Firmenerben „Was Verena Bahlsen ausdrückt, ist letztendlich Überforderung“

Verena Bahlsen zieht sich beim Kekshersteller zurück. Quelle: imago images

Tränen, Panik, Scham: Verena Bahlsen verabschiedete sich mit emotionalen Schilderungen von ihrem Spitzenposten. Über den Druck in Familienunternehmen, fehlgeleitete Personalauswahl für Chefämter – und was das mit der „Great Man Theory“ zu tun hat, spricht Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning im Interview.

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Verena Bahlsen verlässt den Kekshersteller Bahlsen – und begründet den Schritt in einem emotionalen Statement, das sie bei der Karriereplattform LinkedIn veröffentlichte. Sie spricht über Tiefschläge, Angst und Unsicherheit und dass sie sich dafür schämte, wenn Mitarbeiter sie in solchen Momenten erlebt hätten. Sie berichtet auch, dass sie häufig in Besprechungen weinte. Außerdem sei sie in unpassenden Situationen „kalt und hart“ gewesen. Dann schildert sie eine Panikattacke, die sie auf einem „deutschen Weizenfeld“ erlitten habe. Bahlsen ist seit 2018 aktive Gesellschafterin im Unternehmen und beendet ihre aktive Rolle als „Chief Mission Officer“ zum Jahresende. Wie es danach weitergeht, wisse sie noch nicht. Gerne ein Praktikum an einem Filmset, schreibt sie, außerdem möchte sie weiterhin Marken aufbauen. Wer einen Job hat, soll sich melden – erstmal möchte sie aber ein paar Wochen surfen, am Strand sitzen und „skandalös unproduktiv sein“.  

WirtschaftsWoche: Herr Kanning, die Firmenerbin Verena Bahlsen zeigt sich auf einer Karriereplattform sehr emotional. Sie spricht über Tränen, Angst, Panik und gesteht Fehler ein, gibt zu, sich kaltherzig verhalten zu haben. Ist das eine neue Normalität?
Uwe Kanning: Nein, soweit sind wir als Gesellschaft noch nicht. Aber wir sind offener für diese Themen geworden, vor allem durch Diskussionen in den Medien darüber. Machtvolle Personen geben ihr Inneres preis – das ist etwas, woran wir uns gewöhnt haben. Aber es hängt dennoch stark davon ab, in welchem Kontext und in welcher Hierarchieebene das passiert. Wenn eine beliebte und seit Jahren engagierte Teamleiterin aus Überforderung weint, ist es wahrscheinlich, dass alle sehr locker damit umgehen. Aber wenn nun ein Vorstand eines Dax-Unternehmens weint, weil er gerade eine halbe Milliarde in den Sand gesetzt hat – da wird kaum jemand Verständnis haben. Die werden sehr gut bezahlt, damit solche Fehler nicht passieren.

Warum würde uns ein Dax-Vorstand in so einer Situation eher irritieren?
Zur Rolle einer solchen Führungskraft gehört es, Überblick zu bewahren, Orientierung zu geben, Entscheidungen zu fällen. Und dann strahlt da jemand plötzlich Hilflosigkeit aus. Bahlsen deutet auch an, dass sie aufbrausend gegenüber Mitarbeitern war. Es macht einen Unterschied, welche Emotionen man zeigt. Wenn ich angeschnauzt werde von meiner Führungskraft, weil die einfach überfordert ist – da habe ich wohl kaum Verständnis. Und was Verena Bahlsen emotional ausdrückt, ist ja letztendlich Überforderung.

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Dennoch ist es eine neue Offenheit für die eigenen Fehler und für psychische Probleme – ein Zeichen von Stärke, könnte man meinen, wenngleich sehr emotional vorgetragen. Könnte sich so eine bessere Fehlerkultur entwickeln?
Fehler einzugestehen, nicht unter den Tisch zu kehren, klar: das ist positiv. Aber die Frage ist doch vor allem: Wie kann es sein, dass eine so hohe Position im Unternehmen mit jemandem besetzt wird, der nach so kurzer Zeit im Amt sein Scheitern offen eingesteht und zugibt, überfordert zu sein. Das könnte man verstehen, wenn jemand mehrere Hierarchiestufen weiter unten steht. Aber bei einer Spitzenposition erwarten die Beschäftigten eines Unternehmens zu recht, dass professionelle Auswahlverfahren durchgeführt werden. Also etwa: Wie geeignet ist diese Person im Umgang mit Stress, mit vielfältigen Aufgaben und auch mit Anfeindungen, die einem in einer solchen Position entgegenschlagen.

Uwe Kanning ist Wirtschaftspsychologe und forscht an der Hochschule Osnabrück. Quelle: PR

Zur Person

Verena Bahlsen wurde 2018 aktive Gesellschafterin im Unternehmen, da war sie erst 25. Warum setzen manche Familienunternehmen ihren Nachwuchs so früh an die Spitze?
In Familienunternehmen herrscht oft die Haltung: Wir vertrauen uns am meisten. Und man will vielleicht gar nicht wissen, dass es im Unternehmen fünf andere Personen gibt, die den Job viel besser können als die eigenen Kinder. Die laienhafte Vorstellung ist: wer aus einer Unternehmerfamilie kommt, ist selbst Unternehmer. In der Psychologie sprechen wir von der sogenannte Great Man Theory. Dahinter steckt die Vorstellung, Führung ist allein in der Persönlichkeit begründet und kann nicht entwickelt werden. Das zeigt die Forschung überhaupt nicht – diese Haltung ist weder gut für das Unternehmen noch für den Menschen. Besser wäre mutmaßlich gewesen, Bahlsen Zeit zu geben, damit sie für sich selbst überlegen kann: was ist der richtige Weg, wie will und kann ich mich weiterentwickeln? Diese Freiheit hat ihr möglicherweise gefehlt.

Kurzum, die Sprösslinge eines Familienunternehmens sind nicht zwingend die beste Wahl.
Nun ja, bei diesem Sonderfall eines Familienunternehmens wird eben häufig von vornherein erwartet, dass die Sprösslinge weit oben im Unternehmen einsteigen. Zu selten wird überprüft, ob der Nachwuchs dafür überhaupt geeignet ist. Verena Bahlsen wäre ohne die Familienzugehörigkeit nie so jung in eine solche Position gekommen. Da sind sicherlich Fehler gemacht worden, die zu dieser Überforderung führten. Auf ihr lastete mit Sicherheit ein wahnsinnig hoher Druck.



Wie wirkt das auf die Beschäftigten, wenn die reiche Firmenerbin ihr Leid klagt? Nichtsdestotrotz ist Verena Bahlsen überaus privilegiert.
Ich vermute, es gibt einige, die das so erleben: Warum jammert da eine Multimillionärin, die auf Rosen gebettet ist. Bei jedem Arbeiter wird geschaut, ob er vernünftige Leistungen bringt. Und sie sorgen sich vielleicht auch um ihren Arbeitsplatz, wenn augenscheinlich nicht optimal geführt wird. Aber ich glaube auch, dass sie Welpenschutz genießt, da sie noch so unglaublich jung ist und zumindest auf Fotos sehr bodenständig wirkt. Und mit ihrem emotionalen Abschied konnte sie sicherlich auch bei vielen punkten.

Es gibt auch noch andere Firmenerbinnen in ähnlichem Alter: Bonita Grupp beispielsweise, oder BASF-Erbin Marlene Engelhorn. Engelhorn ist die Enkelin von Traudl Engelhorn-Vechiatto, die Ende September verstorben ist – nun erbt sie wohl einen zweistelligen Millionenbetrag. Sie tritt seit Jahren mit ihrer Initiative taxmenow für eine Reichensteuer ein, möchte 90 Prozent ihres Gelds abgeben. Muss sich jemand wie Bahlsen an ihr messen lassen?
Das würde ich nicht erwarten. Diese Beispiele gibt es – Firmenerben, die ein schlechtes Gewissen haben und sagen, was soll ich mit so absurd viel Geld. Aber auf der anderen Seite gibt es viel mehr Erben, die ihren Reichtum und die daraus entstehenden Chancen dankbar annehmen. Das kommt stark auf den Freundeskreis und die Sozialisation an.

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Emotionale Posts von Führungskräften gab es zuletzt häufiger – allerdings stammen die alle von jüngeren Chefs. Der CEO einer US-Marketingagentur zeigte sich vor einigen Monaten tränenüberströmt und ließ verlauten, ihn plagten Schuldgefühle, denn er musste Mitarbeiter entlassen. Kaum vorstellbar, dass sich ein Martin Winterkorn oder ein Joe Kaeser jemals so gezeigt hätten: Ist diese neue Emotionalität vor allem ein Generationsthema?
Jüngere Leute sind da sicherlich anders sozialisiert als die Generation Baby-Boomer. Und bezeichnend ist ja, dass das im Internet passiert. Da ist es normal, dass Menschen ihr Privatleben zur Schau stellen, sich in der Badewanne zeigen und über ihr Innerstes detailreich Auskunft geben. Dieser Wandel ist stark durch die sozialen Netzwerke geprägt und je älter Personen sind, desto weniger sozialisiert sind sie mit diesem Verhalten. Ein Martin Winterkorn, der sich reumütig in der Öffentlichkeit zeigt und zugibt, Fehler gemacht zu haben? Nein, der möchte Stärke ausstrahlen – und würde eher anderen die Schuld zuschieben.

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