Wenn die Telekom-Aktionäre in der Lanxess Arena in Köln am 24. Mai unter Tagesordnungspunkt zwei einer Dividende von 70 Cent zustimmen, dürfte sich ihre Freude darüber in Grenzen halten. Zwar zahlt der magentafarbene Dax-Konzern damit stolze 8,2 Prozent Dividendenrendite, die T-Aktie hat allerdings auch innerhalb eines Jahres fast ein Viertel an Wert verloren.
Ein Grund: Vorstandschef René Obermann schüttet für das vergangene Jahr mehr Geld aus, als die Deutsche Telekom 2011 als Gewinn eingenommen hat. Wie lang diese schon traditionelle Bedienung der Dividende aus der Substanz noch gut geht, weiß niemand. Genau genommen zahlt der Konzern eigentlich Kapital zurück. Vergangene Woche forderten Großinvestoren deshalb, Obermann sollte die Ausschüttung kürzen und das gesparte Geld lieber in Zukunftstechnik investieren.
Verzerrtes Bild
Doch die hohe Ausschüttung hat einen schönen Nebeneffekt für Obermann: Es ist gut möglich, dass der Kurs der Aktie vor der Hauptversammlung anzieht. „Einige Anleger setzen darauf, dass eine Aktie im Vorfeld steigt, sie wollen die Dividende kassieren und die Aktie dann wieder abstoßen“, sagt DWS-Fondsmanager Thomas Schüssler, der den größten Dividendenfonds in Deutschland verwaltet. In der Regel schütten deutsche Aktiengesellschaften ihre Gewinne einmal im Jahr am ersten Börsenhandelstag nach der Versammlung aus. Der Tag heißt deshalb auch Ex-Tag, ex Dividende, also ohne Dividende. Früher trennten die Aktionäre vom Kuponbogen einen Abschnitt ab und lösten diesen ein.
An dem Stichtag notiert die Aktie mit einem Abschlag. Der ist in der Theorie so groß wie die gezahlte Dividende. Doch andere Faktoren verzerren das Bild. Der Kurs kommt letztlich wie immer durch Angebot und Nachfrage zustande. „Den Abschlag nehmen diese Dividendenjäger dann in Kauf“, meint Schüssler.
Ein vielversprechendes Jahr
2012 lohnt sich die Jagd auf die Dividenden besonders: Nur im Rekordjahr 2008 schütteten die Dax-Konzerne mehr aus. In diesem Jahr sind es nach Berechnungen von Ernst & Young 27,5 Milliarden Euro, knapp ein Prozent weniger als 2008. „Das vergangene Jahr war für viele Unternehmen das beste in ihrer Geschichte“, sagt Thomas Harms, Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Und an diesem Erfolg haben nun die Aktionäre teil: 19 Unternehmen erhöhen ihre Dividende, nur Lufthansa und die gebeutelten Versorger E.On und RWE haben reduziert. Die Commerzbank zahlt seit der Teilverstaatlichung 2009 keine Dividende mehr.
Für konservative Anleger sind Aktien ohne Dividende meist wenig attraktiv. Die Ausschüttung bekommen sie in bar. Wie sinnvoll das Management die Gewinne einsetzt, die im Unternehmen verbleiben, ist dagegen offen. Seine Investition über Jahre verzinst und stückweise zurückzubekommen reduziert das Risiko.
Im Schnitt liegt die Dividendenrendite der Dax-Titel bei 3,2 Prozent, nach Indexanteilen gewichtet bei 3,6 Prozent. Die Nebenwerte aus dem SDax rentieren im gewichteten Mittel mit 2,4 Prozent, Technologieaktien aus dem TecDax mit 2,0 und die mittelgroßen MDax-Titel mit 1,9 Prozent. Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit, die aktuell 1,7 Prozent Rendite bringen, sind da keine wirkliche Alternative.
Abschlag wettmachen
Oft holen Aktien den Kursabschlag nach der Dividendenzahlung schnell wieder auf. In den drei Jahren seit 2007, in denen der Dax mit Plus schloss, brauchte eine Dax-Aktie im Schnitt 16 Börsentage, um den Kursabschlag wettzumachen. Das Problem: In allgemein schlechteren Börsenphasen, in diesem Fall in 2008 und 2011, dauerte die Aufholjagd mindestens doppelt so lange. Einige Titel konnten den Schlusskurs vor dem Ex-Tag gar nicht mehr erreichen. So auch die T-Aktie 2011: Vor der Dividendenzahlung kostete sie 11,32 Euro – diese Marke hat sie nie wieder erreicht. Nach der Hauptversammlung ist eben nicht vor der Hauptversammlung.
Von einer einmalig schönen Dividende haben Anleger wenig. Sie profitieren vielmehr bei Unternehmen, die bewiesen haben, dass sie ihre Ausschüttungen stetig halten oder gar steigern können. „Ist die Dividende nachhaltig, holt ein Unternehmen den Kursabschlag schneller wieder auf“, hat Fondsmanager Schüssler beobachtet. Schließlich stimme dann in der Regel auch der Gesamtausblick für das Unternehmen. Dividendenexperten wie er achten neben der Dividendenrendite verstärkt auch auf die Ausschüttungsquote – 50 Prozent des Gewinns sind angemessen – und das Dividendenwachstum.
Warnsignal
Der Begehrlichkeit sind allerdings Grenzen gesetzt. „Eine Dividendenrendite von mehr als sechs Prozent ist ein Warnsignal und stellt die Nachhaltigkeit der Zahlung infrage“, sagt Schüssler. Die Rendite ist umso höher, je niedriger der Kurs ist. Eine sehr hohe Dividendenrendite weisen vor allem Aktien auf, deren Kurse stark gefallen sind. Nur wenn der Markt diese Aktien also völlig falsch einschätzt, ist die hohe Rendite ein Kaufsignal. Weil die Börse Aktien auf längere Sicht meist nicht zu Unrecht abstraft, wählt Alexandra Annecke, Fondsmanagerin bei Union Investment, deshalb nur Titel mit einer Dividendenrendite zwischen drei und sechs Prozent. Dividenden-Anlegern geht Vorsicht über alles: „In der Regel sind Unternehmen mit hohen Dividenden reifere Unternehmen, deren Pleiterisiko ist meist geringer“, sagt Annecke.
Über einen Kamm scheren mit sicheren Anleihen zahlungskräftiger Schuldner sollte man Dividendenaktien dennoch nicht. „Es gibt keine Garantie für eine Dividende in der Zukunft“, warnt die Fondsmanagerin. Umso wichtiger ist es, dass die Dividende nicht aus dem Kapital, sondern aus dem laufenden Ertrag gezahlt wird.
Reiche Beute
Viel zu holen gibt es in der diesjährigen Dividendensaison etwa bei der Walldorfer Softwareschmiede SAP. Sie zahlt neben der regulären Dividende von 75 Cent noch eine Sonderdividende von 35 Cent – als Geschenk an die Aktionäre zum 40-jährigen Bestehen des Konzerns. Die Deutsche Börse will ihre Aktionäre nach dem Scheitern der Fusion mit der NYSE mit einer zusätzlichen Dividende von einem Euro bei der Stange halten. Insgesamt schüttet der Konzern 3,30 Euro aus – 57 Prozent mehr als 2011. Und BMW plant, seinen Aktionären nach einem Rekordjahr nun auch eine Rekorddividende zu zahlen. 2,30 Euro gibt es – einen Euro mehr als im Vorjahr.
BMW und SAP gehören zu den Titeln, die in den vergangenen fünf Jahren ihren Kursabschlag nach der Dividendenzahlung wieder relativ fix aufholen konnten. Wenn ein Aktionär seine Bardividende nicht reinvestiert, sondern verkonsumiert hat, erzielte er mit BMW-Titeln seit 2007 ein Plus von 73,1 Prozent, mit SAP-Papieren 32,6 Prozent.
Erschreckend ist dagegen das Bild des Dividendenstars T-Aktie. Bilanziert der Aktionär sein Investment seit 2007, so steht er heute mit 6,8 Prozent Verlust da. Alle Dividendenzahlungen seit dem Börsengang 1996 von insgesamt 5,42 Euro je Aktie berücksichtigt, taxiert die Börse die Volksaktie heute immer noch knapp drei Euro unter dem damaligen Ausgabepreis.
Vielversprechende Dividendentitel sind dagegen BASF, BMW und die Deutsche Post. Mit ein paar Abstrichen sind auch Allianz und Metro interessant. Ein Korb aus diesen fünf Papieren sollte deutlich besser als der Dax abschneiden. Aus dem MDax sind Douglas, Leoni, Rheinmetall, Wacker Chemie und Wincor Nixdorf dividendenstark und noch attraktiv bewertet.
Fondsmanager schwören auf wenig konjunkturabhängige Klassiker wie Nestlé, Unilever, McDonald’s oder Philip Morris. Konsumgüter haben immer Konjunktur. „Bei Nestlé wächst die Dividende jedes Jahr – berechenbar wie ein Schweizer Uhrwerk“, sagt Fondsmanagerin Annecke.
Geheimnis des Erfolgs
„Die Dividende ist ein wichtiger Bestandteil des Gesamterfolgs“, so Annecke. Sie macht etwa 50 Prozent der gesamten Wertentwicklung aus: Seit 1988 legte der Dax inklusive Dividenden rund 643 Prozent zu. Rechnet man die Dividenden allerdings heraus, so liegt der reine Kursanstieg bei 319 Prozent. Kein Wunder also, dass sich Dividendenfonds, -zertifikate und -strategien großer Beliebtheit erfreuen. Die Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka hat allein in den ersten drei Monaten des Jahres mit zwei Dividendenfonds 10,6 Millionen Euro eingesammelt, während aus den Deka-Aktienfonds rund 390 Millionen Euro abgeflossen sind. „Dividendenfonds profitieren vom niedrigen Zinsniveau“, heißt es bei der Deka. Anleger vergleichen die Dividendenrenditen mit denen von Anleihen und Tagesgeld und wagen dann ein Aktienengagement mit angezogener Handbremse. In reinen Dividendenzertifikaten stecken hierzulande 700 Millionen Euro, rund 80 Prozent davon beruhen auf den Dividendenaktien-Indizes EuroStoxx Select Dividend 30 und DivDax.
Der DivDax umfasst die 15 dividendenstärksten Titel aus dem Dax. Die Börse setzt ihn in jedem Jahr im September neu zusammen. Über einen längeren Zeitraum fahren Anleger damit gut, auf die Titel mit der höchsten Dividendenrendite zu setzten. Kurz- und mittelfristig hat dieses sehr starre Vorgehen jedoch Schwachstellen.
Ausgefeilte Strategien
„Wann wird so ein Index aus der Taufe gehoben?“, fragt ein Brancheninsider und gibt selbst die Antwort: „Wenn er sich zuletzt super entwickelt hat.“ Anleger, die stur an dem einseitig gestrickten Dividendenindex festhielten, liefen in die Falle: Denn mit der Finanzkrise kamen die Finanzwerte unter Druck und mit ihnen der DivDax, der bis dato viele Finanztitel enthielt. Wer 2005 auf den DivDax setzte, erzielte bis heute jährlich ein Plus von vier Prozent, wer auf den klassischen Dax wettete, gewann dagegen 5,1 Prozent. Besser lief es langfristiger, etwa von 1999 an: Der DivDax schaffte bis heute pro Jahr 4,9 Prozent, der Dax nur 2,4 Prozent.
Der DivDax geht auf die Strategie „Dogs of the Dow“ zurück. Nach der Strategie kaufen Anleger die zehn Aktien mit der höchsten Dividendenrendite aus dem Dow-Jones-Index. Der US-Analyst Michael O’Higgins wählte aus den zehn Werten diejenigen mit dem niedrigsten absoluten Kurs aus. Rational gibt es dafür keinen Grund, doch diese Aktien entwickelten sich über Jahre noch einmal besser, vermutlich vor allem deshalb, weil Anleger eher kaufen, wenn sie für eine Aktie einen relativ kleinen absoluten Betrag in die Hand nehmen müssen.
Psychologische Komponente
Noch ausgefeilter sind einige spezielle Dividendenstrategien. So kann es Sinn machen, Aktien von Unternehmen zu kaufen, bei denen wenige Großaktionäre das Sagen haben. Familienaktionäre drängen, wenn sie die Aktien langfristig halten und deshalb keine Einnahmen aus Verkäufen haben, auf eine beständige und hohe Dividende – oder zumindest auf eine Art jährliche Garantiedividende. Beispiele sind im Dax BMW (Familie Quandt) oder Metro (Familien Haniel, Schmidt-Ruthenbeck und Beisheim) und im MDax etwa der Optiker Fielmann, an dem die Gründerfamilie 71 Prozent der Anteile hält (3,3 Prozent Dividendenrendite). Auch Finanzinvestoren quetschen gern möglichst viel Dividende aus Unternehmen, so etwa Permira, die 88 Prozent der Stamm- und 42 Prozent der Vorzugsaktien von Hugo Boss halten (3,4 Prozent Dividendenrendite).
Generell läuft bei Unternehmen die Dividendenentwicklung „stabiler als die der Gewinne“, so die Analysten von ING Investment. Die Kurse von Dividendentiteln entwickeln sich weniger erratisch. In der Doppelcrash-Dekade (New-Economy-Crash und Lehman-Pleite) 2000 bis 2009 haben Aktien mit hoher Dividendenrendite laut einer Studie der DWS 30 Prozent weniger stark geschwankt als die Börsen insgesamt.
Nicht zu unterschätzen ist schließlich die psychologische Komponente: Wenn Kurse fallen, bleibt dem Aktionär immer noch die Dividende als Ertragsquelle, er verliert also nicht so schnell die Nerven wie andere Aktionäre. Das zahlt sich meist aus. Ausnahmen wie die T-Aktie bestätigen die Regel.