Seit mehr als zehn Jahren soll das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dafür sorgen, dass Unternehmen Bewerber nicht wegen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Identität oder einer Behinderung ablehnen dürfen. Sondern nur dann, wenn jemand für den Job ungeeignet ist.
Wenn also ein Bewerber beispielsweise auf eine Stelle als Buchhalter die Technik des betrieblichen Rechnungswesens beherrscht und mit der nötigen Software umgehen kann, sollte es egal sein ob Frau oder Mann, wie alt der Kandidat ist, ob er hetero- oder homosexuell ist, welcher Herkunft er ist oder ob er beispielsweise im Rollstuhl sitzt. Der Alltag zeigt leider: Es ist den Unternehmen nicht egal.
Dass Bewerber mit ausländisch klingenden Namen seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden als Konkurrent Maier, Müller oder Schulze, ist bekannt. Und auch Bewerber mit einer Behinderung haben offenbar schlechte Karten, wie eine Befragung des Medizinprodukte-Herstellers Coloplast GmbH in Kooperation mit dem IMWF Institut für Management- und Wirtschaftsforschung zeigt. Sie wollten wissen, wie es um die Inklusion in Unternehmen steht und haben bei mehr als 500 Führungskräften in deutschen Unternehmen nachgefragt.
Chefs sprechen behinderten Menschen Qualifikation ab
Das Ergebnis: 24 Prozent der Führungskräfte gaben an, dass ihre vakanten Stellen nicht von Menschen mit einer Behinderung zu besetzen seien. Über verschiedene Behinderungsarten wird dabei nicht unbedingt nachgedacht. Das heißt: Egal, ob ein Bewerber nun blind, kleinwüchsig, schwerhörig, gehbehindert oder anderweitig eingeschränkt ist - die Unternehmen winken ab. Noch nicht einmal jede zweite Führungskraft (40 Prozent) macht sich die Mühe, bei jeder freien Stelle überhaupt zu prüfen, ob auch ein Mitarbeiter oder Bewerber mit Behinderung in Frage kommen könnte. Da ist es nicht überraschend, dass die derzeitige Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung mit 13,9 Prozent immer noch fast doppelt so hoch ist wie bei Menschen ohne Behinderung.
Warum deutsche Unternehmen keine Menschen mit Behinderungen einstellen
Ein Drittel der befragten Führungskräfte gab an, derzeit überhaupt keine Bewerber einzustellen, weil es keine freien Stellen gebe. Entsprechend kommen also auch keine Menschen mit Behinderung in Frage.
Quelle: Studie "Inklusion in Unternehmen" von Coloplast und dem IMWF Institut für Management- und Wirtschaftsforschung
24 Prozent der Befragten gaben an, dass Menschen mit einer Behinderung die Anforderungen in ihrem Unternehmen nicht bewältigen könnten. Ebenfalls 24 Prozent sagen, dass es keine passenden Bewerber mit Behinderung gebe.
21 Prozent befürchten, dass sich der Gesundheitszustand eines behinderten Kollegen verschlechtere und dieser häufig ausfalle.
19 Prozent sagen: "Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung verursacht einen hohen Aufwand und hohe Kosten"
Ebenfalls 19 Prozent fürchten den bürokratischen Aufwand, wenn sie behinderte Menschen einstellen wollen und nochmal 19 Prozent sagten: "Es ist schwierig, alle gesetzlichen Vorgaben einzuhalten."
15 Prozent gaben an, dass sie behinderte Menschen für weniger leistungsfähig und belastbar halten und sie deshalb nicht einstellen.
Unternehmer haben Angst, dass behinderte Mitarbeiter mehr Fehlzeiten oder höhere Kosten und größeren bürokratischen Aufwand verursachen würden. 57 Prozent der befragten Führungskräfte sehen zum Beispiel ein Problem darin, dass Arbeitsplätze individuell und behindertengerecht umgestaltet werden müssen. Dabei gibt es entsprechende Förderungen - Darlehen und Zuschüsse - der Integrationsämter für eine behindertengerechte (Um-)Gestaltung von Arbeitsplätzen. Eine Übersicht der Fördermaßnahmen finden Sie übrigens hier.
Laut Studie sehen 64 Prozent der Führungskräfte die Verantwortung für Integration in das Arbeitsleben zwar bei dem Arbeitgeber – aber etwa gleich viel Verantwortung fällt aus ihrer Sicht der Politik (64 Prozent) und den Krankenkassen (63 Prozent) zu.
Inklusion als Chance und Imagepolitur
Auf der anderen Seite gibt es aber auch immer mehr Unternehmer, die in der Inklusion von Menschen mit Behinderungen eine Chance sehen:
- extern: die Einstellung von Menschen mit Handicap färbt positiv auf das Arbeitgeber-Image ab
- intern: Inklusion fördert die Kreativität und die Entwicklung neuer Denkansätze
- intern: Inklusion ist ein Weg, die Auswirkungen des Fachkräftemangels zu reduzieren
"Wird Inklusion aber als Chance begriffen, verlieren Befürchtungen rasch an Bedeutung. Menschen mit sichtbaren oder auch nicht sichtbaren Erkrankungen gehören heute zum Arbeitsalltag aller größeren Unternehmen unbedingt dazu", sagt Henning Reichardt, Geschäftsführer von Coloplast.
Das belegen auch die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: In den vergangenen Jahren haben Unternehmen den Anteil behinderter Mitarbeiter aufgestockt. Viele Unternehmen planen zudem künftig eine Vergrößerung des Anteils behinderter Menschen an der Gesamtbelegschaft. Das ist allerdings kein bloßer Altruismus: 62 Prozent der Führungskräfte sehen in der Inklusion eine Möglichkeit, dem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken.