Kollege Müller wirft ein: „Im ICE sagen sie seit einer Woche immer: Achten Sie beim Aussteigen auf die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig“ und knipst die Kugelschreibermine rein und raus und rein.
Redaktionsleiterin Schneider: „Alles klar, dann machen wir mit dieser Story auf.“ Es gibt artiges Gelächter, Schneider verändert eilig die Sitzposition und zupft einen Fussel von ihrem Halstuch. Müller kritzelt einen Würfel auf seinen Block.
Wenn man weiß, dass das alles bloß primitiver Instinkt ist, resultierend aus dem Konflikt zwischen „ich sage jetzt was, denn ich finde das wichtig“ und „wenn ich meine Klappe halte, stehe ich weniger im Rampenlicht“, dann wirkt all das Gesagte plötzlich weniger souverän: Der Redner, der sich ständig räuspert, ohne heiser zu sein. Der Talkshow-Gast, der sich bei der Vorstellungsrunde an der Nase reibt. Die Kundin, die sich bei der Bestellung an der Käsetheke am Mundwinkel kratzt. Der Bundesminister, der in einer Bundestagsrede der Opposition hart angegangen wird, dabei müde lächelnd zuhört aber unter dem Tisch unaufhörlich mit dem linken Bein zappelt. Alles uncool.
Deshalb will ich diese Ticks bei mir weghaben. Und beobachte mich selber. Denn wenn, dann will ich sie bewusst einsetzen. Sich etwa beim Grübeln über den Konflikt „Lösung A oder B“ am Kopf zu kratzen, wirkt nicht unsouverän, sondern konzentriert. Sich bei der Fahrkartenkontrolle in der S-Bahn aber das Ohrläppchen zu reiben oder zu gähnen, ist doof, wenn man weiß, woher es kommt.
Diese körperlichen Signale deuten auf eine Lüge hin
Laut den CIA-Agenten Philip Houston, Michael Floyd und Susan Carnicero - Autoren des Buches "Erkenne den Lügner" - gibt es einige körperliche Signale, die helfen, eine Lüge zu enttarnen. Eine häufige Diskrepanz zwischen verbalem und nichtverbalem Verhalten, auf die Sie achten sollten, besteht darin, dass Ihr Gesprächspartner bestätigend nickt, während er gleichzeitig "Nein" sagt, oder umgekehrt: Er sagt "Ja" und schüttelt dabei den Kopf.
Wenn sich jemand die Hand vor den Mund hält, während er eine Frage beantwortet, hat das etwas zu bedeuten. Außerdem neigen wir alle von Natur aus dazu, uns vor der Reaktion eines Menschen abzuschirmen, den wir belügen. Wenn jemand bei der Antwort auf Ihre Frage also seine Augen abschirmt, verrät er damit auf unterbewusster Ebene womöglich, dass er Ihre Reaktion auf die faustdicke Lüge, die er Ihnen gerade erzählt, nicht mitansehen kann.
Wenn jemand sich vor seiner Antwort auf eine Frage räuspert oder deutlich spürbar schluckt, liegt hier womöglich ein Problem vor. Tut er das erst nach seiner Antwort, so brauchen wir uns keine Gedanken darüber zu machen.
Achten Sie auf alles, was Ihr Gegenüber als Reaktion auf Ihre Frage mit seinem Gesicht oder Kopf anstellt. Vielleicht beißt oder leckt er sich die Lippen oder er zieht an seinen Lippen oder Ohren. Oder die betreffende Person ringt die Hände oder reibt sie sich.
Wenn wir nervös sind, zeigt unser Körper das, beispielsweise durch sogenannte "Ankerpunkt"-Bewegungen. Die Ankerpunkte eines Menschen sind jene Körperteile, die ihn an einem bestimmten Punkt oder in einer bestimmten Position verankern. Wenn er steht, sind die Füße seine primären Ankerpunkte. Wer von einem Fuß auf den anderen tritt, gibt so seiner Anspannung ein Ventil. Wenn jemand auf einem Stuhl sitzt, sind die primären Ankerpunkte sein Gesäß, sein Rücken und seine Füße. Rutscht er im Stuhl hin und her oder wippt vor und zurück?
Manche Menschen versuchen ihre Nervosität auch durch Gesten zu vertreiben: Sie streichen oder zupfen an sich selber oder an irgendwelchen Gegenständen in ihrer unmittelbaren Umgebung herum.
Dass jemand schwitzt, ist unerheblich, aber wenn er sich bei seiner Antwort den Schweiß mit einem Taschentuch oder mit der Hand von der Stirn wischt, ist das ein Alarmsignal.
Manchmal räumt jemand, der eine Lüge erzählt, auch plötzlich sein näheres Umfeld auf: Man stellt ihm eine Frage und plötzlich muss das Telefon zurechtgerückt werden, das Glas Wasser steht zu nah oder der Bleistift liegt nicht am richtigen Ort.
Geniale Übungsfläche: der Aufzug. Fahren Sie mit einer fremden Person allein vom Erdgeschoss in den siebten Stock, ohne zu kratzen, zu zupfen, zu reiben, sich zu räuspern, den glatten Schal glatt zu streichen, schon wieder auf die Uhr zu gucken oder zu seufzen. Das ist hart, denn was bleibt einem dann noch? Im Aufzug ist kein Handyempfang. Es bleibt einem auf den ersten Blick nur noch zweierlei:
1. Starren. Entweder auf die Stockwerk-Anzeige des Aufzugs oder auf die fremde Person. Letzteres dürfte allerdings bei der fremden Person ein Feuerwerk von Übersprungshandlungen auslösen.
2. Reden. Ein solches Not-Gespräch kann aber auch ziemlich erbärmlich enden, wie bei mir vor einiger Zeit in einem Aufzug in Myanmar gemeinsam mit einer US-amerikanischen Touristin. Sie fragte mich: „Woher kommen Sie?“ - „Aus Berlin. Und Sie?“ - „Aus Washington.“ - „Ach, schön.“ - „Ja, ich besuche hier eine Freundin, die habe ich mal auf einer Zugreise an der US-Westküste kennengelernt und nun arbeitet sie hier und ich dachte, das ist die Gelegenheit, mal Südostasien kennenzulernen, allerdings habe ich mir auch noch Arbeit mitgebracht, weil meine Freundin muss ja auch arbeiten hier und da dachte ich, ich nutze die Zeit, und Sie?“ - „Ich - sorry, ich muss hier im vierten Stock raus.“
Aber heutzutage gibt es DIE Lösung für jede Fahrstuhl-Fahrt: Kopfhörer. Ich stecke sie mir immer rein, oft sogar ohne angeschlossenes Handy. Dann mache ich meine Augen zu, die fremde Person ist auch erleichtert und so fährt der Lift sanft und leise nach oben - mit zwei Passagieren, aber ohne eine einzige Übersprungshandlung. Ich lasse mich schließlich doch nicht von meiner eigenen Psyche zum Deppen machen.