Talent oder Fleiß? Was Sie brauchen, um an die Spitze zu kommen

Wer sich genug anstrengt, kann alles lernen? Von wegen. Inzwischen sind Wissenschaftler überzeugt: Ohne angeborenes Talent geht es nicht. Und was ist mit dem Einfluss von Umfeld und Glück?

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Jemand schreibt mit einem Füllfederhalter. Quelle: dpa
Eine Frau guckt gequält Quelle: Antonioguillem - Fotolia
Jemand legt einem Mann, der sich die Händen vor die Augen hält, die Hand auf die Schulter. Quelle: zest_marina - Fotolia
Ein Mann im Sprung Quelle: Svenni - Fotolia
Ein Mann guckt gelassen. Quelle: Janina Dierks - Fotolia

So etwas hatten die Salzburger noch nie gesehen: ein Siebenjähriger, der virtuos Violine sowie mehrere Tasteninstrumente spielt und jeden Ton exakt bestimmen kann. Ein echtes Wunderkind, dieser Mozart, da waren sich alle einig.

Das gilt bis heute. Der Komponist aus dem 18. Jahrhundert ist das Paradebeispiel für Talent – also für das genetische Geschenk, das einigen wenigen Menschen mit auf den Lebensweg gegeben wurde und das scheinbar unglaubliche Leistungen ermöglicht.

Anders Ericsson ärgert sich über diese Sichtweise. Für den schwedischen Psychologen, der an der Florida-State-Universität lehrt, war Mozart kein Wunderkind. Für seine Fähigkeiten gebe es eine viel profanere Erklärung, behauptet der Forscher seit Jahren: stundenlanges Üben – und einen ehrgeizigen Vater.

Jahrelanges Training oder Talent?

Leopold Mozart war als Violinist und Komponist nur mäßig erfolgreich. Seine Kinder sollten es besser machen. Deswegen entwickelte er für seine Tochter Maria Anna und vor allem für seinen Sohn ein anspruchsvolles Programm. Wolfgang lernte bereits im Alter von vier Jahren Geige und Klavier. Als er sieben war, hatte er daher vermutlich bereits mehrere Tausend Übungsstunden hinter sich. Seine Fähigkeiten an der Violine und sein absolutes Gehör waren zwar ein außergewöhnlicher Erfolg, aber nicht unbedingt ein Wunder. „Wäre Mozart in einer anderen, unmusikalischen Familie aufgewachsen“, sagt Ericsson, „hätte er diese Fähigkeiten nie entwickelt.“ So schreibt er es in seinem neuen Buch „Peak“, in dem er sich der Erforschung von Exzellenz widmet. Höchstleistungen wie bei Mozart haben seiner Ansicht nach wenig mit angeborenen Talenten zu tun – und viel mit diszipliniertem Training.

Die ultimative Erfolgsformel

Doch ist es wirklich so einfach? Machen mehrere Jahre fokussiertes Training aus jedem passionierten Klavierspieler einen Weltklassepianisten, aus jedem ambitionierten Jogger einen Marathonläufer, aus jedem Praktikanten einen Topmanager? Leider nein. Denn es gibt immer mehr Psychologen, die an Ericssons Theorie zweifeln. Meister, so scheint es, brauchen demnach viel Übung – aber Übung macht noch lange keinen Meister.

Die 10.000 Stunden-Regel

Bereits 1994 veröffentlichte Ericsson eine Studie, für die er jahrelang untersucht hatte, wie Spitzensportler und Weltklassemusiker so gut werden konnten. „Der Einfluss von Training ist weitaus größer als angenommen“, schlossen Ericsson und sein Co-Autor Neil Charness damals.

Die Arbeit war lange nur Psychologen und Pädagogen bekannt. Das änderte sich im Jahr 2008. Damals erwähnte der kanadische Journalist Malcolm Gladwell sie in seinem Beststeller „Outliers“. Vor allem aber leitete er daraus eine griffige Formel ab: Wer es in einem Bereich zur Spitzenklasse bringen wolle, brauche dafür kein besonderes Talent – sondern nur die Bereitschaft, rund 10.000 Stunden zu trainieren.

Mit acht Stunden pro Tag und fünf Tagen in der Woche dauert das fünf Jahre, ohne Urlaub zumindest. Kein leichtes Programm, aber machbar. Die Frage, was Erfolg ausmacht, schien durch Ericssons Forschungsergebnisse also endlich beantwortet: harte Arbeit und Disziplin.

Training ist nicht alles

Dass sich die 10.000-Stunden-Regel derart verbreitete, ist verständlich. Denn ihre Botschaft macht Mut: Wer sich genug anstrengt, kann alles schaffen. Endlich schien jemand eine Formel für Erfolg gefunden zu haben, noch dazu verpackt in eine griffige Zahl.

Aber so einfach ist es leider nicht.

Davon ist zum Beispiel Zach Hambrick überzeugt. In den vergangenen Jahren hat der Psychologe von der Michigan-State-Universität mehrere Untersuchungen veröffentlicht, die Ericssons These vom antrainierten Erfolg widerlegen. Im Jahr 2014 zum Beispiel wertete er zusammen mit zwei Co-Autoren insgesamt 88 Forschungsarbeiten aus. Jede einzelne hatte sich vor allem mit einer Frage beschäftigt: Was ist wichtiger, Talent oder Training?

Training ist nicht alles, aber ohne Training...

Und tatsächlich: Egal, ob bei Schach, Sport oder Musik – Übung und Training waren zwar immer ein Faktor, niemand wird als Schachgroßmeister oder Violinvirtuose geboren. Doch der tatsächliche Effekt des Trainings war überraschend gering. Bei Schach machte er rund 26 Prozent aus, bei Musik etwa 21 Prozent und bei Sport rund 18 Prozent.

Anders ausgedrückt: Jeden Tag Schach zu üben hilft. Aber es macht niemanden zum neuen Magnus Carlsen. Woraus die restlichen 74 Prozent bestehen, die Schachanfänger von Großmeistern trennen? Darüber können Zach Hambrick und seine Kollegen bisher nur spekulieren.

Psychologen, die den Einfluss von Talent und Training untersuchen, schauen sich häufig Musiker, Schachspieler oder Sportler an. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens lässt sich Leistung in Zahlen ausdrücken, zweitens sind diese Tätigkeiten relativ eindimensional. Wie oft jemand für sie trainiert, lässt sich daher gut beobachten. Es ist einfach, zu messen, wie viele Stunden pro Woche ein Basketballspieler an seinem Drei-Punkte-Wurf arbeitet. Bei einem Wirtschaftsprüfer oder Ingenieur ist das schon schwieriger.

Inwieweit sich die Studien übertragen lassen, ist unklar. Dafür müsste man die komplexen Tätigkeiten, aus denen die meisten Berufe bestehen, erst mal auseinanderhalten und in jedem einzelnen messen, wie viel Einfluss Übung hat. Was man aber auch für diese Bereiche inzwischen weiß: Training ist nicht alles. Denn in vielen Berufen hängt die Leistung vom generellen Intelligenzquotienten ab – und der ist zu einem großen Teil angeboren.

Diese Arten von Intelligenz gibt es

Erblich bedingter Fleiß

Auf den geringen Einfluss von Übung deuten auch zwei weitere Untersuchungen hin. Weil sie ähnliche Erbanlagen besitzen, sind Studien mit Zwillingen ein beliebtes Mittel, um herauszufinden, ob ein Verhalten oder eine Fähigkeit angeboren oder erlernt ist.

2014 rekrutierte ein Team um Nancy Pedersen vom Karolinska-Institut in der Nähe von Stockholm insgesamt etwa 2000 schwedische Zwillingspaare. Alle absolvierten einen standardisierten Musiktest. Anschließend fragten die Forscher die Zwillinge, ob sie ein Instrument spielen und wie oft sie damit üben.

„Musikalische Fähigkeiten sind zu einem Großteil erblich“, schrieben die Forscher in der Studie mit dem Titel „Übung macht nicht den Meister“. Mehrfach konnten sie nachweisen, dass Zwillinge ähnliche musikalische Fähigkeiten besitzen – selbst wenn einer von ihnen jeden Tag fleißig ein Instrument übte, während der andere faulenzte.

Zach Hambrick kam im vergangenen Jahr zum gleichen Ergebnis, als er zusammen mit dem Psychologen Elliot Tucker-Drob die Musikalität von 800 Zwillingspaaren untersuchte. Doch er fand noch etwas anderes heraus: Auch die Bereitschaft, jeden Tag mehrere Stunden zu üben, scheint etwas mit den Genen zu tun zu haben – denn die Zwillinge waren meistens ähnlich diszipliniert. Wer gut werden will, braucht also Fleiß und Talent – aber beide Erfolgsfaktoren sind anscheinend in gewisser Weise erblich bedingt.

Wer will, der kann?

Das bestätigen die Erfahrungen von Oliver Höner. Der Sportwissenschaftler der Universität Tübingen kooperierte für ein Forschungsprojekt mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB). Zusammen mit seinem Mitarbeiter Philip Feichtinger begleitete er mehrere Nachwuchsfußballer im Alter zwischen 11 und 15 Jahren auf ihrem Weg durch die DFB-Stützpunkte.

Dort müssen die besten Jugendspieler alle sechs Monate mehrere Fragebögen zu Persönlichkeitsmerkmalen ausfüllen. Wie motiviert sie sind, wie selbstbewusst oder wie ängstlich zum Beispiel. Und tatsächlich: Jugendspieler, die besonders leidenschaftlich von einer erfolgreichen Fußballkarriere träumten, hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, diesem Traum am Ende auch ein gutes Stück näher zu kommen. Sie landeten später öfter in einem der Nachwuchsleistungszentren der Proficlubs.

Die Psychologen vermuten, dass die „Hoffnung auf Erfolg“ erst so richtig dazu motiviert, noch härter und intensiver zu trainieren als andere.

„Wie groß die Anteile von Training und Talent jeweils sind, lässt sich aber nicht seriös sagen“, sagt Höner. Von Ericssons Theorie und Gladwells Regel hält er wenig: „Zu sagen, dass man alles in 10.000 Übungsstunden lernen kann, stimmt einfach nicht.“

Die Nachwuchsfußballer sind dafür ein gutes Beispiel. Obwohl sie bereits in der U12 zur Elite gehören, liegt die Wahrscheinlichkeit, es in der U16 in ein Leistungszentrum zu schaffen, im Schnitt bei gerade einmal neun Prozent. In populären Sportarten sei der Konkurrenzdruck so hoch, dass es nur mit der Kombination aus Talent und Fleiß gehe. „Und selbst das reicht oft nicht“, sagt Höner, „denn man braucht eben auch das nötige Umfeld und das nötige Glück.“

Tröstliche Botschaft

Anders Ericsson bleibt trotzdem bei seiner These: „Die Gehirnfunktionen, die Spitzenleistungen ermöglichen, sind das Ergebnis von Training – und nicht die Folge einer genetischen Programmierung“, schreibt er in seinem neuen Buch. Und das gelte nicht nur im Sport oder in der Musik: „Egal, ob man besser Tennis spielen oder ein besserer Verkäufer werden will – das Mittel ist immer gleich: üben.“ Auch Unternehmen müssten das endlich erkennen. Mit ausdauerndem, gezieltem Training, bei dem man direkt Feedback bekommt, könne man so gut wie alles lernen und sich immer wieder an neue Anforderungen anpassen.

Damit stehen sich die zwei Seiten weiterhin unversöhnlich gegenüber. Und der Streit wird mitunter hitzig geführt. Zach Hambrick wird teilweise vorgeworfen, Menschen zu demotivieren und sie davon abzuhalten, ihre Träume zu verwirklichen. Dass die Forschung von Ericsson in den vergangenen Jahren so häufig zitiert und zum Material für Bestseller wurde, liegt eben auch daran, dass sie eine tröstliche Botschaft beinhaltet: Wer will, der kann.

Oliver Höner befürchtet jedoch, dass dieser Glaube manchmal sogar schadet. „Es ist auch wichtig, seine Grenzen anzuerkennen“, sagt er. Sonst drohe man sich in aussichtslosen Unterfangen aufzureiben – und werde am Ende unglücklich. Das sieht Malcolm Gladwell genauso. „Ich könnte 100 Jahre lange Schach spielen“, sagte der Erfolgsautor mal, „und wäre noch immer kein Großmeister.“

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