Doch längst nicht jeder folgt diesen Begeisterungsstürmen. Lutz Becker, Professor an der Hochschule Fresenius in Köln, befürchtet zum Beispiel, dass die Zahl der ausgebrannten Mitarbeiter in Zukunft ansteigen wird. „Agile Selbstorganisation zehrt, man ist psychologisch permanent im Alarmzustand“, sagt Becker. Denn die große Freiheit agiler Strukturen verlangt, dass der Einzelne plötzlich denken und handeln muss wie ein Chef. Er muss sagen, wenn etwas schlecht läuft, wichtige Entscheidungen treffen, die Konsequenzen tragen und die Kritik der Gruppe aushalten. Das will und kann nicht jeder. „In agilen Organisationen wird jedes Tun, jeder Prozess und jede Leistung immerzu hinterfragt und neu an den aktuellen Erfordernissen ausgerichtet“, schrieb das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation.
Ein Blick nach Amerika illustriert die Probleme. Der Onlinehändler Zappos gilt als eines der ersten Unternehmen, das sich komplett dem agilen Management verschrieben hat. So ließ CEO Tony Hsieh seine Mannschaft Anfang vergangenen Jahres wissen: Wer nicht komplett holokratisch arbeiten wolle – also in selbstständigen Einheiten ohne feste Hierarchie – dürfe drei Monatsgehälter abgreifen und das Unternehmen verlassen. Über 200 der 1500 Mitarbeiter gingen darauf ein. Die Onlineplattform Medium wiederum verkündete im März dieses Jahres, sie werde ihr Holokratie-Experiment nicht fortführen. Den vielen Vorteilen von größtenteils selbst organisierten Teams hätten Diskussionen gegenübergestanden, die zwar notwendig gewesen wären, aber viel Zeit gekostet und am Ende doch keine Einigung gebracht hätten, sagte Vorstandsmitglied Andy Doyle.
Agiles Management kann vor allem Unternehmen helfen, von denen erhöhte Flexibilität verlangt wird, weil sich ihre Branche stark wandelt – Automobilindustrie, Telekommunikation oder das Bankenwesen. „Die Methoden sind bei komplexen Problemen am wirkungsvollsten“, sagt Bernd Rutz von der Managementberatung HR Pioneers. Also dann, wenn langfristige Pläne wenig sinnvoll sind.
Die unterschiedlichen Typen eines Teams
Er übernimmt gerne die Vorbildfunktion, hält das Team zusammen und spornt die anderen an. Außerdem spricht er Bedenken an und präsentiert Lösungen für Probleme. Um ihn zu motivieren, kann der Chef ihm zusätzliche Verantwortung übertragen – sowohl hinsichtlich inhaltlicher Entscheidungen als auch beim Führen der restlichen Mannschaft. Sich immer wieder neu zu beweisen, ist seine zentrale Motivation.
Er kann ständig Höchstleistungen abrufen, liebt Herausforderungen und reagiert schnell auf neue Anforderungen – auch unter Druck. Der Top-Performer erwartet regelmäßige Belohnungen für Erfolge. Diese können sowohl materieller Natur sein, aber auch Lob und Aufstiegschancen motivieren ihn.
Er ist neutral und fair gegenüber allen Beteiligten, egal ob Kollegen, Kunden oder Lieferanten. Er hat die Gabe Emotionen und Fakten zu trennen. Dieser Typ fühlt sich besonders in Abteilungen beziehungsweise Betrieben wohl, die ihr Handeln an Unternehmenswerten ausrichten. Auch ihn motiviert eine gewisse Entscheidungsfreiheit, allerdings braucht er Richtlinien, an denen er sich orientieren kann.
Er ist ein langjähriger Mitarbeiter, auf dessen Leistung man sich verlassen kann. Außerdem teilt er sein Wissen gerne, bringt so das gesamte Team voran. Auch der Profi will durch neue Aufgaben gefordert und gefördert werden. Motivieren Sie ihn, in dem Sie ihn als Mentor für neue Mitarbeiter oder Verbindungsmann zwischen verschiedenen Abteilungen einsetzen. Das zeigt, wie sehr Sie seine Erfahrung schätzen.
Die meisten Neuen wollen schnell lernen und sich im Team einfügen. Sie bringen neue Ideen und wertvolles Wissen mit. Mit einem Einarbeitungsplan könnte der Vorgesetzte den Neuankömmling motivieren. Seine Rolle sollte darin ebenso geklärt werden, wie die übergeordneten Geschäftsziele. Regelmäßiges Feedback sind besonders für die Neuen wichtig.
Anders sei es in Bereichen mit einem hohen Grad an Standardisierung, etwa in der Buchhaltung. „Hier kommen die Stärken agiler Methoden nicht so sehr zum Tragen“, sagt der Berater. Ganz ohne Stabilität geht es nun mal auch nicht.
Daher sollen Führung und Vorgaben auch nicht komplett beseitigt werden. Vielmehr verschwinden Mikromanagement, starre Strukturen und Vorgaben ohne Sinn. Damit agile, hierarchiearme Strukturen Erfolg haben können, muss die Zusammenarbeit jedoch klar geregelt werden. Das Umfeld darf die agile Arbeitsweise nicht torpedieren. Oft ist es sinnvoll, die neue Struktur erst mal in einem kleineren Bereich zu testen: „Das agile Team braucht einen geschützten Raum“, sagt Ayelt Komus, Professor an der Hochschule Koblenz, „sonst kann es nicht effektiv arbeiten.“ Wenn sich die neue Methode etabliert hat, kann man sie immer noch schrittweise auf weitere Bereiche ausweiten.
Sympathie für Anarchie
Vor allem aber müssen die Führungskräfte das spezielle Arbeitsklima respektieren. In vielen deutschen Unternehmen ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Beständigkeit extrem ausgeprägt – klar, dass es eine agile Struktur hier schwerer hat.
Experten empfehlen deshalb, Fehler unbedingt zuzulassen. „Einzelne Mitarbeiter, aber auch ganze Teams müssen Dinge ausprobieren dürfen, scheitern, Alternativen ausloten und lernen, in kleinen, aber schnellen Verfahren zu denken“, sagt Tilo Böhmann, Professor für IT-Management und Consulting an der Uni Hamburg, „das ist für traditionelle Unternehmen der größte Schritt.“
Doch bei aller Sympathie für Anarchie: Letztlich braucht es immer jemanden, dessen Meinung am meisten Gewicht hat. Das musste auch Betterplace-Gründerin Joana Breidenbach feststellen. Immer wieder kam es zu Situationen, in denen sich die Gruppe nicht einig war. Weil sie nicht weiterwussten, wandten sich die Mitarbeiter an Breidenbach. Manchmal ist es eben angenehm, eine Entscheidung zu delegieren.