Elon Musk, Jeff Bezos, Oliver Samwer – sie alle gelten als visionäre Unternehmer, doch im beruflichen Alltag haben ihre Mitarbeiter so einiges an ihnen auszusetzen. Ihr Führungsverhalten wird an vielen Stellen als mangelhaft beschrieben, ihr Unvermögen mit ihrer Genialität und Persönlichkeit entschuldigt. Führungscoach Maren Lehky lässt solche Argumente nicht gelten. „Ich glaube nicht an das Märchen vom charismatischen Leader, der jederzeit aufgrund seiner strahlenden Persönlichkeit alle mitreißt“, sagt sie. „Führung ist nach meiner mehr als 30-jährigen Erfahrung mit Führungskräften ein Handwerk, das man lernen kann.“ Wie, das beschreibt Lehky in ihrem aktuellen Buch „Führungscoaching to go“.
Die Persönlichkeit hat nach Ansicht von Lehky selbstverständlich Einfluss darauf, ob eine Vorgesetzte ihr Team eher sachlich oder eher emotional anspricht. „Aber was zu tun ist, um eine gute Führungskraft zu sein, das ist für alle gleich, wenn auch die Färbung und Ausstrahlung jeweils eine andere sein mag“, unterstreicht sie. Ihre gute Botschaft an (noch) schlechte Chefs lautet: Um besser zu führen, muss man nicht gleich seine Persönlichkeit ändern. Doch was ist eigentlich gute Führung?
Von autoritär bis karitativ
Diese Frage beschäftigt Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler seit über 100 Jahren. Zu den Klassikern der Forschung gehört das Modell des Sozialpsychologen Kurt Lewin. Er machte vier Hauptkategorien von Führungsstilen aus: autoritär, kooperativ, Laissez-faire und karitativ. „Der autoritäre Führungsstil beruht auf einem Befehls- und Gehorsamsverhältnis zwischen dem Führenden und den Untergebenen“, erklärt Ralf Strehlau, Präsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberatungen (BDU). Der Vorgesetzte entscheide und kontrolliere, die Mitarbeiter führten lediglich aus. Die Folge sei ein distanziertes Verhältnis zwischen Firmenleitung und Belegschaft.
Deutlich persönlicher fällt laut Strehlau der kooperative oder demokratische Führungsstil aus. Beschäftigte würden als Kollegen behandelt und nicht als Untergebene. „Die Führungskraft tritt einen Teil ihrer Kompetenzen an die Mitarbeiter ab, wobei die Delegationsbereiche nach sachlichen, nicht nach persönlichen Gesichtspunkten festgelegt werden“, erläutert der geschäftsführende Gesellschafter der Unternehmensberatung Anxo Management Consulting. „Die Führungskraft lässt ihre Mitarbeiter oft mitentscheiden. Die Mitarbeiter kontrollieren sich teilweise selbst.“
Beim Laissez-faire-Ansatz, auch als freier Führungsstil bezeichnet, genießen die Mitarbeiter laut dem Experten schließlich volle Freiheit. „Die Führungskraft vermittelt ein bestimmtes Wissen auf Anfragen der Mitarbeiter hin, nimmt ansonsten aber nicht an deren Tätigkeiten teil“, sagt Strehlau. „Sämtliche Entscheidungen und Kontrollen liegen beim Mitarbeiter oder bei der Gruppe selbst.“ Dies könne aber auch als geringes Interesse des Vorgesetzten gewertet werden und führe häufig zu einer sehr geringen Arbeitsleistung.
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
Kritisch sieht der Unternehmensberater auch den karitativen oder helfenden Führungsstil nach Lewin. „Im Mittelpunkt steht das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Mitarbeiter“, erläutert er. Ein solcher Vorgesetzter würde sich sehr darum bemühen, Mitarbeiter zu entlasten und zu schützen. Dies führe allerdings häufig zu einer starken Kontrolle von deren Arbeit. Dabei würden Qualitätsanforderungen oder Ziele vernachlässigt.
Der Autokrat war gestern
Daneben gibt es zahlreiche andere Ansätze, um Führungsstile zu beschreiben. Der Soziologe Max Weber unterschied beispielsweise zwischen patriarchalischen, autokratischen oder charismatischen Führungspersönlichkeiten. Einen praktischen Mehrwert bieten solche Katalogisierungen aber kaum. „Die einzelnen Führungsstile repräsentieren auch die gesellschaftliche Entwicklung in Westeuropa in den vergangenen Jahrzehnten“, gibt Lehky zu bedenken. „Autokratisch, diktatorisch, patriarchalisch – das hat sich alles überholt.“
Dabei ist es laut der Beraterin für Vorgesetzte aktuell besonders wichtig, sich als gute Anführer zu beweisen. „Wir leben in einem Arbeitnehmermarkt“, sagt sie. „Das eigene Team, die eigene Führungskraft sind wichtige Faktoren, um zu bleiben oder zu gehen. Erstaunlicherweise ist das noch nicht überall angekommen.“ Wenn in einer Firma auffallend viele Leistungsträger kündigen, sind Chefs laut Lehky gut beraten, den Exodus persönlich zu nehmen. Auch viele Krankentage im Team könnten ein Alarmsignal sein, dass mit dem eigenen Führungsstil etwas nicht stimmt. Die Expertin rät in diesem Fall zur Selbstreflektion: „Einen eventuellen Misserfolg überhaupt auf sich zu beziehen, das ist schon ein Anfang.“
Das Bild von guter Führung bewegt sich also weg von der Frage „Wie tickt der Chef?“ hin zu „Was braucht der Beschäftigte?“. „Der passende Führungsstil ist am Reifegrad des Mitarbeiters orientiert“, sagt BDU-Präsident Strehlau. Bei einem geringen Reifegrad sei der Mitarbeiter fachlich schlecht ausgebildet und meist wenig motiviert. Der Führungsstil müsse hier stark, kontrollierend und aufgabenbezogen sein. Beim hohen Reifegrad eines fachlich kompetenten und motivierten Mitarbeiters könne ein Vorgesetzter hingegen statt einzelner Aufgaben das übergeordnete Ziel in den Mittelpunkt stellen, mehr delegieren und Verantwortung übertragen.
Nach Ansicht von Lehky fasst der situative Führungsstil, wie ihn der US-Verhaltensforscher Paul Hersey definiert hat, moderne Erkenntnisse besonders gelungen zusammen. Neben den Bedürfnissen des Beschäftigten bestimme auch die jeweilige Situation darüber, wie ein Vorgesetzter agieren sollte. Daraus ergebe sich dieser Leitfaden:
- Diktieren, wenn mein Gegenüber keine Kenntnisse hat oder wenn Gefahr im Verzug ist.
- Argumentieren, wenn der Mitarbeitende sicher und erfahren ist, aber nicht in diesem Thema steckt.
- Partizipieren, wenn er sich auskennt und Fachexperte ist, sich jedoch noch nicht ganz sicher ist.
- Delegieren: Das gesamte Päckchen der Entscheidungsfindung und Durchführungsart übertragen und mich raushalten. Das geht nur bei sehr erfahrenen, sicheren und inhaltlich kompetenten Mitarbeitenden.
Diese Art moderner Führung mit weitgehend autonomen Teams aus hoch qualifizierten Mitarbeitern kann für Vorgesetzte allerdings schnell in einer Identitätskrise münden. „Das Rollenverständnis des Managers im agilen Kontext ändert sich komplett“, sagt Strehlau. „Häufig stellen Manager sich die Frage, wofür sie noch gebraucht werden.“
Doch das ist ein Trugschluss, denn: Solche Führung verlangt von Vorgesetzten, dass sie sich intensiv mit ihren Mitarbeitern beschäftigen, deren Fähigkeiten und Bedürfnisse korrekt einschätzen. „Das geht nicht ohne Empathie und genaues Hinschauen und Interesse am Menschen“, betont Lehky. „Führung muss für Entwicklung der Mitarbeitenden sorgen, Orientierung in diesen bewegten Zeiten geben, den Sinn von Aufgaben und Zielen vermitteln.“ Dazu passt das Schlagwort der transformationalen Führung.
Dieses Modell fußt laut der Expertin auf der Annahme, dass Menschen intrinsisch motiviert sind und ihr Bestes geben. „Führung setzt nach diesem Modell vor allem daran an, den Sinn einer Aufgabe herauszustellen, die Ziele zu erläutern, alle mitzunehmen und sehr stark auf Kommunikation zu setzen. Elemente wie Vertrauensarbeitszeit oder agile Arbeitsformen passen dann gut dazu.“
Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Oktober 2022. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.
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