ein Umzug dazukommt, wird es schwer.

Distanz ist also generell ein Problem?
Nicht grundsätzlich, Freundschaften entstehen durch Nähe. Nähe bedeutet in diesem Zusammenhang: Personen, die ich entweder jeden Tag oder häufig treffe oder denen ich irgendwie ähnlich bin und mit denen ich über die gleichen Themen sprechen kann. Kommt es zu einer räumlichen oder beruflichen Trennung, desto mehr kann das Aufrechterhalten der Beziehung eine richtige Herausforderung werden. Da kann es durchaus passieren, dass der oder die Neue im Job auch zwischenmenschlich die Lücke füllt, die die Kollegin oder der Kollege hinterlassen hat.

Freundschaften im Job sind also auch ein Selbstzweck?
Ja, aber das ist gar nicht abwertend gemeint. Solche beruflichen Freundschaften sind wichtig, zum einen, weil ich dann gern zur Arbeit gehe und mich dort wohlfühle. Ich habe dadurch gute Netzwerke. Es fördert das Betriebsklima und damit dann auch die Arbeitsergebnisse. Aber die Frage ist: Wie viel Privates will ich offenbaren? Will ich wirklich, dass Leute an meinem Arbeitsplatz wissen, wie es mir oder meiner Familie tatsächlich geht? Für eine tragfähige, krisenfeste Freundschaft muss ich mich öffnen, mich verletzlich machen und verschiedene Facetten meiner Persönlichkeit zeigen. Damit mache ich mich auch angreifbar. Und im Büro kann es auch um Konkurrenz gehen und persönliche Informationen können auch immer gegen einen selbst verwendet werden.

Fallen berufliche Freundschaften grundsätzlich in eine andere Kategorie als beispielsweise Freundschaften aus Studienzeiten?
So pauschal würde ich es nicht sagen. Freundschaften aus Studienzeiten sind Freundschaften, die entstehen weil alle im Wesentlich an der gleichen Stelle ihrer Entwicklung stehen. Eine neue Lebenssituation, vielleicht in einer neuen Stadt, alles haben vergleichbare Herausforderungen. Aus einer beruflichen Freundschaft kann eine gute Freundschaft erwachsen. Das braucht Zeit und eine vertrauensvolle Beziehung. Außerdem gibt es nicht DIE Freundschaft. Jeder Mensch definiert es anders, ab wann jemand ein guter Freund ist oder doch eher ein guter Bekannter. Für mich ist ein Freund jemand, mit dem mich mehr verbindet als der Beruf, bei dem ich sage: „Ich kann mich auf diese Person verlassen“ und den ich vielleicht anrufen will, wenn zum Beispiel meine Mutter gestorben ist.

Was sollte man also tun, wenn diese Vertrauensperson bald die gemeinsame Firma verlässt und man unbedingt den Kontakt aufrechterhalten möchte?
Es ist wichtig, dass man das Thema anspricht und sich konkret fragt: „Wie wollen wir das machen?“. Das kann bedeuten, dass man sich vorher fest verabredet, einmal pro Woche zu telefonieren oder alle zwei Wochen nach der Arbeit was trinken zu gehen. Wechselt die Person in eine ähnliche Position, könnte man anregen, sich beruflich zu vernetzen und auch so den Kontakt aufrechtzuerhalten. Ob das passt, hängt natürlich aber stark davon ab, wo ich arbeitet, ob ich bei meinem einem Job den Luxus habe, Kontakte selbstbestimmt zu pflegen oder aber im Callcenter oder in der Pflege stärker eingetaktet bin.

Und wenn man sich nur privat sehen könnte?
Freundschaft braucht Kontakt. Wo kein Kontakt ist, wird die Freundschaft über kurz oder lang einschlafen. Ich sollte dranbleiben und mich melden. Das kann auch über Social Media oder Chatgruppen passieren, indem ich den Anderen an meinem Leben teilhaben lassen. Es sollte Spaß machen, locker sein. Kontakthalten ist mit Anstrengung verbunden, wenn man sich nicht mehr jeden Tag sieht.

Wird erst rückblickend klar, ob es eine echte Freundschaft ist?
Ich würde eher sagen, dass man nach dem Weggang sieht, ob die Freundschaft über den Arbeitskontext hinaus trägt. Freundschaften verändern sich mit der Zeit, dasselbe gilt für die eigene Einstellung dazu. Wir lernen im Laufe der Zeit immer mehr Menschen kennen, haben Hobbys und zusätzliche familiäre Verpflichtungen. Freundschaften kosten Zeit, wir können nicht zu einer unendlichen Anzahl von Menschen Kontakt halten. Auch deshalb wird man häufig im Alter zwangsläufig wählerischer. Irgendwann stellt man dann womöglich fest: Das passt nicht mehr.

Und das ist dann auch in Ordnung.
Absolut. Wenn man aber doch noch in Kontakt bleiben will, sollte man das Thema ansprechen, zum Beispiel: „Ich finde es schade, dass wir uns so selten sehen. Woran liegt das?“ Es gibt Menschen, die einfach nicht so gut darin sind, Kontakt zu halten. Sie freuen sich aber sehr, wenn sich der Andere meldet. Da muss ich für mich selbst entscheiden, ob mir der Aufwand es wert ist. Außerdem stellt sich erst nach dem Weggang heraus, welche Erwartung jemand an eine Freundschaft hat. Einige Menschen wollen einen engen Kontakt. Anderen reicht es hingegen vielleicht, wenn man sich zweimal im Jahr sieht.

Heikel wird es, wenn der Weggang nicht freiwillig war.
Bei einer Kündigung kann sich zeigen, ob sich die Freundschaft bewährt, man den Anderen nicht hängen lässt. Auch hier sollte man die Situation klar benennen. Wenn es gelingt, zu sagen „Wir haben hier eine echt beschissene Situation“, man über Wut und Trauer reden kann, sich emotional öffnet und Unterstützung anbietet, dann kann daraus etwas ganz Gutes werden. Andererseits kann es natürlich heikel sein, wenn man später davon schwärmt, wie toll die Arbeit gerade ist. Da kann es helfen, zu vereinbaren, lieber erst mal nicht über den Job zu reden.

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Bin ich eigentlich in einer Firma falsch, in der ich keine Freunde habe?
Es wäre tatsächlich ein Problem, wenn Sie so gar keinen Ihrer Kollegen nett finden. Ich muss aber keine Freunde in dem Unternehmen haben. Entscheidend ist, dass man gut zusammenarbeitet, dass die Arbeit Spaß macht, man ein gemeinsames Ziel hat. Ich wehre mich gegen den überbordenden Begriff von Freundschaft – eine Arbeitskultur, in der man alles zusammen macht, und wer da nicht mitmacht gehört nicht dazu. Natürlich ist es wünschenswert, Kollegen zu haben, mit denen ich mich gern in der Kaffeeküche unterhalte. Aber ich sollte nicht erwarten, dass meine Kollegen automatisch meine Freunde sind. Jedes Team sollte damit umgehen können, auch Mitglieder zu haben, die eher Distanz halten.

Mehr zum Thema: Wenn es am Arbeitsplatz nicht nur bei Freundschaft bleibt, wird es oft problematisch. Das war zuletzt bei der Affäre um den Ex-Bild-Chef Julian Reichelt sichtbar. Sie zeigt, welchen Einfluss US-Firmenkultur in Europa gewinnt. Bei Beziehungen in der Firma gilt dort ein Nulltoleranzkodex – mit entsprechend harten Konsequenzen.

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