Coaching Ein Coach für alle Fälle

Noch nie wurden Menschen so intensiv und in so unterschiedlichen Bereichen gecoacht wie heute. Hinter der Suche nach stetiger Verbesserung steckt jedoch oft die Sorge, nicht Schritt halten zu können. Das öffnet Scharlatanen Tür und Tor. Dieser Coaching-Report zeigt Ihnen, was ein Coach wirklich leisten kann, wie Sie den richtigen finden und ob sich die Investition für Sie lohnt.

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Der Coach Quelle: Illustration: Christoph Niemann für WirtschaftsWoche

Es gibt sie, diese Tage. Dann wundert sich Ulrich Dehner über das Wesen der Manager im Allgemeinen und den anhaltenden Zustand heftiger Hilflosigkeit im Besonderen.

Es sind Tage wie jener Montag, als ein Vorstand bei ihm anrief, um sich dabei beraten zu lassen, wie man bitte schön ein lockeres Gespräch mit einem Mitarbeiter führe, der gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt sei. In jenen Momenten spürt der 59-Jährige die Dringlichkeit seines Berufsstandes, zweifelt aber zugleich am Machbaren, da seine Klientel offenbar schon an simplem Smalltalk scheitert.

Ulrich Dehner ist Führungskräfte-Coach, ein Profi, vielleicht sogar einer der besten in Deutschland. Seit 20 Jahren übt er den Beruf aus, davor arbeitete er lange Zeit als Psychotherapeut. Weit über 100 Manager hat der Konstanzer seitdem gecoacht, davon über 20 Top-Manager, „aber in jüngster Zeit häufen sich die Anfragen“, sagt er. Auch die skurrilen.

Wer jetzt um seinen Job bangt, der geht entweder zum Headhunter oder zum Coach

Sein Telefon klingelt jetzt zehnmal häufiger als sonst.

Meistens rufen Konzerne an, aber auch Privatleute sind dabei – Aufsteiger, die mit den Intrigen und Machtkämpfen der Beletage nicht zurechtkommen; Branchenwechsler, die den Klimawandel nicht vertragen; Lebenskrisler, die nach Neuorientierung suchen. Die Finanzkrise tut ihr Übriges dazu. Wer jetzt um seinen Job bangt, der geht entweder zum Headhunter oder zum Coach. Oder zu beiden gleichzeitig. Viele dieser Anfragen lehnt Dehner inzwischen ab – nicht alles lässt sich coachen. Persönliche Sinnkrisen ja, globale Jobkrisen eher nicht. Viele lassen es dennoch auf einen Versuch ankommen.

Coaching boomt. Allein 55,2 Prozent der Manager haben sich in den vergangenen fünf Jahren coachen lassen, so das Ergebnis einer exklusiven Umfrage der Düsseldorfer Personalberatung LAB Lachner Aden Beyer & Company unter mehr als 400 Managern (siehe Seite 122). Rund ein Viertel davon hat vor, sich auch in den kommenden zwölf Monaten wieder coachen zu lassen, über 20 Prozent sogar ganz bestimmt. „Vor allem das privat finanzierte Coaching wird in den nächsten Jahren massiv zunehmen“, glaubt LAB-Geschäftsführer Frank Beyer.

"Wer sich nicht um seine Karriere kümmert, der kann scheitern – und ist daran auch irgendwie selber schuld"

Kaum ein Bereich bleibt verschont: Die Menschen lassen sich heute in allen Lebenslagen und Lebensfragen begleiten und beraten, angefangen bei der Gesundheit und der Ernährung, über Image, Stilfragen, Kapital und Kompetenz bis hin zu Partnerschaft und Sex. Und natürlich bei der Karriere. Vor allem bei der Karriere.

Ob in Team- oder Einzelcoachings: Überall geht es darum, besser zu werden, Schwächen zu erkennen, sie auszubügeln, Stärken zu stärken, noch mehr aus sich herauszuholen. Überhaupt: mehr, mehr, mehr vom ich, ich, ich.

Die Optimierung des Selbst entspricht dem Zeitgeist. Längst zeigt sich der Trend zu mehr beruflichem oder privatem Erfolg sowie zu gesellschaftlicher Anerkennung auch in fernsehtauglichen Formaten wie „Hagen hilft!“, „Die Super-Nanny“ oder „Der Auswanderer-Coach“.

Dahinter steckt nicht selten aber auch blanke Angst: Angst, in der Masse unterzugehen, Angst, nicht mithalten zu können, Angst, stehen zu bleiben, während sich alle anderen längst weiterentwickeln. Instinktiv spüren alle: Das Wirtschaftskarussell dreht sich heute schneller, Karrieren werden komplexer, die Leute wechseln öfter den Job. Nicht immer passiert das freiwillig.

Parallel dazu wächst der Druck.

Die sogenannte Halbwertzeit des eigenen Könnens und Wissens nimmt kontinuierlich ab. Für viele stellt das eine echte Bedrohung dar, die sie zu mehr Initiative und Eigenverantwortung nötigt: Wer sich nicht um seine Karriere kümmert, wer nicht Schritt hält, der kann scheitern – und ist daran am Ende auch irgendwie selber schuld.

Der US-Soziologe Richard Sennett hat diesen neuen ökonomischen Typus einmal den „getriebenen Menschen“ genannt. Das Tragische an diesem Typ ist: Beseelt vom ständigen Bedürfnis besser zu werden, bleibt er zugleich behaftet als Mensch in permanenter Not – halbfertig, halbwertig, mangelhaft.

Wer zum Coach geht, der tut etwas dagegen und dokumentiert immerhin: Ich unternehme was, bin aktiv und schmiede – wenn auch mit fremder Hilfe – mein eigenes Glück. Gleichzeitig zeigt er seine Bereitschaft, dafür entsprechende Kraft und Mittel zu investieren. Das ist doch schon was. Und falls sogar der Arbeitgeber den Coach bezahlt, dann heißt das oft nichts weniger als: „Das bist du uns wert, denn wir sehen nicht nur deine Fehler, sondern vor allem dein Potenzial.“

Das Image des Coachens hat sich gewandelt

So hat sich denn auch das Image des Coachens deutlich gewandelt. Wer sich einen persönlichen Ratgeber leistet, der gilt nicht mehr als ein Jemand mit Macken und Schwächen, sondern als Macher mit Möglichkeiten. Denn, das hat jeder inzwischen gemerkt, vom Coaching können nicht nur die Schwachen, Anfänger und Zukurzgekommenen profitieren, sondern auch die Starken, Klugen und Wissenden – und sei es nur, damit aus ihnen Besserwissende werden.

Wie ist das passiert? Coaching spart. Geld vor allem, aber auch Zeit. Eine solche Maßnahme lässt sich schnell buchen, sie dauert nicht lange und ist, verglichen mit den potenziellen Ausfallkosten eines Managers, verhältnismäßig günstig. Zudem wirkt ein Coaching-Angebot eben nicht mehr wie eine Demütigung, sondern wie eine Auszeichnung. Das spart vielleicht sogar noch manchen Bonus.

Sicher, nicht selten sind solche Maßnahmen nichts weiter als Augenwischerei. Coaching ist schließlich auch bequem – für alle Beteiligten: Der Coachee bekommt einen privaten Schutzraum, in dem er ohne großes Karriererisiko an sich arbeiten kann.

Der Coach verdient gutes Geld, indem er den Mächtigen souffliert und dabei selbst ein wenig Macht inhaliert. Die Personalmanager wiederum delegieren müßige Personalentwicklungsarbeit und haben obendrein das gute Gefühl, etwas für die Motivation der Mitarbeiter getan zu haben.

Und die Chefs? Auch sie profitieren. Wer zu feige ist, seinem Mitarbeiter ins Gesicht zu sagen, was ihn nervt, schickt ihn eben zum Coach. Das hat zugleich den Vorteil, dass er sich im Erfolgsfall als Entdecker eines Nachwuchstalents preisen und im Falle des Scheiterns alles auf den Coach schieben kann.

Ein Konzept, das sich schon in der Consulting-Branche bewährt hat. Und das in dieser Form der Verantwortungsverschieberei zuweilen "reine Geldverschwendung" bleibt, wie sie etwa der Diplom-Psychologe und unter Pseudonym schreibende Buchautor Richard Gris ("Die Weiterbildungslüge") kritisiert.

Vom Sport-Instrument zur Manager-Lebenshilfe

Seit Menschengedenken suchen Menschen bei anderen Menschen Rat, Hilfe und Orientierung. Der Begriff des Coachens stammt ursprünglich aus dem Sport.

Dort trainiert der Coach eben nicht nur die sportlichen Talente seiner Athleten, sondern hört ihnen auch zu, motiviert sie, begleitet sie mental.

Mit intimen Geständnissen auf der Couch hat das heutige Business-Coaching jedoch herzlich wenig gemein. Eher ist es eine Art Autoanalyse unter fachmännischer Aufsicht, wobei der Coach seinem Klienten in erster Linie dabei hilft, die Lösung seiner Probleme in sich selbst zu bergen.

Der Coach kann aber, wie von den Beratern stets betont wird, so allenfalls vorhandene Begabungen wecken, Impulse geben, auf Verbesserungen in der Praxis hinarbeiten. Aus einem verschlossenen Eigenbrödler eine Rampensau machen, kann er nicht. Ebenso wenig trainiert er neue Fähigkeiten ein oder prüft diese ab – das machen Trainer.

Und auch die Arbeit eines Psychotherapeuten kann er nicht ersetzen. Kindheitstraumata, Psychosen, akute Sucht oder die Behandlung eines Burnouts gehören nicht zu seinen Aufgaben – und sollten ihm ohne entsprechende Ausbildung schon gar nicht überlassen werden.

Der Coaching-Markt ist unübersichtlich

Doch genau das ist das Problem der Branche.

Der Coaching-Markt ist unübersichtlich, atomisiert und ein Biotop für Quacksalber und Trittbrettfahrer. Spätestens seit dem Jahr 2000 explodiert die Anzahl der Anbieter. Um die ohnehin knappen Weiterbildungsbudgets buhlt längst eine Vielzahl von Klein- und Kleinstunternehmern: Die meisten Coachs sind Einzelkämpfer, laut Branchenuntersuchungen liegt die durchschnittliche Unternehmensgröße bei 1,3 Mitarbeitern.

„Coach“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung, entsprechend tummeln sich im Markt fragwürdige Gestalten zuhauf, die sich Coach, Trainer, Supervisor oder anders nennen und die mit ihrer gutgläubigen Klientel alles Mögliche zelebrieren, vom Glasscherbenlaufen bis zur Urschrei-Therapie – nur eben kein Coaching.

Wundern muss einen das nicht. Um Coach zu werden, gibt es hierzulande weder eine universelle Ausbildung noch klare Anforderungen an Erfahrung und Methodik. Rund 330 Institutionen bieten im deutschsprachigen Raum eine Ausbildung zum Coach an. Manche dieser Zertifikate stammen von fragwürdigen Ausbildern.

Während es in anderen europäischen Ländern zumindest eine übergeordnete Berufsvereinigung gibt, sind es in Deutschland nahezu 20, die oft noch gegeneinander arbeiten oder allein dem Ego ihrer Vorsitzenden dienen.

Wieder andere Karrierehelfer schließen sich zu reinen Marketing-Clubs zusammen und hübschen ihre Leistungen zu wundersamen Bindestrich-Beratungen vom Typus „Mental-Coaching“, „E-Mail-Coaching“ oder „Power-Coaching“ auf.

Rund 40.000 dieser selbst ernannten Menschenverbesserer praktizieren im deutschsprachigen Raum.

Die Zahl der echten Profis dürfte weit darunter liegen: Auf höchstens 4000 Coachs, die zumindest irgendeine qualifizierte Ausbildung absolviert haben, schätzt sie etwa Christopher Rauen, Vorsitzender des Deutschen Bundesverbandes Coaching (DBVC).

Selbst bei denen, die den Beruf seriös betreiben, variieren die Honorare für eine Sitzung derart stark, dass nicht sicher ist, ob vielleicht doch nur die Prominenz des Coachs honoriert wird statt seine Kompetenz. So beginnen Stundensätze in der Regel bei 100 bis 200 Euro und steigen oft mit der Hierarchiestufe des Klienten auf bis zu 2000 Euro.

"Misstrauisch sollte jeder werden, dem vollmundige und nebulöse Versprechen gemacht werden"

Doch die Marktkräfte wirken bereits.

Weil die Zunft bislang versäumt hat, sich selbst auf Minimalstandards zu einigen, etablieren nun die Unternehmen Qualitätsstrukturen. Viele Konzerne führen derzeit regelrechte Bewerbungsprozesse durch, um sich sogenannte Coaching-Pools aufzubauen – also eine feste Zahl handverlesener Coachs und Trainer, von denen die Personalentwickler hernach sicher wissen, dass sie auch halten, was sie versprechen.

Dabei achten sie penibel auf den Nachweis einer anerkannten Ausbildung sowie auf das Beherrschen verschiedener Methoden und „auf eine erkennbare Spezialisierung“, sagt etwa Isabel Witte, Head of Career Counseling bei der Boston Consulting Group. Auch sie hat für die Beratung gerade einen 25-köpfigen Pool aufgebaut.

Die Spezialisierung könnte beiden Seiten helfen: Ernst zu nehmende Coachs können sich damit besser von Scharlatanen abheben; die Zunft wiederum könnte sich so „mehr Struktur und Transparenz geben“, sagt Theo Peters, Professor für Organisation und Projektmanagement an der FH Bonn-Rhein-Sieg und Co-Autor einer aktuellen Studie über Führungskräfte-Coaching. »

Jene Transparenz sei bitter nötig, schließlich haben 40 Prozent der Unternehmen vor, ihre Coaching-Angebote künftig deutlich auszubauen, so ein Ergebnis besagter Studie.

Kritiker bemängeln zugleich, die zunehmende Profession erzeuge nur eine Scheinsicherheit. So geben hinter vorgehaltener Hand einige Ausbilder zu, dass bei ihnen neuerdings manch altgedienter Kollege anklopft, "um seinen Schein abzuholen". Denn nur so habe er eine Chance, in einen der neuen lukrativen Pools aufgenommen zu werden.

Letztlich hängt es also doch wieder am Einzelnen, zu prüfen, wem er sich anvertraut, wie der Coach seine Leistung definiert, wie er Erfolg und Vertraulichkeit sicherstellt, welche Kompetenzen und Referenzen er nachweisen kann und wie er am Ende abrechnet.

Misstrauisch sollte jeder werden, dem vollmundige und nebulöse Versprechen gemacht werden. Das vielleicht wichtigste Kriterium aber ist die Chemie zwischen Coach und Coachee: Nur wer seinem Coach voll und ganz vertraut, kann von der Beratung profitieren.

Wie das im Einzelfall aussehen kann und wie Sie für sich Coaching optimal einsetzen, soll Ihnen dieser zweiteilige Coaching-Report zeigen.

Im ersten Teil kommen vor allem die Experten zu Wort. So haben wir den Psychologen und Manager-Coach Christopher Rauen im Interview gefragt, wo die Grenzen von Coaching liegen, der Headhunter und Partner der Personalberatung Ray & Berndtson, Franz-Josef Nuß wiederum schreibt in einem Gastbeitrag über das Risiko, sich zu outen, dass man gecoacht wird. Zudem können Sie in einem kompakten Test in der Printausgabe herausfinden, ob ein Coaching derzeit für Sie infrage kommt.

In Zusammenarbeit mit dem Münchner Trainingsunternehmen Dale Carnegie Deutschland ermöglichen wir 20 Lesern, zusätzlich an einem maßgeschneiderten Programm zur beruflichen Weiterentwicklung im Wert von je 8750 Euro teilzunehmen.

Im zweiten Teil des Reports kommen wiederum Sie, liebe Leser, zu Wort. Denn bei der Recherche sind wir zugleich einen neuen Weg in der Kommunikation mit unseren Lesern gegangen: In Blog-Beiträgen, in Umfragen sowie in Xing-Foren haben wir Sie bereits vor einigen Wochen gefragt, welche Erfahrungen Sie mit Coaching gemacht haben – sowohl als Klienten wie auch als Coach.

Die Ergebnisse dieser Diskussionen, die übrigens erstaunlich differenziert ausfielen, finden Sie bereits online Blog: Jo´s Jobwelt. Natürlich können Sie dort auch weiterhin mit uns über das Thema diskutieren.

Wir glauben, damit einen der umfassendsten, informativsten und nützlichsten Reports zum Thema Coaching zusammengestellt zu haben. Und freuen uns auf Ihre Reaktionen, Meinungen und Kommentare dazu, im Internet unter: www.wiwo.de/coaching

Serie Coaching Teil II

In der nächsten Ausgabe der WirtschaftsWoche lesen Sie: Das Coaching-Protokoll eines Ebay-Managers. Was Top-Management-Coach Felicitas von Elverfeldt über ihre Berufspraxis mit Entscheidern berichten kann. Welche Erfahrungen Coachs und Klienten bisher gemacht haben.

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