Power Point Power Point of no return

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Symptomatisch dafür sind alles und nichts sagende Sprechblasen, die eine Präsentation wie die andere klingen lassen: „Kernkompetenzen“, „Marktpotenziale“, „Benchmarks“ werden zu hohlen „Statements“ verquirlt. „Schlechte Texte sind immer schablonenhafte Texte“, sagt der Linguist Rudi Keller von der Universität Düsseldorf, der den Sprachgebrauch in Unternehmen erforscht. Bulletpoints machen blöd, wettert auch der Yale-Emeritus Tufte – den Redner wie den Zuhörer. „Sprechen und Denken sind eins“, formulierte einst der Kulturkritiker Karl Kraus. Wer einen Vortrag in PowerPoint ausarbeitet und in Gliederungspunkte zerhackt, verwirkt die Dramaturgie seiner Rede. In zwei Jahrzehnten bunter Slide-Shows wurde vergessen, dass präsentieren und reden keine Synonyme sind. Ihre Zwecke sind grundverschieden: Während die Präsentation auf dem Bildschirm fertige Ergebnisse liefern soll, lebt die freie Rede vom „Erschaffen eines Ergebnisses“, wie es der Rhetorik-Trainer Matthias Pöhm ausdrückt. Spannung und Interesse lassen sich beim Publikum nur erzeugen, wenn Ideen während des Sprechens entwickelt werden.

Die richtige Reihenfolge lautet dementsprechend: erst den Vortrag entwerfen, dann die PowerPoint-Folien mit unterstützenden Grafiken oder Bildern erstellen. PowerPoint-Bauherr Gaskins hat es vorgemacht: Seinen ursprünglichen Businessplan für das Programm schrieb er auf 53 Seiten nieder. Als er die Höhepunkte daraus vorstellte, beschränkte er sich auf ein Dutzend davon. Um die damit verbundenen Arbeitsschritte und „intellektuellen Anstrengungen“ drücken sich heute allerdings die meisten Anwender, kritisiert Gaskins. Stattdessen versuchen sie, mithilfe von PowerPoint alles in einem Aufwasch zu erledigen: gleichzeitig denken, schreiben und ihre Rede vorbereiten. Ein Grund dafür ist sicher die Angst vieler Menschen vor dem frei gesprochenen Wort. Folien der Reihe nach vorzulesen bringt Sicherheit. Für Zuhörer bedeutet das jedoch leidvolle Déjà-vu-Erlebnisse: Sie hören, was sie schon längst auf der Projektionswand gelesen haben. Zum Glück reift inzwischen unter Fach- und Führungskräften die Erkenntnis, dass Mitarbeiter wie Kunden nicht mürbe ge- » macht, sondern überzeugt werden wollen. Vor ein paar Jahren noch, beobachtet Peter H. Ditko, Leiter der Rednerschule in Bonn, galten 120 Folien für einen 45-minütigen Vortrag als Standard. Jetzt kämen die Manager zu den Rednerkursen, um ohne diese „Vortragskrücken“ laufen zu lernen.

Dass das geht, weiß mittlerweile auch Frederik Herr. In der PR-Branche hatte er beobachtet, wie sich die Wettbewerber bei Kundenterminen mit bis „ins Unermessliche animierten Folien“ zu übertreffen versuchten. Dann stieß der 29-Jährige im Internet auf eine Art Gegenbewegung: Pecha Kucha (Japanisch: „Geplapper“). Danach darf ein Vortrag maximal 20 schlichte Folien umfassen, pro Folie darf der Redner nicht länger als 20 Sekunden sprechen. Die strikte Regel ersannen Architekten des Büros Klein Dytham in Tokio. Denn sie hatten festgestellt, dass derart knapp gehaltene PowerPoint-Vorträge durchaus inspirierend sein können, ja sogar für Abendveranstaltungen taugen. Pecha-Kucha-Nights finden inzwischen über die japanische Metropole hinaus in Los Angeles, London oder Frankfurt statt. In Clubs stellen sich junge Berufstätige dabei gegenseitig ihre Geschäftsideen und Projekte vor. Überall nach demselben Prinzip: Nach sechs Minuten und 40 Sekunden Redezeit ist Schluss. Vor Kurzem besorgte Herr sich die Lizenz der geschützten Idee für Hamburg. Im Schanzen-Viertel trafen sich im August über 100 Leute und hörten zu, wie zum Beispiel St.-Pauli-Kicker Benny Adrion über sein Hilfsprogramm für den Brunnenbau in Westafrika referierte. Ein Erfolg. So plant Herr schon die nächste Pecha-Kucha-Party für den 1. November. Der neue Trend im Nachtleben könnte PowerPoint den Weg in die nächsten zwei Jahrzehnte weisen: unterhaltsame Vorträge mit visueller Unterstützung – und ohne Nebenwirkungen wie geistige Vernebelung oder tödliche Langeweile.

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