Zwei Tage Hamburg, zwei Tage Berlin, zwei Tage Düsseldorf: So sieht eine Arbeitswoche von Sebastian Rösch und Maximilian Schmiedel aus. Derzeit pendeln sie durch die Republik, um ihr Start-up aufzubauen: Brightup entwickelt eine App für Smartphones, mit der sich die Beleuchtung zu Hause steuern und überwachen lässt – damit das Licht angeht, wenn es dunkel wird, und wieder ausgeht, wenn man die Wohnung verlässt. Damit die Nachttischlampe zum Aufwecken hochdimmt und die Deckenlampe beim Filmschauen herunterdimmt – alles wie von selbst.
So klar die Geschäftsidee, so unklar ist im Moment, wo sich die Gründer dauerhaft niederlassen werden. An der Uni Hamburg sind sie gestartet, unter dem Dach eines Energieversorgers im Rheinland arbeiten sie an der Umsetzung, im Microsoft Ventures Accelerator in Berlin entwickeln sie Strategien. Sie haben Schreibtische in drei Städten, wohnen bei Freunden und in Hotels. Zwischendurch sitzen sie im Zug, wo sie programmieren, designen oder E-Mails beantworten. „Wir haben zwar hohe Reisekosten“, sagt Gründer Rösch, „aber wir wollten uns bisher nicht festlegen, weil alle drei Städte Vorteile bieten.“
Die Wahl des richtigen Standorts: für viele Gründer eine Entscheidung, die sie später kaum revidieren können. „Vom Standort hängt nicht nur ab, wie nah ich an Kunden, Mitarbeitern und Geldgebern bin“, sagt Sebastian Zenker, Professor für Stadtmarketing an der Copenhagen Business School. „Der Standort prägt auch das Image meines Unternehmens, gerade wenn es noch unbekannt ist.“
Davon profitiert Berlin mehrfach. Studien zufolge gehen in der Hauptstadt im Schnitt jeden Tag zwei neue Firmen in innovativen Branchen an den Start. Mehr als 2.000 Arbeitsplätze entstehen Jahr für Jahr im digitalen Sektor. Laut dem aktuellen Deutschen Startup Monitor von Bundesverband Deutsche Startups und KPMG bringen sieben von zehn Berliner Start-ups nach eigener Aussage eine „europaweite oder weltweite Neuheit“ auf den Markt. Häufiger als Jungunternehmen aus anderen Städten erhalten sie dafür Risikokapital, der Zugang zu Investoren fällt ihnen leichter als Start-ups in anderen Städten.
Berlin-Bashing ist in
Längst halten Gründer in ganz Europa Berlin für den Standort schlechthin. Das zeigte sich auch auf der Start-up-Tour der WirtschaftsWoche im Oktober: In der Green Garage bauen Unternehmer aus Großbritannien und Holland Öko-Start-ups auf. Solche Inkubatoren sind ein wichtiger Grund für Gründer, ihren Standort zu verändern: Klang Technologies aus Aachen etwa, das im Finale des WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerbs Neumacher steht, hat in der Berliner Start-up-Brutstätte Hubraum ein Büro bezogen. Auch Fördergelder spielen bei der Entscheidung eine wichtige Rolle, wie eine Studie der Kanzlei Lutz Abel zeigt.
Doch nicht alle Gründer lassen sich vom Hauptstadt-Hype anstecken. Im Gegenteil: „Berlin-Bashing“, das Schimpfen auf die Metropole, ist populär – zumindest bei der Konkurrenz aus dem Rest der Republik. Jüngster Fall: Gründer aus der bayrischen Landeshauptstadt formulierten eine Pressemitteilung mit dem Titel: „Isar statt Spree: Start-ups loben München.“
Prompt erklärte das Gründerportal Deutsche-Startups.de die Hauptstadt-Hetze für „überflüssig wie ein Eisverkäufer in der Arktis“. Könne man gemeinsam stärker um Kunden und Investoren kämpfen als allein, sei eine städteübergreifende Kooperation durchaus sinnvoll, bestätigt Forscher Sebastian Zenker. „Aber der Wettbewerb bringt Städte auch dazu, nach Erfolgskonzepten zu suchen, am Image zu arbeiten und Gelder bereitzustellen – davon können Gründer profitieren.“
So wie die Brightup-Gründer. Gut möglich, dass auch sie am Ende in Berlin landen: „Wir brauchen Investoren und IT-Entwickler, die sich mit Hardware auskennen“, sagt Rösch. „Davon gibt es in Berlin einfach deutlich mehr als anderswo.“
Köln - Der Hidden Champion der Gründerszene
Wenn Christian Schwarzkopf und Tim Lagerpusch erzählen, warum sie im Frühjahr 2013 ihre Koffer gepackt haben und von Hamburg nach Köln gezogen sind, sprechen sie gerne von der großen „catchment area“ rund um Köln – zu Deutsch: dem riesigen Einzugsbereich der Domstadt. In einer Stunde erreichen die beiden von hier aus zahlreiche Großstädte im Rheinland und im Ruhrgebiet, wo zusammengenommen mehr als zwölf Millionen Menschen leben. Selbst bis Paris dauert es kaum länger als drei Stunden. „Köln ist ein Hidden Champion“, sagt Schwarzkopf, „und unter Gründern absolut im Kommen.“
Für Schwarzkopf und Lagerpusch war die Stadt deswegen erste Wahl – vor Hamburg und Berlin. Auch Karlsruhe ließen sie links liegen, obwohl sie dort studiert und das Center für Innovation & Entrepreneurship aufgebaut hatten. Der Grund für ihren Umzug: Für ihren Online-Marktplatz Sugartrends suchen Schwarzkopf und Lagerpusch nach kleinen Läden und Boutiquen mit besonderen Produkten, wie sie sich vor allem in den Innenstädten großer Städte finden. Jene Einzelhändler, die im Wettstreit mit großen Online-Anbietern um ihre Existenz fürchten müssen. Über die Plattform Sugartrends sollen sie mehr Käufer im Netz erreichen.
Lagerpusch und Schwarzkopf haben sich mitten in der entstehenden Gründerzone zwischen den beiden Start-up-Häusern Startplatz und dem Clusterhaus in der Nähe des Friesenplatzes sowie dem Belgischen Viertel niedergelassen – in einem restaurierten Fabrikgebäude aus Backsteinen mit hellen Rundbogenfenstern. „Wir sind mittendrin“, sagt Schwarzkopf, „nah an anderen Start-ups und nah an vielen kleinen Läden.“
Dass Schwarzkopf und Lagerpusch mit ihrer hohen Meinung vom Standort Köln in der Gründerszene der Stadt nicht alleine stehen, zeigte sich etwa Anfang Oktober, als der E-Entrepreneurship Flying Circus an der Universität der Domstadt haltmachte – ein Projekt des Entrepreneurship-Professors Tobias Kollmann, der per Bus in ganz Deutschland für Unternehmertum warb. Auf dem Podium erklärten Gründer, dass die Szene in Berlin „zu viel mit sich selbst beschäftigt“ sei. Köln dagegen besteche etwa durch die Nähe zu Mittelstand und Industrie im Rheinland und Ruhrgebiet. Das helfe vor allem Gründern mit sogenannten Business-to-Business-Ideen – also solchen Start-ups, die ihre Produkte vor allem an gewerbliche Abnehmer verkaufen wollen.
Wie wichtig diese Verbindung ist, bestätigt auch der aktuelle Deutsche Startup Monitor: Fast 40 Prozent der Gründer aus dem Raum Rhein-Ruhr bekannten in der Umfrage, ausschließlich Businesskunden zu adressieren – mehr als in Berlin, Hamburg oder München. Für solche Firmen sei Berlin eher nicht geeignet, weil es in der Hauptstadt und in der Umgebung weniger Industrie gebe und „du da halt nicht gut wegkommst“, formuliert es der Kölner Seriengründer Oliver Thylmann.
Woher Startups ihr Kapital erhalten
82,5 %
Quelle: Deutscher Startup Monitor/Bundesverband Deutsche Startups, 2014
32,7 %
29,1 %
28,2 %
21,4 %
10,9 %
10,2 %
4,1 %
Auch die Jungunternehmer Schwarzkopf und Lagerpusch schätzen die Nähe Kölns zu mehreren Flughäfen. Denn einige ihrer Entwickler sitzen in Lissabon – „und dorthin zu kommen war von Hamburg aus schwierig und teuer“.
Schlechte Noten für Politiker
Zumal es im Rheinland gutes Personal gibt, wie Tobias Schiwek bestätigt. Er hat 2012 das Start-up Endore.me gegründet, eine Plattform, die Künstler und Fans zusammenbringen soll. Endore.me startete in Berlin, wo seine ersten Investoren ihren Sitz hatten. Doch als Schiwek und sein Mitgründer in Köln deutlich schneller Entwickler fanden, zogen sie nach einigen Monaten zurück an den Rhein.
Allerdings hat die Region noch Nachholbedarf. Laut dem Deutschen Startup Monitor ist in der Metropolregion Rhein-Ruhr sowohl der Zugang zu Beratern und Mentoren als auch der Zugang zu Investoren schwieriger als in Berlin, München oder Hamburg. Erfolge werden nach Ansicht der befragten Unternehmer nicht sichtbar genug kommuniziert, und das Veranstaltungsangebot für Gründer lässt zu wünschen übrig. Außerdem bewerten die Gründer die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen eher schlecht, wenn es um die Förderung des Gründerstandorts geht. Dabei sollten die Städte der Region kooperieren, findet Sugartrends-Gründer Schwarzkopf: „Kleinstaaterei hilft hier niemandem weiter.“
Hamburg - Die Stadt der digitalen Leuchttürme
Das Angebot ihres Investors klang verlockend: günstige Räume in Berlin-Mitte – genau da, wo der Geldgeber selbst seine Büros hat, wo die Start-up-Szene am sichtbarsten ist und wo Woche für Woche Events für Gründer und Geldgeber stattfinden. Viele Jungunternehmer würden sich vermutlich die Finger danach lecken.
Doch Hauke Windmüller, Michael Asshauer und David Nellessen lehnten ab, blieben mit ihrem Start-up Familonet lieber in Hamburg – dort, wo sie ihre App entwickelt haben. Eine App, die Familien vernetzt: Wer sie nutzt, kann mit Verwandten kommunizieren, sie über seinen Standort informieren, im Notfall um Hilfe rufen oder automatisch benachrichtigen, wenn er an einem bestimmten Ort angekommen ist – etwa in der Schule oder zu Hause. Zwei Jahre nach dem Start sind mehr als 100.000 Nutzer bei Familonet angemeldet. Den Erfolg verdankt das Start-up auch der Stadt: Für den Start hatte es einen Zuschuss der Hamburgischen Förderbank von fast 150.000 Euro eingesammelt. „Eine vergleichbare Förderung“, sagt Gründer Windmüller, „hätten wir an keinem anderen Standort bekommen.“
Das Förderprogramm der Bank funktioniert wie Köder und Anker gleichzeitig: In die Stadt locken soll er Gründer, die noch nicht wissen, wo sie ihre Firma aufbauen sollen. Und Unternehmen wie Familonet, die in Hamburg gestartet sind, an den Standort binden. Denn wer die Hansestadt während des Förderzeitraums oder in den fünf Jahren danach verlässt, kann zur Rückzahlung verpflichtet werden.
Trotz des Angebots bewerten Hamburger Gründer den Zugang zu Förderprogrammen im Deutschen Startup Monitor schlechter als Gründer aus Berlin, München oder der Metropolregion Rhein-Ruhr. Carsten Brosda, Leiter des Medien-Amts der Hansestadt und Kenner der Start-up-Szene, will die Angebote deswegen bekannter machen. Außerdem wolle die Stadt „weitere, vor allem private Finanzierungsmöglichkeiten noch transparenter und damit effektiver zu machen“.
Hamburg sichtbar machen
Brosda betont außerdem, dass in der Stadt viele Initiativen entstanden sind, die die Gründerszene sichtbarer machen sollen – „und zwar ganz von selbst und deswegen nachhaltig“. Ein Beispiel: Die Unternehmer Sanja Stankovic, Sina Gritzuhn und Tim Jaudzims haben das Netzwerk Hamburg Startups gegründet – aus Frust darüber, dass die Hamburger Start-ups oft unterschätzt werden, und mit dem Ziel, die „versteckte, lebendige und wachsende Gründerszene“ sichtbarer zu machen.
Verstecken muss sich Hamburg nicht: Schon jetzt arbeiten mehr als 50.000 Beschäftigte in fast 10.000 IT-Unternehmen. Als Leuchttürme an der Elbe gelten die Online-Spielehersteller Bigpoint und GoodGame Studios und der Serverhersteller Protonet. Die Regierung des Stadtstaats will dafür sorgen, dass weitere Erfolgsbeispiele folgen: Über ihre Standortinitiative nextMedia.Hamburg will sie neue Start-ups im Digitalsektor unterstützen.
Manche Gründer verleitet der Erfolg dazu, gegen die Hauptstadt im Osten zu wettern. „Berlin ist für Start-ups, Hamburg für Grown-ups“, stichelt etwa Facelift-Gründer Benjamin Schröter. In der Verwaltung der Hansestadt setzt man aber auf Kooperation statt Konfrontation: „Berlin und Hamburg sind so unterschiedlich, dass sie sich eher ergänzen, als miteinander zu konkurrieren“, betont Carsten Brosda. Aus Sicht des Stadtmarketing-Forschers Zenker ist das sinnvoll: „Hamburg kann sich im internationalen Wettbewerb besserstellen, wenn es sich als Metropolregion positioniert. Auch Hamburg und Berlin lassen sich räumlich gut zusammen denken.“
Hauke Windmüller kann das bestätigen: Er pendelt oft in die Hauptstadt – zu Investoren oder zu Veranstaltungen. „Für uns“, sagt der Gründer, „war die Nähe zu Berlin ein wichtiges Argument für Hamburg.“
München - Mit Bits und Brez'n aus dem Schatten Berlins
Das Schreiben war nicht länger als zwei Seiten, aber sein Inhalt brisant genug, um die Gründerszene aufzubringen: „Mehr als 30 Prozent aller Investorengelder wandern nach Berlin“, hieß es Anfang September in einer Pressemitteilung, „die Stadt an der Spree scheint förmlich ein Erfolgsgarant zu sein – oder doch nur eine Hype-Bühne?“ Für Zoltan Elek steht die Antwort längst fest. „In München entstehen Unternehmen“, erklärte der Co-Autor der umstrittenen Pressemitteilung, die in Berlin als Brandbrief verstanden wurde, „in Berlin Start-up-Projekte.“
Wer mit dem Unternehmer spricht, versteht schnell, was er an München schätzt. Elek hat Landwärme aufgebaut – sein Unternehmen erzeugt Biomethan aus Abfällen und nachwachsenden Rohstoffen, speist es ins Erdgasnetz ein, handelt damit und berät andere Erzeuger. Knapp sieben Jahre nach dem Start beschäftigt Elek 15 Mitarbeiter und erwirtschaftet nach eigenen Angaben rund 80 Millionen Euro Umsatz. Elek setzt damit auf den Trend zu regenerativen Energien: Allein von 2010 bis 2013 ist die Zahl der Biogasanlagen in Deutschland von 44 auf 144 gestiegen.
München ist für Elek der perfekte Standort – nicht nur, weil er hier selbst studiert und in einem Kombinationsstudiengang der beiden Münchner Universitäten TU und LMU seine Begeisterung fürs Unternehmertum entdeckt hat. An den Universitäten der bayrischen Landeshauptstadt hat er auch seine Mitarbeiter rekrutiert. „Die Nähe zu den Hochschulen ist ein Riesenvorteil“, sagt Elek, „und viele Absolventen möchten langfristig in München bleiben.“
Studien belegen, wie wichtig die Hochschulen für die Gründerszene in München sind: Laut dem Gründungsradar des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft fördern die TU München und die Hochschule München von allen großen deutschen Hochschulen Gründungen am besten. Dazu passt, dass der Anteil der Start-ups, die von Gründern mit Hochschulabschluss aufgebaut werden, in München höher ist als etwa in Berlin und Hamburg. Das zeigt der Deutsche Startup Monitor, in dem Münchens Gründer außerdem den Zugang zu Business Angels und die Netzwerke der Stadt loben. Auch die Bemühungen der Landesregierung, Start-ups zu fördern, bewerten die Jungunternehmer vergleichsweise gut – genau wie die Vielfalt der Events für Start-ups. Im Januar etwa findet das zweite „Bits & Pretzels“ statt: Initiator Andreas Bruckschlögl erwartet dann rund 1500 Vertreter des Start-up-Ökosystems im Löwenbräukeller.
Start-ups überlegen länger
Verständlich, dass Münchens Gründer die Stadt aus dem Schatten Berlins hieven wollen. Dazu haben sie kürzlich die Initiative „Best of Munich“ ins Leben gerufen. Laut den Initiatoren ist die Stadt an der Isar nicht nur „führender Standort der digitalen Wirtschaft in Deutschland und im europäischen Vergleich vor London und Paris“. Sondern auch jene Stadt in Deutschland, in der mit 62 Prozent mehr Start-ups die ersten fünf Jahre überleben als im Rest der Republik. Gemessen an der Zahl der Einwohner, werden nirgendwo sonst so viele IT-Unternehmen gegründet wie in München, errechnete der Branchenverband Bitkom in einer Studie Ende 2012.
Zoltan Elek pendelt mittlerweile oft in die Hauptstadt. Dort sucht er den Dialog mit Verbänden und Politikern, um für Biogas zu werben – denn Energiepolitik ist zu großen Teilen Bundespolitik. Und er besucht Biogaserzeuger, denn rund um Berlin sitzen die meisten von ihnen. Bayern bleibt er trotzdem treu. „München“, sagt der Unternehmer, „zieht einfach die richtigen Leute an.“