Hohe Erwartungen an Nachfolger Generationenwechsel im Deutschen Mittelstand

Fast 40 Prozent der deutschen Mittelständler planen in den nächsten fünf Jahren einen Chefwechsel. Die Nachfolger können die Erwartungen jedoch oft nicht erfüllen. In der Folge kommt es zum Wachstumsknick.

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Neue Manager für den Mittelstand. Quelle: Getty Images

"Wir automatisieren. Sicher." Unter diesem Motto präsentiert sich Pilz-Automation aus Ostfildern auf der Hannovermesse. Das 1948 gegründete Familienunternehmen ist auf allen Kontinenten vertreten, machte vergangenes Jahr rund 306 Millionen Euro Umsatz und gilt als innovativ. Auf der Industriemesse präsentiert der Automatisierungsspezialist unter anderem, wie Mensch und Roboter in der Produktion effektiv zusammen arbeiten. "Ein Beispiel ist die Schallisolierung an Autotüren", erklärt Jochen Vetter, der bei Pilz für die Sicherheit zuständig ist. Die Isolierung werde mit einem fünf Kilogramm schweren Roller angeklebt. "Diese Aufgabe kann nun ein Roboter übernehmen." Möglich wird das durch bewegungsempfindliche Roboter, die ohne Schutzzaun eingesetzt werden können. "Bei einem Kontakt bleibt der Roboter dann stehen", erklärt Vetter.


Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens ist auch der Verdienst von Renate Pilz, die das operative Geschäft seit 1994 leitet. Doch die Unternehmerin gibt nun das Zepter weiter: "Meine Tochter wird meine Aufgaben übernehmen. Sie wird ab 2018 neben ihren bisherigen Aufgaben zusätzlich noch die Bereiche Produktmanagement, Vertriebssteuerung, Customer Support und das Marketing verantworten", sagt sie.


Ihr Sohn Thomas werde weiterhin für die Bereiche Forschung und Entwicklung, Produktion, Qualitätsmanagement, Einkauf und IT zuständig sein. "Ich bin glücklich, dass ich die Firma in die Hände meiner Kinder legen konnte", so die Unternehmerin. "Für mich bleibt durch die Übergabe der operativen Geschäfte an meine Kinder die Kontinuität im Unternehmen gewahrt und deshalb kann und werde ich mich zukünftig auf andere Aufgaben konzentrieren."

Renate Pilz mit ihren Kindern Susanne Kunschert und Thomas Pilz. Quelle: Presse

Nicht nur bei dem schwäbischen Familienbetrieb steht demnächst ein Chefwechsel ins Haus: Gemäß der aktuelle Mittelstandsstudie der Commerzbank, die am 27. April vorgestellt wird, erwarten 39 Prozent der befragten Mittelständler in den kommen fünf Jahren einen Generationenwechsel. Weitere 35 Prozent haben in den vergangenen fünf Jahren einen neuen Chef beziehungsweise eine neue Chefin bekommen. Bei der großen Mehrheit (82 Prozent) geht der bisherige CEO in den Ruhestand und übergibt die Leitung an die nächste Generation. Auch in der Vergangenheit war das Alter der Unternehmer der häufigste Wechselgrund.

Für die Studie wurden 2000 Unternehmen ab einem Jahresumsatz von 2,5 Millionen Euro befragt, die Mehrheit stammt aus dem verarbeitenden Gewerbe.

Mit dem Chefwechsel sind häufig große Erwartungen verbunden, wie die Studie zeigt. 66 Prozent der Befragten gaben an, dass der oder die Neue weitere Kompetenzbereiche schaffen solle, 50 Prozent erwarten einen intensiven Auf- und Ausbau der Marke sowie eine umfassende Digitalisierung. Auch wenn die neue Unternehmergeneration, wie bei Pilz, schon lange im Betrieb tätig ist, liegt die Messlatte hoch, sobald das operative Geschäft in ihre Hände gelegt wird.
Diese Erwartungen können die Nachfolger häufig jedoch nicht erfüllen.

Nach dem Wechsel gibt es häufig einen Wachstumsknick

Das ist jedenfalls die Erfahrung der Unternehmer, bei denen in den letzten fünf Jahren bereits ein Generationenwechsel stattgefunden hat. Nur bei 35 Prozent der Befragten wurden neue Kompetenzbereiche geschaffen, bei 30 Prozent bauten die neuen Chefs die Marke aus, 24 Prozent digitalisierten das Unternehmen.
Eine weitere Untersuchung aus dem Februar dieses Jahres belegt sogar, dass es nach einem Chefwechsel bei kleinen und mitteständischen Unternehmen wirtschaftlich erst einmal bergab geht.

Gründer- und Entrepreneurshipforscher Harald Habermann weist in seinem Beitrag "Business takeovers and firm growth: Empirical evidence from a German panel" unter anderem nach, dass die Mitarbeiterzahl nach einem Wechsel meist zunächst abnimmt. Für seine Analyse hatte er Daten von 1.872 Unternehmen verwendet.

Diese Motive treiben den Mittelstand bei der Digitalisierung an

Bei börsengehandelten Unternehmen sei die Performance nach einem Chefwechsel schlechter als zuvor. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn der neue CEO ein Familienmitglied sei. So seien in den ersten drei Jahren nach dem Wechsel die Kapitalerträge der familiengeführten Unternehmen um 18 Prozent und das Kurs-Gewinn-Verhältnis um 14 Prozent niedriger als bei Unternehmen, deren neuer CEO nicht zur Familie gehört. Ganz ähnliche Ergebnisse liefern Studien aus Kanada, Dänemark und den USA.

Nach dem Knick geht es steiler bergauf als bei der Konkurrenz

Allerdings zeigen alle diese Untersuchungen, dass nach diesem temporären Knick die familiengeführten Unternehmen beim Mitarbeiterwachstum die Konkurrenz hinter sich lassen. Über einen Zeitraum von sechs Jahren liege das Mitarbeiterwachstum um 15 Prozent über dem der familienfremdgeführten Unternehmen. Bei den deutschen Betriebe wachsen nach der Eingewöhnungsphase auch die Umsätze stärker.
Der beschriebene Wachstumsknick nach dem Chefwechsel tritt laut Habermann vor allem dann auf, wenn es der erste Generationenwechsel im Unternehmen ist. Geht das Unternehmen an die dritte, vierte oder fünfte Generation über, bleiben Umsatzknick und Mitarbeiterrückgang in der Regel aus.

Für die deutschen Betriebe, die in den kommenden fünf Jahren einen neuen Chef bekommen werden, heißt das: Sie sollten sich wappnen für den Knick. Gemäß der Commerzbank-Mittelstandsstudie sind nämlich 50 Prozent der deutschen Unternehmen (mit mindestens 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz) jünger als 30 Jahre. Dass es sich bei ihnen um die erste Übergabe handelt, ist also recht wahrscheinlich.

Beim Automatisierungsspezialisten Pilz ist man in diesem Punkt entspannt. "Wir waren uns immer einig, dass Pilz seine Wachstums- und Internationalisierungsstrategie fortführt. Wir wollen wachsen, aber nicht um jeden Preis", sagt Noch-Chefin Renate Pilz. Diesen Weg wollen auch ihre Kinder weiterhin beschreiten, so die Unternehmerin. Tochter Susanne und Sohn Thomas sitzen allerdings auch schon mehr als zehn Jahre gemeinsam mit der Mutter in der Geschäftsführung. Dass die beiden ab 2018 aus reiner Unerfahrenheit schwerwiegende unternehmerische Fehler machen, ist also relativ unwahrscheinlich.
Entsprechend unbesorgt ist Pilz senior, was die weiteren Pläne ihrer Kinder angeht. "Es ist genau der Weg, den mein Mann, Peter Pilz, und später auch ich beschritten haben – daher freue ich mich auf die Zukunft des Unternehmens."

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