Recruiting-Videos Wie Unternehmen Bewerber mit Videoclips ködern

Weil gute Fachkräfte knapp sind, versuchen Unternehmen Bewerber mit Recruiting-Videos zu ködern. Kritiker geißeln sie als Imagefilmchen, die Web-2.0-Guerilla hält mit eigenen Clips dagegen. Welche Spots bei der Arbeitgebersuche wirklich helfen.

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Recruiting-Videos Quelle: dpa

Einmal noch muss sich Herr Weber (Name geändert) konzentrieren.  Eine Kamera ist auf ihn gerichtet, ein Mikro schwebt über seiner Stirn. Der Fertigungssteuerer des Technologiekonzerns Heraeus sitzt auf einer Parkbank, neben ihm seine Tochter, auch sie arbeitet bei dem Hanauer Unternehmen. Die erwünschte Botschaft: Heraeus ist ein Konzern, der Familien ernährt, in dem sich Vater und Tochter mittags zum Pausenplausch treffen, ein Arbeitgeber zum Wohlfühlen.

Die Redakteurin vom Fernsehsender JobTV24 spricht Herrn Weber seinen Part noch einmal vor: „Heraeus ist ein sehr soziales Unternehmen, denn…“ Herr Weber vervollständigt den Satz: „…es gibt hier einen Kindergarten, einen Fitnessraum und viele Möglichkeiten, sich weiterzubilden.“ „Wunderbar“, lobt die Redakteurin, Kameramann Robert nickt zufrieden, Tonassistentin Janine lässt das Mikro sinken. Herr Weber atmet auf.

Die Szene ist Teil eines „Recruiting-Videos“, das JobTV24 für Heraeus produziert. Mit solchen Filmen gehen Unternehmen neuerdings in Jobbörsen, Videoportalen und auf ihrer Homepage auf die Jagd nach qualifizierten Mitarbeitern. Es gibt einen regelrechten Webclip-Boom. Denn um die Goldkragen, die „High Potentials“, tobt eine weltweite Schlacht: Jeder will sie – aber es gibt zu wenige von ihnen. Vorbei ist die Zeit, in der Fachkräfte sich lange nach einem Arbeitgeber strecken mussten. Heute bewerben sich die Unternehmen bei den Kandidaten. Und gerade Firmen, die nicht mit einem bekannten Namen wuchern können, müssen sich etwas einfallen lassen .

Videos sind der neueste Versuch, um junge Talente zu erreichen. Nach Angaben des Analyseunternehmens Comscore schaut ein deutscher Internet-Nutzer im Alter von 25 bis 34 Jahren jeden Monat im Schnitt knapp 100 Videos – macht bei einer Länge von vier Minuten pro Clip fast sieben Stunden Online-Gucken.  Die Anziehungskraft ist so groß, dass selbst mächtige Konzerne darauf setzen: Ein Video, das einen Einblick in die Arbeitswelt von Google gibt, wurde bei You-tube über 500 000-mal angesehen.

Microsoft betreibt mit www.viewmyworld.com eine ganze Seite voller Videos für Bewerber.

Neuer Trend

Und noch etwas zwingt die Unternehmen vor die Kamera: In Zeiten von Web 2.0 können Firmen ihr „employment brand“, ihre Arbeitgebermarke, immer weniger kontrollieren. Beschäftigte, frühere Mitarbeiter, enttäuschte Bewerber: Sie alle können im Internet über ihren Arbeitgeber herziehen, intime Details ausplaudern oder die Arbeitsbedingungen anprangern. Die eigenen Videos sind somit auch ein Versuch, die Kontrolle wiederzugewinnen.

Die meisten Unternehmen hierzulande müssen allerdings noch aufholen. So richtig gut sind sie nicht darin, im Internet um neue Mitarbeiter zu buhlen, hat Armin Trost, Professor für Human Resource Management an der Hochschule Furtwangen, festgestellt. „Auf den Karriereseiten der » Unternehmen finden sich oft dieselben langweiligen Sprüche, Bilder und Statements“, sagt Trost. Dabei seien die Videos ein gutes Mittel, um den Geist eines Unternehmens herüberzubringen und die Arbeitsatmosphäre fühlbar zu machen.

Genau darauf kommt es an. Fachkräfte sind inzwischen so gefragt, dass ein gutes Gehalt für sie fast selbstverständlich ist, hat der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in einer Umfrage herausgefunden. Entsprechend achten die Umworbenen stärker darauf, ob dass Arbeitsklima stimmt und der Job es erlaubt, Familie und Beruf zu verbinden. Im Idealfall kann das ein Video besser vermitteln als eine Annonce oder eine Firmenbroschüre. Dann sehen Bewerber wie das Unternehmen tickt und ob die Mitarbeiter zum Beispiel „mit Krawatte oder in Jeans herumlaufen“, sagt der Geschäftsführer von JobTV24, Rainer Zugehör.

Geistreich werben

Das Internet und die großen Bandbreiten machen es möglich, dass die Spots in hoher Qualität tausendfach angesehen werden können. Und das für wenig Geld: Zwischen 5000 und 10 000 Euro kostet ein durchschnittlicher Spot – so viel wie eine taschenrechnergroße Stellenanzeige in einer überregionalen Tageszeitung. Gerade für weniger bekannte Mittelständler sind die Videos daher ein alternativer Werbekanal um zu zeigen: Leute, ihr kennt uns zwar nicht, aber wir sind eine tolle Company. Oder ein Super-Reinfall. Denn die Wirkung der Videos ist umstritten.

Zum einen, weil unklar ist, ob sie wirklich die Lockstoffe verströmen, auf die die Bewerber abfahren. Mit knapp 1,6 Millionen Aufrufen gehört etwa der Spot „Offene Stellen bei Kathrein“ gegenwärtig zu den meistgeklickten Videos. Gemerkt hat man davon bei dem Rosenheimer Antennenhersteller aber noch nichts, wie Kathrein-Personalchef Stefan Schnaubert ohne Umschweife zugibt. Weder beziehen sich die Bewerber in Einstellungsgesprächen oder Auswertungs-Fragebögen auf den Film noch steigen die Bewerberzahlen.

Zum anderen spricht gegen die Videos, dass bei den Szenen in der Regel nachgeholfen wird, damit das Unternehmen so erscheint, wie es gerne erscheinen möchte. Beispiel Heraeus: Zwar sind die Mitarbeiter echt und keine Schauspieler. Selbst die Maske beschränkt sich auf ein wenig Puder. Aber wer vor der Kamera steht, wird gezielt ausgewählt, die Gesprächssituationen sind mit Fragekatalogen vorbereitet.

Zum Beispiel der eingangs geschilderte Pausenplausch auf der Parkbank: Fragt man Herrn Weber, wie oft er sich mit seiner Tochter wirklich in dem kleinen Park zum Mittagsschwatz trifft, sagt der lapidar: „In dem großen Betrieb hier? Da sehen wir uns eigentlich die ganze Woche nicht.“

Katy Teubener, Soziologin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, findet für die Videos deswegen deutliche Worte: „Das sind abgefilmte Hochglanzbroschüren“, sagt die Internet-Forscherin, „die sind nicht authentisch, sondern rundgefeilt. Wenn die Filme perfekt sind, sagen sie nichts mehr aus.“

In der Tat könnten manche Filme aus dem JobTV24-Programm auch als Werbespots durchgehen. Der Spot „Audi – der Wunscharbeitgeber“ beginnt mit Bildern von glänzenden Karossen und Sprüchen wie: Die „Marke mit den vier Ringen“ stehe für „Hochwertigkeit, bahnbrechende Technologie und exzellentes Design“. Und: „Wer hier arbeitet, der lebt den Slogan ‚Vorsprung durch Technik‘ jeden Tag aufs Neue.“ Erst danach kommen Infos zu Karrierewegen und Mitarbeiter zu Wort. Und immer wieder sind Fertigungsstraßen und blitzende Autos zu sehen.

JobTV24-Chef Zugehör hat damit kein Problem: Die Fahrzeuge seien Produkte, mit denen man sich als Mitarbeiter gerne identifiziere. Außerdem sei es allein deswegen im Interesse der Unternehmen, authentisch zu bleiben, weil es „unglaublich teuer“ sei, Bewerbern etwas vorzugaukeln: „Wenn diese den Job annehmen und später merken: Das stimmt alles gar nicht, dann kündigen sie. Und das ist nicht zu finanzieren“, sagt Zugehör.

Authentizität wirkt

Wer sich auf diese Logik verlässt, erlebt vielleicht ein böses Erwachen. Ein Video kann zwar immer nur Alltagsausschnitte abbilden – aber die Unternehmen überlegen sich genau, was sie zeigen und welche Botschaften sie transportieren wollen. Und wie viele kündigen, nur weil sie sprichwörtlich enttäuscht wurden? Nur die wenigsten riskieren diesen Schritt, weil sie wissen, dass ihnen im nächsten Bewerbungsgespräch dann unangenehme Fragen gestellt werden.

Wer sich dagegen stets klarmacht, wer hinter der Aussage eines Videos steckt, für den können selbst PR-Filme aufschlussreich sein. Auch wenn die Szenen aufpoliert sind, spiegeln sie wider, wie sich ein Unternehmen selber sieht und gesehen werden möchte. Wenn der Film solide gemacht ist, bekommen Bewerber darin mindestens gut aufbereitete Informationen, die sie sich sonst mühsam zusammensammeln und anlesen müssten – etwa zu Karriereprogrammen bei den Unternehmen. Der Hinweis etwa auf konkrete, zugesicherte Weiterbildungen im Ausland ist mehr wert als die in bunten Bildern verpackte hübsche Botschaft: „Wir sind total international.“

Das fehlte auch bei dem Heraeus-Dreh nicht, bei dem Personalentwickler Georg Remmers ausführlich über die Chancen bei dem Technologiekonzern informierte. Wenn das Video aber richtig gut sein soll, ist mehr nötig: Dann sollten Bewerber ganz konkrete Anhaltspunkte dafür bekommen, wer und was sie in ihrem zukünftigen Job wirklich erwartet. Und ehrlicherweise auch: Was man von ihnen erwartet.

Welche Wirkung, wie erzeugt?

Wie schwierig das ist, zeigen die Videos des Beratungsunternehmens BearingPoint, das die Wiesbadener Agentur RCC produziert hat. Zwar liefern sie Informationen zu Karrierewegen und porträtieren einzelne Mitarbeiter. Einer erzählt von einem Einsatz in Südfrankreich: „Das stellt man sich angenehm vor“, sagt er, aber es sei fast durchgehend gearbeitet worden. Es waren „zwei taffe Wochen“. Das wirkt authentisch.

Ganz anders aber die Szene, bei dem die Kamera zu seichter Musik um eine Gesprächsrunde von vier BearingPoint-Managern kreist, die sich nicht wirklich unterhalten, sondern wie bestellt Allgemeinplätze von sich geben. Die Krönung sind Testimonials von Kunden, die nicht selbst vor die Kamera treten, sondern zitiert werden – ein durchschaubarer und deshalb schlechter Trick, um das Eigenlob als Fremdlob erscheinen zu lassen. Wie nicht anders zu erwarten, berichtet der Manager, dass die Kunden BearingPoint als „hochprofessionelles“ Unternehmen sehen und Trainingsprogramm und Weiterbildung als „hervorragend“ loben würden. Spätestens an solchen Stellen klickt auch der Hartgesottenste zum nächsten Clip.

Dreh eines Recruiting-Videos Quelle: dpa

Besser ist das Konzept, einen Mitarbeiter einen Tag lang mit der Kamera zu begleiten. Wie im Video des Personaldienstleisters Hays, in dem JobTV24 dem Key Account Manager Benjamin Merz* von 8.16 Uhr bis 18.53 Uhr über die Schulter geschaut hat. Selbstverständlich zeigt der sich in den Alltagsimpressionen nur begeistert von seiner Arbeit. Doch der Zuschauer sieht dabei eben auch, dass er keinen Nine-to-five-Job hat. „Natürlich sind Belastungen da“, sagt Merz, der im Film viel Zeit im Auto verbringt oder mit einem Headset auf den Ohren am Schreibtisch in einem Großraumbüro sitzt.

Eins haben diese Beispiele aber stets gemeinsam: Die Videos werden von Profis produziert und mit Mitarbeitern „besetzt“, sagt Recruiting-Forscher Trost. Das wirke einstudiert, „manchmal sogar peinlich“. Warum nicht die Mitarbeiter gleich den Spot produzieren lassen?

Manche Unternehmen haben das schon versucht. So findet sich im Videoportal Youtube ein Spot des Hamburger Software-Entwicklers CoreMedia, der es seinen Auszubildenden überlassen hat, Regie zu führen. Sie machen mit der Kamera einen Rundgang über die Flure und treffen Mitarbeiter zum Gespräch – dem Chef überlassen sie nur zwei Worte.

Die neue Handhabe der Mitarbeiter

Das Prinzip selbstgedreht und ohne Filter sorgt zwar nicht immer für die besten Bilder, aber für mehr Authentizität. Das zeigt das Beispiel des Internet-Unternehmens Spreadshirt. Dessen Gründer Lukasz Gadowski hat zur Handkamera gegriffen, ein paar wackelige Bilder aufgenommen und sie ungeschnitten ins Internet gestellt. Wer den Clip anschaut, folgt Gadowski durch die unordentlichen Flure der eigenen Firma; er kommentiert spontan, begrüßt die Mitarbeiter, die ihm über den Weg laufen; er verspricht sich und entschuldigt sich für das Chaos. Da es sich nicht um ein klassisches Rekrutierungsvideo handelt, fehlen hier handfeste Infos. Dafür wirkt der Spot sympathisch und echt.

Und er beugt einer Gefahr vor: Wenn man die Mitarbeiter nicht ausreichend zu Wort kommen lässt, greifen sie selbst zur Kamera. „Wenn Unternehmen in ihren Videos die gleiche abgenutzte und übermäßig positive Marketingsprache benutzen wie in den PR-Broschüren, reagieren die Nutzer irgendwann feindselig“, sagt John Sullivan, Management-Professor an der San Francisco State University.

Auf Youtube finden sich längst auch Clips von Mitarbeitern, die mit den offiziellen Videos ihrer Arbeitgeber oft wenig gemein haben. Etwa solche, die heimlich in Produktionshallen aufgenommen wurden. In anderen Gegenvideos nennen Arbeitnehmer schlechte Manager beim Namen. Für Forscher Trost ein Beweis, dass die Einflussmöglichkeiten der Unternehmen schwinden: „Mitarbeiter melden sich immer öfter im Internet zu Wort“, sagt Trost, „das Web liefert eine enorme Transparenz.“

Management-Professor Sullivan rät deswegen zu einem beherzten Schritt: „Wirf’ das Drehbuch weg, verabschiede dich von den Regeln, die festlegen, was gesagt und was nicht gesagt werden darf, rede offen über das Gute und Schlechte und ermuntere so viele Arbeitnehmer wie möglich, ihre Stimme zu benutzen.“ Derzeit setzen die Unternehmen eher auf das Gegenteil. Der neuste Trend: „Recrutainment“, eine Mischung aus den englischen Wörtern für Rekrutierung und Unterhaltung. Um Führungsnachwuchs auszuwählen setzt etwa der Verlag Gruner + Jahr ein Spiel ein, bei dem die Teilnehmer virtuell in die Rolle eines Mitarbeiters schlüpfen und typische Aufgaben lösen.

Ob Firmenvideos, Videospiele oder Mitarbeiterclips – die Bewerber profitieren davon allemal. Je mehr Informationen sie einholen können, desto genauer wissen sie, ob der Arbeitgeber passt. Wie das praktisch funktioniert? Etwa so: Wer bei Jamba arbeiten will, sieht sich zunächst das offizielle Video an. Die Botschaft der vielen Mitarbeiter in Jeans und T-Shirt: Jamba ist ein junges, internationales Unternehmen. Dort zu arbeiten sei eher „wie Spaß haben als einen Nine-to-five-Job zu machen“, so ein Inder.

Im zweiten Schritt gilt es dann diese Aussagen zu vergleichen – zum Beispiel mit den Kommentaren auf Kununu.com, einer Internet-Seite, auf der Beschäftigte ihre Arbeitgeber bewerten können. Dort lobt zwar einer: „Die vielen unterschiedlichen Nationen machen das Arbeiten multinational.“ Doch in der Rubrik „Karriere und Weiterbildung“ bekommt Jamba nur 1,73 von fünf möglichen Punkten. Noch schlechter schneidet Jambas Image ab: Ausgerechnet die Mitarbeiter reden meistens nicht gut über ihre Firma – ganz anders als im Video. Nicht ohne Grund seien „die Leute nach 1,5 Jahren oftmals wieder weg“, schreibt ein Kommentator.

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