„Die Arbeit wird einfacher, deshalb bekommt das Bundeskartellamt mehr Leute“, spottet der Ökonom Justus Haucap. Und bringt damit den Widerspruch auf den Punkt, der zwischen Anspruch und Anliegen der obersten Wettbewerbshüter klafft: Einerseits soll die elfte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) es den Kartellwächtern erleichtern, die Vorteile, die die Unternehmen durch Absprachen erzielt haben, einzutreiben.
Indem sie die Hürden dieser sogenannten Vorteilsabschöpfung senken. „Das Instrument gab es zwar schon, wurde aber kaum genutzt, weil es zu aufwendig war“, sagt Kartellrechtler Sascha Dethof von Fieldfisher. Andererseits aber hat es die Behörde verstanden, diese Gelder, die nun also etwas üppiger in die Staatskasse kommen dürften, für sich zu nutzen: Die Gesetzesänderung, die noch in diesem Juni verabschiedet werden soll, sieht für das Bundeskartellamt drei neue Stellen nur für die Vorteilsabschöpfungen vor. Die Arbeit muss schließlich gemacht werden. Bislang nämlich wurde sie meist gar nicht gemacht.
Und so lag das Risiko, dass sich Unternehmen, die ins Visier der Kartellwächter gerieten, neben Millionenstrafen vom Bundeskartellamt und Schadensersatzklagen von Kunden auch darauf einstellen mussten, ihre unrechtmäßigen Gewinne rauszugeben, nahe null, sagt Dethof.
Zu kompliziert sind Richtern die Berechnungen; zu groß die Gefahr, dass die nächste Instanz ihr Urteil aufhebt. Nun hat die Regierung eine Pauschalregel ersonnen – ein Novum im Kartellrecht: Mindestens ein Prozent des Umsatzes, der mit der Tat erzielt wurde, soll das Kartellamt als Vorteil abschöpfen. „Begeht zum Beispiel ein Obstimporteur einen Kartellverstoß bei seinem Bananengeschäft, muss er pauschal mindestens ein Prozent vom Bananenumsatz zahlen, höchstens zehn Prozent von seinem weltweiten Umsatz mit allem Obst“, erläutert Juristin Daniela Seeliger von Linklaters.
Zur Methode
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte für die WirtschaftsWoche über 5000 Juristen aus 243 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen für M&A und Kartellrecht. Nach deren Bewertung setzten sich für M&A 49 Kanzleien mit 83 Juristen durch und für Kartellrecht 37 Kanzleien mit 80 Anwälten.
Die Jury für M&A: Denise Bauer-Weiler (UBS), Jan Eckert (ZF Friedrichshafen), Bettina Holzwarth (Bosch), Martin Schlag (Thyssenkrupp), Claas Westermann (RWE), Achim Schunder (C.H. Beck)
Die Jury für Kartellrecht: Jan Eckert (ZF Friedrichshafen), Sebastian Lochen (Thyssenkrupp), Mathias Traub (Bosch), Claas Westermann (RWE), Achim Schunder (C.H. Beck)
Der Papiertiger bekommt Krallen
Rolf Hempel, Kartellrechtler bei CMS, ist sich sicher: „Was bisher ein Papiertiger war, wird jetzt zum Raubtier mit spitzen Krallen.“ Das ist zwar gut für den Fiskus. Und könnte auch ein starkes Signal sein, um Preisabsprachen zu verhindern. Diejenigen aber, denen die Kartellbildungen am meisten schaden, werden sich auch weiterhin schwertun. Denn in den Schadensersatzprozessen wird weiter viel herumgerechnet.
Den Kartellrichtern werden Hunderte von Aktenordnern ins Büro gebracht: Jeder Geschädigte muss jeden Lieferschein und jede Rechnung über mehrere Jahre vorlegen und nachweisen, wie viel teurer die Produkte durch den Verstoß waren. „Das ist Unternehmen von außen nur schwer nachzuweisen, selbst intern ist es schwer, weil sich nicht alle Kosten eindeutig zuordnen lassen“, weiß Seeliger. Entsprechend lange ziehen sich die Verfahren.
Im Bierkartell etwa ging es um Verstöße aus dem Jahr 2007, wofür das Kartellamt sieben Jahre später Bußen verhängte – und dann erst die Klagen der Brauereien dagegen folgten. Für die Carlsberg Brauerei endete das Verfahren erst diesen Mai. Nach fünf Jahren. Hätten sich die Richter ein Beispiel genommen an Gerhard Klumpe vom Landgericht Dortmund und auf Ökonomengutachten verzichtet, hätte es nur halb so lang gedauert, schätzt Anwalt Jürgen Wessing, der an der Universität Düsseldorf Kartellsanktionsrecht lehrt: Klumpe besaß vor zwei Jahren den Mut, den Schaden in einem Schienenkartellfall selbst zu schätzen – nach freier Überzeugung.
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