Was ist aus den einst fast als risikolos geltenden Aktien der großen Energieversorger nur geworden? Die Lieblingsanlagen für Witwen und Waisen mit scheinbar sicherer Dividendenrendite gehören zu den desaströsen Geldanlagen der letzten Jahre. Die Situation ist dramatisch.
Im Dezember 2007 notierten RWE-Papiere bei 95 Euro im Höchstkurs. Seitdem geht es schrittweise bergab. Heute notiert die Aktie bei etwa zehn Euro. In der gleichen Zeit wurde die jährliche Ausschüttung an die Aktionäre von 3,50 Euro pro Aktie auf einen Euro pro Aktie im vergangenen Jahr nach und nach gekürzt. Ähnlich sieht es bei E.On (der früheren VEBA) aus. Der Kurs erreichte im Dezember 2007 ein Hoch von 46 Euro und ist nun bei etwa acht Euro pro Aktie angekommen. Die Dividende ging von 1,12 Euro 2007 auf 0,50 Euro pro Aktie 2015 zurück.
Zur Person
Nach einer Industriekarriere ist Elsässer seit 1998 selbständiger Value Investor und gründete vor dreizehn Jahren den Value Fonds "ME Fonds - Special Values“ (www.aqualutum.de). Elsässer wuchs in London, Hongkong und Paris auf. Nach Banklehre und Wirtschaftsstudium in Köln arbeitete er in einer Wirtschaftsprüfungs-Sozietät, als Finanzdirektor bei Dow Chemical Deutschland, in Sydney für Benckiser und in Singapur für die Storck Gruppe. Darüber hinaus arbeitete er einige Jahre eng mit dem New Yorker Investor Guy Wyser-Pratte zusammen, mit dem er unter anderem 2001 gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall zu Felde zog. Im Jahr 2012 gründete er mit dem Profifußballer Simon Rolfes das Sport-Management Unternehmen Rolfes & Elsässer - The Career Company.
Der Vergleich dieser Dividendentalfahrt mit der Entwicklung anderer Industrieunternehmen macht deutlich, wie sehr die RWE- und E.On-Aktionäre gelitten haben. Die Linde AG zahlte in 2007 eine Dividende in Höhe von 1,50 Euro pro Aktie. Im vergangenen Jahr erhielten die Aktionäre 3,15 Euro. Bei Nestle lag die Dividendenhöhe im Jahr 2007 bei 1,04 Schweizer Franken, gegenüber 2,20 Schweizer Franken je Aktie 2015.
"Dividendenfalle"
Das Ganze hat tragische Züge. Zaghaften Investoren, Stiftungen, allen denjenigen, die besonderen Wert darauf legten, wenig Risiko an der Börse einzugehen, wurden in der Vergangenheit häufig RWE oder E.On-Papiere zum Kauf empfohlen - wegen ihrer Dividendenstärke. Weitere wirtschaftliche Überlegungen wurden meistens nicht angestellt. „Da kann ja nicht viel passieren, Strom wird immer gebraucht“, lauteten die Argumente. Wir haben es hier mit dem typischen Phänomen einer „Dividendenfalle“ zu tun. Vor einer Investitionsentscheidung sollte sich der Geldanleger nicht auf die Dividende alleine verlassen, sondern sich ein Bild von den wirtschaftlichen Ertragsaussichten machen. Denn aus denen wird die Dividende gespeist.
Der Abwärtstrend der Energieversorger hat also schon lange vor der Atomabschaltung begonnen. Die Werthaltigkeit der Anlageklasse „Energieversorger“ befindet sich in einem lang anhaltenden Sinkflug. Zur Beurteilung der Zukunft ist eine kurze Standortbestimmung nötig.
Im historischen Rückblick haben die Energieversorger ihren großen Aufschwung in den Wirtschaftswunderjahren nach dem zweiten Weltkrieg genommen. Mit dem systematischen Aufbau einer modernen, flächendeckenden Stromversorgung haben sie wesentlich zum Wirtschaftserfolg der Bundesrepublik Deutschland beigetragen. Und gleichzeitig haben sie von der Expansion profitiert wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig.
Zusammen mit dem immer grösser werdenden Erfolg setzte aber schon bald eine Fehlentwicklung ein. Aus den klassischen Strom- und Energiedienstleistern (eben: dem „Versorgern“) wurden Wirtschaftskolosse. Mit byzantinischen Organisations- und Holdingstrukturen entstanden Konglomerate, die weit über das Energiegeschäft hinaus tätig wurden. So war RWE beispielsweise im Jahr 2001 Großaktionär bei Heidelberger Druckmaschinen und dem Baukonzern Hochtief AG. Tankstellennetze wurden gekauft, ebenso wie eine führende Wassergesellschaft in Großbritannien (Thames Water Plc). Gärtnereibetriebe wurden unterhalten und vieles mehr. Aus eher monotonen Vorstandstätigkeiten wurden spannende Top-Manager-Existenzen. Einen großen Teil der Vorstandszeit konnte man nun außerhalb des „Strombetriebs“ in zahlreichen Aufsichtsratsmandaten verbringen. Die Energievorstände waren ein integraler Bestandteil des Netzwerks der alten „Deutschland AG“.
Schwerfälliges Modell
Zum System gehörte der Aufbau großer Aufsichts- und Beiratsgremien. So unterhält RWE traditionell Regionalbeiräte mit über 100 Mandatsträgern. Viele Beiräte werden dabei aus dem Kreis der Kommunen gewonnen (Landräte, Oberbürgermeister und andere politische Figuren. Ein Blick in die Listen lohnt sich). Das Resultat ist eine sehr eigene Mischung aus Managern, Gewerkschaftsvertretern und Funktionären mit politischem Background. Ein kostenträchtiges, eher schwerfälliges Business Modell, welches sich mit den Anforderungen der heutigen Zeit schwer tut.
Die Zeit des Aufbaus von Wirtschaftsimperien, letztlich finanziert auf dem Rücken und auf Kosten der Stromverbraucher, ist vorbei. Auch die Substanz von einst ist mehr oder minder dahin. Der RWE Konzern hat heute eine Marktkapitalisierung von gerade mal etwa sechs bis sieben Milliarden Euro. E.On wird mit etwa 16 Milliarden Euro an der Börse bewertet.
Vieles spricht dafür, die Rolle der Energieversorger grundsätzlich neu zu überdenken. Aufspaltungen in verschiedene Bereiche und ähnliche Pläne treffen meiner Ansicht nach nicht den eigentlichen Punkt. Heute geht es darum, den Wirtschaftsstandort Deutschland optimal und so kostengünstig wie möglich mit Energie zu versorgen. Dabei müssen gesellschaftspolitische Anliegen, wie Umweltschutz und erneuerbare Energiequellen, gleichermaßen mit reinen wirtschaftsstrategischen Standortüberlegungen unter einen Hut gebracht werden. Das Mandat einer börsengelisteten Aktiengesellschaft lautet aber anders. Hier geht es um ein freies kaufmännisches, erfolgreiches Handeln, zum Wohl der Aktionäre im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft. Das Ziel eines börsengelisteten Unternehmens ist die dauerhafte Gewinnsteigerung und langfristige Stärkung der anvertrauten Substanz, bei Wahrung der Interessen aller Stakeholder.
Es passt nicht mehr in die heutige Zeit, Anteilseigner an einem Energieversorger dauerhaft zu „bereichern“, auf Kosten der Allgemeinheit. Die Vorstände der Energieversorger können sich angesichts der politischen Eingriffe unmöglich treusorgend für das Kapital der Anteilseigner einsetzen.
So seltsam es aus dem Munde eines Börsen-Value-Investors klingen mag: In dieser Gesamt-Konstellation macht aus meiner Sicht eine Börsennotiz keinen Sinn. Es wäre eine Überlegung wert, die großen Energieversorger, wie RWE und E.On, in Staatsbesitz zu überführen. Die Aktionäre erhalten Abfindungsangebote, was bei den niedrigen Marktkapitalisierungen für den Staat leicht zu finanzieren wäre.
Zurück zum Staat?
Hier könnte ich mir zwei Varianten vorstellen: Wahlweise erhielte der Aktionär eine Barabfindung oder einen bevorrechtigten Bezug von festverzinslichen Energieversorger-Anleihen. Das würde Sinn machen. Denn die Energieversorger mit staatlicher Absicherung wären ideale Anleihenschuldner, die schadlos einen festen jährlichen Zins zur Finanzierung erwirtschaften können. Den Geldanlegern wäre damit mehr gedient. Die Anforderung stetig steigender Dividenden und eines Wertzuwachs seitens privater Aktionäre sehe ich auf Dauer nicht gesichert.
Der Anleihen-Kurszettel am Bonds-Markt würde also um einige sichere Obligationen reicher.
Und was das Organisatorische angeht, so wäre denkbar, kompliziert und teuer strukturierte Aktienkonglomerate Schritt für Schritt in einfach organisierte Dienstleister mit Behördencharakter zu transformieren. In einem solchen Szenario würde ich die Energieversorgungswirtschaft auf eine Stufe mit der Polizeiorganisation eines Landes stellen. Kein Investor käme auf die Idee, die Polizei an die Börse zu bringen. Wir sind in einem Zeitalter angekommen, wo die Absicherung wichtiger nationaler Grundbedürfnisse über kaufmännische Belange gestellt werden sollten.
Dies mag vermessen klingen, ist aber in der Marktwirtschaft nichts Neues. An der Börse ist das immer schon so gewesen. Für die einen bricht der Frühling an, für die anderen gehen die Lichter aus und sie verschwinden vom Kurszettel.