Diesen Artikel hätte der Kollege schreiben sollen. „So eine Tagescreme fürs Gesicht benutzt doch jeder. Man muss die Haut doch versorgen.“ Man sollte vielleicht schon, Mann tut es dennoch noch immer selten. Der Autor gehört zur Mehrheit von 85,1 Prozent aller Männer, die in den vergangenen Tagen keine Gesichts- oder Feuchtigkeitscreme verwendet haben. Die Zahl der Nutzer steigt aber. So waren es mit 14,9 immerhin 0,3 Prozent Männer ab 14 Jahren mehr. „Männlich, jung, pflegt“ – das ist die Zielgruppe der Hoffnung für die Kosmetikbranche.
Die positive Nachricht für die gesamte Industrie: Es lauert noch viel Potential. Das Gros der Männer nutzt kaum Kosmetik. Daran ändern zunächst mal auch nichts die Zahlen, die eines jedoch belegen: Die Verweigerer werden immer weniger. Gaben 2010 etwa noch 20,87 Millionen Männer an, niemals eine Gesichtscreme zu nutzen, waren es 2014 schon nur noch 18,85.
Die beliebtesten Marken
Nichts geht an Nivea vorbei. Mit einer nochmaligen Steigerung gegenüber 2014 landet Nivea MEN 2015 mit 26,5 Prozent aller Befragten auf Platz 1 der Beliebtheitsskala.
Die Drogeriekette DM läuft mit der Eigenmarke dem Vorjahreszweiten den Rang ab. Balea Men ist für 8,1 Prozent der Befragten die Marke der Wahl.
Wer Schuhe kann, kann auch Creme? Offensichtlich. Das sportliche Image beschert Adidas Skin Care (for men) mit 7,8 Prozent Platz drei gleichauf mit L'Oreal, das allerdings die Jahre zuvor deutlich schwächer war.
Mit dem gleichen Wert wie Adidas Skin Care teilt sich L'Oreal Men Expert den dritten Platz - lag aber 2014 hinter den Düften mit den drei Streifen.
Gleich hinter der Eigenmarke von DM sortiert sich mit Florena die nächste Handelsmarke ein. Immerhin 5,2 Prozent der befragten Männer geben dies als ihre Lieblingsmarke an bei Männerpflege. Ihre Wurzeln gehen bis ins Jahr 1852 zurück und sie war zu DDR-Zeiten frech genug, eine Dose in der Ästhetik der Nivea-Dose zu verkaufen. Nivea verlor die Prozesse. Heute gehören Florena wie Nivea beide zu Beiersdorf.
Ein Name, wie ein Herrenabend: Tabac. Das Unternehmen besteht ist ein Kind des Wirtschaftswunders, exisitiert seit 1951 und ist mit Herrenpflege seit 1959 am Markt. Heute gehört sie Mäurer & Wirtz aus Stolberg, zu dem auch Marken wie 4711 gehören und das Parfüms von "Pussy Deluxe" über "Otto Kern" bis "Choice by Comma" vertreibt.
Welcher Mann will es angeblich nicht sein? Boss. Die Strahlkraft der Modemarke reicht zumindest, um "Boss Skin" auf Platz 7 des Rankings zu befördern.
Einen kleinen Verlust in der Beliebtheit musste die Marke Biotherm Homme hinnehmen und landet mit 2,2 Prozent auf Platz 8. Die Marke gehört zum Duftgiganten L'Oreal.
Lancôme Homme rangiert auf Platz 9. Und ist - als Marke von L'Oreal, ebenfalls Teil des riesigen Reichs des französischen Unternehmens.
Sie teilt den Namen mit einer Stadt in der Auvergne: Vichy. Und die Marke gehört zu: Richtig - L'Oreal.
Das ist allein nicht durch eine sinkende Zahl der Bevölkerung zu erklären. Denn zeitgleich stiegen die Zahlen der Nutzer. Waren es 2010 lediglich 4,17 Millionen Männer, die täglich eine Gesichtscreme benutzten, haben 2014 schon 5,6 Millionen Männer täglich zur Pflege der Gesichtshaut gegriffen. Geradezu explodiert ist die Zahl der Mehrfachnutzer. Sie hat sich binnen vier Jahren von 960.000 auf 2,04 Millionen verdoppelt.
Für Susanne Kaufmann ist das keine Überraschung. „Früher ging es vor allem um Effizienz in der Pflege“, sagt die Inhaberin des Hotel Post Bezau, die unter ihrem Namen auch eine eigene Kosmetiklinie vertreibt. Neben den Gedanken der Pflege tritt bei einer bestimmten Klientel zusätzlich der Wunsch nach Innehalten und zur Ruhe kommen ein. Statt mit dem Duschgel auch gleich die Haare zu waschen und den Schaum unter der Dusche für die Rasur zu nutzen, gilt Zeit vorm Spiegel mit Rasiercreme und scharfer Klinge als Erholung und eine Phase der Entspannung. Das gilt für alle Altersschichten und darüber darf inzwischen auch geredet werden, sagt Kaufmann. „Das Klischee, dass Pflege mit Cremes unmännlich sei, hat sich überholt.“
Seinen Teint und Erscheinung lässt sich deswegen die sehr interessierte Klientel gerne auch etwas kosten. So sank zwar in den vergangenen drei Jahren die Nutzung von Eau de Toilette (EdT) und Eau de Cologne (EdC), dafür stieg zeitgleich deutlich die Verwendung des deutlich höherpreisen Parfüms, das die Duftstoffe in höherer Konzentration enthält als EdT und EdC.
Selbst für traditionsreiche Betriebe wie die 1928 gegründeten Feinseifenwerke Rau in Leinfelden-Echterdingen, heißt das, das Männerprogramm zu erweitern. Besser bekannt ist der Hersteller unter der eigenen Marke „Speick“, die inzwischen auch der Unternehmensname mit dem Zusatz „Naturkosmetik“ ist. Dabei handelt es sich bei Speick zunächst mal um die gleichnamige Pflanze (lat. Valeriana celtica), der Basis der Seife, die auch heute noch zu den Standbeinen des Unternehmens zählt.
Heute bietet Speick neben den Unisex-Produkten auch eine Linie für Männer an und eine mit dem Zusatz „Active“. „Wir sind überzeugt, dass das Wachstum bei den Männerprodukten weitergeht, dafür spricht auch der Zuwachs bei den Gesichtsmasken“, sagt Gudrun Leibbrand von Speick. Die klassische Sparte der Männerkosmetik würde da nicht mithalten können. „Ein echtes Wachstum gibt es bei der Rasur nicht“, sagt Leibbrand.
Bitte natürlich!
Immer größeren Wert legen vor allem jüngere Menschen aber darauf, dass die Produkte auf Basis von natürlichen Zutaten entstünden und auch der Zusatz „vegan“ darf immer seltener fehlen. Das entspricht dem Zeitgeist, der sich in nackten Zahlen auch bei den Erhebungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) niederschlägt. „Der Zuwachs von Naturkosmetik stammt also überwiegend aus einer Intensivierung der Mengennachfrage“, heißt es im Consumer Index 8/2015 und weiter „Generation Y mit der deutlich stärksten Ausgabensteigerung für Naturkosmetik“.
Für Marken wie die von Susanne Kaufmann heißt das: Neue Produkte müssen her. Das sei jedoch gar nicht so einfach. Derzeit arbeitet Kaufmann an einer Rasiercreme. Die Herausforderung: Die Creme auf alleiniger Basis von Naturprodukten soll gleichzeitig möglichst so schaumig sein, wie es die Nutzer von Rasierschäumen aus der Dose kennen, die per Knopfdruck sich binnen Sekunden einen voluminösen Schaumball in die Handfläche sprühen können.
Mit den Spitzenprodukten der Branche pflegt sich jedoch nur eine verschwindend geringe Anzahl von Männern. Der Massenmarkt wird fast vollständig von Konzernen kontrolliert. Die beliebteste Marke heißt bei Männern mit weitem Abstand Nivea. Fast ein Viertel aller Befragten nannte in einer Umfrage Nivea Men als ihre Nummer 1. Danach folgt mit Balea die Eigenmarke der Drogeriemarktkette DM noch vor L’Oreal Men Expert.
Viele Marken, wenige Konzerne
Die vermeintlich Markenvielfalt ist zumindest bei den Umsätzen keine. Nivea gehört zu Beiersdorf ebenso wie die fünftbeliebteste Marke Florena und auch die Schweizer Marke La Prairie aus dem sehr hochpreisigen Segment. Der französische Konzern L'Oreal ist nicht nur mit der eigenen Marke erfolgreich, sondern ist auch die Mutter der Marken Biotherm Homme, Lancôme Homme und Vichy Homme. Die drei zählen in Deutschland ebenfalls zu den zehn beliebtesten Marken unter Männern.
Die Luxusmarken des Kosmetiksegments tun sich noch schwer mit dem Mann. Auch Creme de la Mer. Dabei hat die ausgerechnet der Physiker Max Hubert entwickelt. Er hatte einen Laborunfall und hat – so erzählt es die Unternehmensgeschichte – in zwölf Jahren und 6000 Experimenten zu einer Formel gebracht, die heute die Basis der Produkte von Creme de La Mer sind, die zu Estee Lauder gehören. „Miracle Broth“ nennt sich die Formel auf Basis von Seetang.
Doch seit dem Unfall Mitte der 50er hat sich La Mer zwar zu einer erfolgreichen Kosmetikmarke für Frauen entwickelt, eine spezifische Männerlinie gibt es aber nicht. Den Gang in die Boutique, um dort für mehr als 100 Euro einen Tiegel mit Creme zu kaufen, scheut zumindest eine ausreichend hohe Zahl an Männern. „Unsere Produkte sind unisex und wir bieten in unserer Basislinie Konsistenzen an, die ideal für die Männerhaut sind“, sagt Doris Fuldauer von Estee Lauder.
Dass vieles, was für die Haut von Frauen gut ist, auch für die von Männern die gleiche Wirkung hat, glaubt auch Speick. Trotz der männlichen Aufmachung der Linie Men, seien die Basisprodukte nach wie vor unisex. Das bestätigt auch André Goerner, der in Berlin mit dem Gentlemen's Circle einen Salon für Haar- und Bart- aber eben auch Hautpflege eröffnet hat. "Bei der Auswahl unserer Produkte vernachlässigen wir all zu vordergründig maskuline Präsentation, sondern stimmen uns mit Kosmetikern und Dermatologen ab, was am besten geeignet ist für die Männerhaut", sagt Goerner. Eines bliebe trotz steigender Nachfrage nach Cremes jedoch gleich: "Sie wünschen, dass die Produkte einfach anzuwenden sind, schnell wirken und möglichst in reisetauglichen Größen zu bekommen sind."
Vielleicht sieht auch deswegen Beiersdorfs Edelmarke La Prairie keine Notwendigkeit, eine Männerlinie anzubieten. Anti-Aging-Cremes stehen bei Männern nicht so hoch im Kurs, sind aber das zentrale Thema von La Prairie. Selbstverständlich gäbe es auch männliche Kunden, aber die Entwicklung einer eigenen Linie sei zu aufwändig.
Doris Fuldauer sieht auch aus einem anderen Grund keine Notwendigkeit für eine eigene Männerlinie im sehr hochpreisigen Segment. Viele Männer seien „Co-User“ und nutzten die Creme der Partnerin einfach mit. Da hat der Autor Glück - im Gegensatz zum Kollegen riskiert er nichts außer ein paar Falten.