Tausende Bachelor-Absolventen in Deutschland entscheiden sich heute für ein Gap Year. Sie gehen auf Reisen, absolvieren Praktika in Unternehmen, sie lernen eine neue Fremdsprache oder engagieren sich in sozialen Projekten in Schwarzafrika. Der Master kann warten, Erfahrung zählt mehr als die glatte Eins auf dem Zeugnis. Wenn nicht jetzt, wann dann.
"Der Trend zum Gap Year ist aus der Orientierungslosigkeit bei heutigen Studenten entstanden", sagt Andreas Schwarz, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Personalberatung Rundstedt HR Partners. In einer Welt, die aus Leistungspunkten, Anwesenheitspflichten und kurzen Regelstudienzeiten besteht, fällt es Studenten zunehmend schwer, befriedigende Antworten zu finden auf Fragen wie: Wohin will ich mit dem Studium? Wer mit 21 seinen Bachelor abschließt, kann das noch nicht unbedingt wissen.
Ein Modell macht Schule
Der Brauch, ein Gap Year einzulegen, kommt ursprünglich aus England, wo der Bildungsweg seit jeher kürzer war als hierzulande. Seit den späten Sechzigerjahren machen junge Briten nach der Schule eine Pause, um ins Ausland zu gehen, nutzen Uniabsolventen die Gelegenheit, ihre theoretischen Kenntnisse in Praktika auszuprobieren. In einer Umfrage des britischen Marktforschungsunternehmens YouGov unter britischen Personalverantwortlichen sagten kürzlich fast zwei Drittel, ein Gap Year werte eine Bewerbung auf. Hunderte Gap-Year-Programme spülen jedes Jahr Tausende britische Absolventen in alle Welt. Ein Gap Year auf dem Lebenslauf gehört dort nicht nur zum Standard. Wer sich nicht durch Pausen vom Lernen interessant macht, hat sogar einen Nachteil. Nachdem das Modell auch in anderen Ländern Schule gemacht hat, kommt das Gap Year jetzt im Bologna- und G8-geplagten Deutschland an.
Was Studenten im Ausland vom Gap Year halten
Großbritannien ist die Wiege des Gap Year. Seit den späten Sechzigerjahren ist die geplante Lücke im Lebenslauf üblich. Auf zahlreichen Web-Seiten und Online-Netzwerken tauschen sich junge Leute über ihre Erfahrungen im Gap Year aus, es gibt zahlreiche Programme. Personalverantwortliche in UK sind sich einig, dass ein Gap Year im Lebensweg dazugehört. So planten Ende 2011 mehr als 2,5 Millionen Briten zwischen 16 und 24, in den kommenden zwölf Monaten ein Gap Year einzulegen.
In den USA ist die Auszeit von Uni oder Schule zwar noch eine Ausnahme. Doch in den vergangenen Jahren ist die Option attraktiver geworden. Immer mehr Universitäten bieten künftigen Studenten sogar ein Jahr Wartezeit bis zum Studienbeginn an, ohne dafür Studiengebühren zu berechnen.
Dänische Uni-Absolventen gehören zu den ältesten der Welt. Auch, weil ein Gap Year nach der Schule bei den Skandinaviern sehr beliebt ist – und gerne länger dauert als ein Jahr. Die Regierung versucht gegenzusteuern: Wer sich innerhalb von zwei Jahren nach dem Schulabschluss an einer Uni einschreibt, kann die Abschlussnote auf seinem Schulzeugnis verbessern.
"Wir sehen eine große Nachfrage bei Studenten, die fehlende Praxiserfahrung nach dem Bachelor-Studium nachzuholen", sagt Jens Plinke, Chef des Employer Brandings beim Düsseldorfer Chemiekonzern Henkel. "Bei Bewerbern mit Anfang 20 stellt sich ja sowieso die Frage, ob sie nicht noch ein wenig reifer und erfahrener werden sollten."
Starker Wunsch nach mehr Praxis
Deshalb hat Henkel mit der Unternehmensberatung McKinsey, dem Versicherungskonzern Allianz und dem Medienunternehmen Bertelsmann die Initiative Gap Year ins Leben gerufen, die am ersten Oktober in die zweite Runde geht. Wer sich dort erfolgreich bewirbt, bekommt nach dem Bachelor-Studium die Chance auf bis zu drei hochkarätige Praktika bei den vier Unternehmen.
In Gesprächen mit Studenten habe er gemerkt, wie stark der Wunsch nach mehr Praxis bei den jungen Leuten ist, sagt Thomas Fritz, Recruiting-Chef bei McKinsey. Warum sie dann nicht ein Jahr Pause machten, wollte er wissen. "Die Frage hat viele erst einmal erstaunt. Von selbst haben viele sich nicht getraut", sagt Fritz.