Werner knallhart

Souveränes Auftreten: Nicht an der Nase kratzen jetzt!

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Alles bloß primitiver Instinkt

Kollege Müller wirft ein: „Im ICE sagen sie seit einer Woche immer: Achten Sie beim Aussteigen auf die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig“ und knipst die Kugelschreibermine rein und raus und rein.

Redaktionsleiterin Schneider: „Alles klar, dann machen wir mit dieser Story auf.“ Es gibt artiges Gelächter, Schneider verändert eilig die Sitzposition und zupft einen Fussel von ihrem Halstuch. Müller kritzelt einen Würfel auf seinen Block.

Gesten, die im Ausland unbeliebt machen
A young France's fan with the face painted in national flag colors shows victory sign as he waits for the start of the Group D Euro 2012 soccer match against Sweden Quelle: REUTERS
Nicole (8) streckt am Dienstag (21.06.2005) in einem Freibad in Gelsenkirchen dem Fotografen die Zunge heraus. Quelle: dpa/dpaweb
Der deutsche Tennisspieler Tommy Haas zeigt am Sonntag (17.06.2012) bei den Gerry Weber Open in Halle (Westfalen) im Finale gegen den Schweizer Federer mit dem Zeigefinger zur Seite. Quelle: dpa
Mann mit der Hand am Hals Quelle: Fotolia
A newly commissioned second lieutenant gives a thumbs up at the Air Force Academy Quelle: REUTERS
A fan wearing a mask gives the thumbs up as he enters the venue of the concert of US singer Madonna Quelle: dpa
Köchin zeigt mit ihren Händen "okay" Quelle: Fotolia

Wenn man weiß, dass das alles bloß primitiver Instinkt ist, resultierend aus dem Konflikt zwischen „ich sage jetzt was, denn ich finde das wichtig“ und „wenn ich meine Klappe halte, stehe ich weniger im Rampenlicht“, dann wirkt all das Gesagte plötzlich weniger souverän: Der Redner, der sich ständig räuspert, ohne heiser zu sein. Der Talkshow-Gast, der sich bei der Vorstellungsrunde an der Nase reibt. Die Kundin, die sich bei der Bestellung an der Käsetheke am Mundwinkel kratzt. Der Bundesminister, der in einer Bundestagsrede der Opposition hart angegangen wird, dabei müde lächelnd zuhört aber unter dem Tisch unaufhörlich mit dem linken Bein zappelt. Alles uncool.

Deshalb will ich diese Ticks bei mir weghaben. Und beobachte mich selber. Denn wenn, dann will ich sie bewusst einsetzen. Sich etwa beim Grübeln über den Konflikt „Lösung A oder B“ am Kopf zu kratzen, wirkt nicht unsouverän, sondern konzentriert. Sich bei der Fahrkartenkontrolle in der S-Bahn aber das Ohrläppchen zu reiben oder zu gähnen, ist doof, wenn man weiß, woher es kommt.

Diese körperlichen Signale deuten auf eine Lüge hin

Geniale Übungsfläche: der Aufzug. Fahren Sie mit einer fremden Person allein vom Erdgeschoss in den siebten Stock, ohne zu kratzen, zu zupfen, zu reiben, sich zu räuspern, den glatten Schal glatt zu streichen, schon wieder auf die Uhr zu gucken oder zu seufzen. Das ist hart, denn was bleibt einem dann noch? Im Aufzug ist kein Handyempfang. Es bleibt einem auf den ersten Blick nur noch zweierlei:

1. Starren. Entweder auf die Stockwerk-Anzeige des Aufzugs oder auf die fremde Person. Letzteres dürfte allerdings bei der fremden Person ein Feuerwerk von Übersprungshandlungen auslösen.

2. Reden. Ein solches Not-Gespräch kann aber auch ziemlich erbärmlich enden, wie bei mir vor einiger Zeit in einem Aufzug in Myanmar gemeinsam mit einer US-amerikanischen Touristin. Sie fragte mich: „Woher kommen Sie?“ - „Aus Berlin. Und Sie?“ - „Aus Washington.“ - „Ach, schön.“ - „Ja, ich besuche hier eine Freundin, die habe ich mal auf einer Zugreise an der US-Westküste kennengelernt und nun arbeitet sie hier und ich dachte, das ist die Gelegenheit, mal Südostasien kennenzulernen, allerdings habe ich mir auch noch Arbeit mitgebracht, weil meine Freundin muss ja auch arbeiten hier und da dachte ich, ich nutze die Zeit, und Sie?“ - „Ich - sorry, ich muss hier im vierten Stock raus.“

Aber heutzutage gibt es DIE Lösung für jede Fahrstuhl-Fahrt: Kopfhörer. Ich stecke sie mir immer rein, oft sogar ohne angeschlossenes Handy. Dann mache ich meine Augen zu, die fremde Person ist auch erleichtert und so fährt der Lift sanft und leise nach oben - mit zwei Passagieren, aber ohne eine einzige Übersprungshandlung. Ich lasse mich schließlich doch nicht von meiner eigenen Psyche zum Deppen machen.

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