WirtschaftsWoche: Herr Fehr, Sie haben mal gesagt, dass Top-Entscheider ungeduldiger sind als andere. Heißt das, dass geduldige Menschen es zu nichts bringen?
Gerhard Fehr: Nein, ganz im Gegenteil. Im Durchschnitt sind die Geduldspräferenzen des Top-Managements, aber auch des Managements sehr gut. In diesem Fall hatten wir ausnahmsweise jemanden erwischt, der strategisch ungeduldig war.
Was soll das denn bedeuten?
Dass eine Person im Rahmen ihrer Entscheidungen die systematische Tendenz aufweist, sich heute für weniger zu entscheiden als für mehr in der Zukunft.
Ich kann also im beruflichen Umfeld durchaus geduldig sein - und trotzdem schnell ausflippen, wenn es im Supermarkt an der Kasse nicht schnell genug geht?
Genau. Jeder von uns ist am Abend ungeduldiger als am Morgen. Psychologen sprechen hier von "ego depletion". Die Geduld nimmt im Laufe des Tages ab.
Woran liegt das?
Wenn wir müde werden, fällt es dem entsprechenden Gehirnzentrum viel schwerer, die dafür notwendige Impulskontrolle walten zu lassen. Wir wissen aus verhaltensökonomischen Studien, dass Richter am Morgen erheblich weniger Schuldsprüche fällen als am Nachmittag.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
Gibt es äußere Faktoren, die unsere Geduld beeinflussen?
Nehmen wir als Beispiel die Marketing- oder Werbeindustrie. Sie versucht, regelmäßig unsere Geduldspräferenzen zu strapazieren. Im Grunde geht es immer um das Spannungsfeld „sofortige Befriedigung“ – also „instant gratification“ – versus Befriedigungsaufschub.
Die Industrie will einen Kaufanreiz schaffen.
Exakt. Kreditkarten sind ein hübsches Beispiel. Die strapazieren unsere Geduld, weil wir unsere Wünsche sofort erfüllen können.
Kann man denn sagen, dass Geduld der Schlüssel zum Erfolg im Leben ist?
Es gibt durchaus ein wichtiges Ursache-Wirkungsprinzip. Menschen, die im Schnitt geduldiger sind, haben eher höhere Lebenseinkommen, sind besser in der Schule und seltener arbeitslos. Sie zeigen weniger Suchtverhalten, sind seltener fettleibig, gesünder und weniger kriminell.
Trotzdem wird Geduld indirekt als etwas Negatives verkauft: Wer mit 35 noch kein Topmanager ist, wird das Ziel auch nicht mehr erreichen.
Wir haben bei mehr als 20.000 Menschen im deutschsprachigen Raum die Geduld gemessen und konnten dabei zwei sehr interessante Erkenntnisse gewinnen. Zuerst einmal sind die Geduldspräferenzen von Menschen sehr heterogen verteilt – von außerordentlich geduldig bis sehr ungeduldig. Zweitens besitzen Menschen im Schnitt eher schlechte Geduldspräferenzen. Daraus kann man schließen, dass nicht nur die Gesellschaft, Institutionen oder Märkte einen Druck zur Kurzfristigkeit aufbauen, sondern dass die Menschen generell, ohne äußeren Druck, sehr anfällig sind, der Kurzfristigkeit zu erliegen. Gesellschaftliche Trends und institutionelle Rahmenbedingungen verstärken jedoch das Kurzfristdenken noch. Die Impulskontrolle im Job, im Konsum, im Privaten oder in der Ausbildung ist heutzutage durch viele äußere Einflüsse schwerer als noch vor 30 Jahren. Mit dem mobilen Internet können wir eigentlich fast 24 Stunden am Tag in Versuchung geführt werden, unsere Bedürfnisse sofort zu befriedigen. Das macht müde und ungeduldig.