Die Sommermonate liegen vor uns, da sollten Hausbesitzer besser schon an den Winter denken. So wie Gerhard Schulz. Der Eigentümer einer Doppelhaushälfte in einer kleinen Gemeinde am Niederrhein schaut jeden Tag in die Zeitung und prüft den Preis für Heizöl. „Ich weiß einfach nicht, ob ich jetzt schon Öl kaufen soll. Der Preis für Rohöl ist schon stark gefallen, aber vielleicht fällt er ja noch weiter“, sagt er. Sein Problem: Er kann die Preisbewegungen und Trends nicht so recht nachvollziehen. Also schlägt er weiter jeden Tag die Zeitung auf.
Jahrzehntelang galt für Schulz wie für Zigtausende andere Haushalte, dass Heizöl in den Sommermonaten wegen der geringeren Nachfrage am billigsten ist. Also wurde der Tank vollgetankt. Doch mit Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise 2008 lösten sich die Rohstoffmärkte von diesem einfachen Mechanismus. Seitdem haben Krisenängste, Energieknappheit, Umwelt- und Weltpolitik den größeren Einfluss auf die Preise.
Vergangene Woche war es soweit: Brentöl notierte nur noch bei 98 Dollar für das Barrel (158 Liter), das leichtere WTI-Öl bei nur noch 82 Dollar für das Barrel – und markierte damit die längsten Preisrückgänge auf Wochenbasis seit 13 Jahren. Zum Beginn dieser Woche ging es dann nochmal abwärts. Noch im März war der Preis für das Fass Brentöl auf 126 Dollar geklettert, WTi kostete 110 Dollar. Der Kursrutsch seit März ist natürlich keine Laune der Rohstoffbörsen: Die Gründe liegen vor allem im Iran, Irak, Libyen und den arabischen Förderländern sowie in der Abschwächung der Konjunktur in China und den USA.
Faktoren der Rohstoffschwäche
Seit Februar oder März fallen die Rohstoffpreise an den Börsen auf breiter Front. Das gilt für das Energiesegment mit Öl und Gas ebenso wie für Agrarrohstoffe und Industriemetalle. Hauptverantwortlich für die massiven Preisrückgänge sind vor allem drei Faktoren:
Die Euro-Krise
Noch immer schwebt der mögliche Zusammenbruch der Euro-Währungsunion wie ein Damoklesschwert über allen Märkten. Das sorgt für eine generelle Risikoaversion bei Anlegern. Zudem bleibt ein Risiko global fallender Nachfrage, sollte die Euro-Krise eskalieren. Vor allem aber sorgt die Euro-Krise für einen Stärkung des Dollar. Da die meisten Rohstoffe in Dollar an den Börsen gehandelt werden, sorgt die Stärke der US-Währung für tendenziell sinkende Rohstoffpreise aus Nicht-Dollar-Ländern.
Der Konjunkturrückgang in China
Die Konjunkturlokomotive der Welt verlangsamt ihre Fahrt. Da China nicht nur einer der weltweit größten Rohstoffproduzenten sondern Rohstoffverbraucher ist, bewirkt eine Konjunktureintrübung im Reich der Mitte unmittelbar einen Nachfrageausfall auf dem Rohstoffmarkt.
Die Konjunkturabkühlung in den USA
Die größte Volkswirtschaft der Welt hat einen gewaltigen Energie- und Rohstoffhunger. Aber die USA kommen nicht so recht zurück auf die Erfolgsspur. Nachdem alle Anzeichen schon auf einen Aufschwung hindeuteten, verunsicherten zuletzt überraschend schwache Zahlen vom US-Arbeitsmarkt. Die Gefahr, dass der Aufschwung ausfällt, ist wieder gestiegen.
Gefahr Konjunktureintrübung in China
Nach Einschätzung des Rohstoffexperten Eugen Weinberg von der Commerzbank geht die größte Gefahr für die Rohstoffmärkte von China aus. Was an Zahlen und Prognosen zu Chinas Wirtschaft verfügbar ist, hat zwar längst seine Berücksichtigung in den Rohstoffpreisen gefunden, aber ein Restrisiko bleibt. Für Chinas Wirtschaft könnte es weiter abwärts gehen. „Von dem prognostizierten Konjunkturrückgang haben wir bis jetzt noch nichts gesehen. Die Zahlen für Mai haben im Gegenteil nochmal positiv überrascht. Der Import von Industriemetallen ist sogar nochmal gestiegen“, sagt Weinberg.
Irrelevante Euro-Krise drückt die Preise
Die Sorge, die die Rohstoffmärkte derzeit fest im Griff hat, ist die Euro-Krise. Dabei spielen nicht die Fundamentaldaten sondern die Psychologie die entscheidende Rolle. „Was die Rohstoffnachfrage angeht, ist die Euro-Zone auf den wichtigen Rohstoffmärkten eigentlich irrelevant“, sagt der Commerzbank-Experte. Ein Beispiel: Die Nachfrage nach Industriemetallen aus den Euro-Ländern entspricht zehn bis 15 Prozent der globalen Nachfrage. China steht hingegen für 40 bis 50 Prozent des Industriemetallbedarfs.
Angesichts der Euro-Krise sind Preisrückgänge bei vielen Rohstoffen übertrieben. Aus der Erfahrung ist jedoch auch noch eine kräftige Bereinigung – also eine noch stärkere Übertreibung nach unten – denkbar. Und sie wäre vielleicht sogar hilfreich. Denn während ausgehend von den Wirtschaftsdaten eigentlich Entwarnung gegeben werden darf, ist die Situation psychologisch angespannt. Wenn die Marktakteure kapitulieren und die Kurse nochmal kräftig nachgegeben haben, wäre der Markt für eine Erholung bereit.
Industriemetalle zu billig
Dass die Preisabschläge der vergangenen Monate übertrieben waren, lässt sich vor allem an Industriemetallen ablesen. „Aluminium, Zink, Nickel und Blei notieren allesamt unterhalb ihrer Grenzproduktionskosten“, erklärt Rohstoffexperte Eugen Weinberg. Anders gesagt: zum aktuellen Preis lohnt die Förderung und Produktion dieser Rohstoffe für die Rohstoffkonzerne nicht.
Darunter leiden die Konzerne, die diese Rohstoffe produzieren, empfindlich. Aktionäre der Konzerne BHP Billiton Rio Tinto oder Glencore mussten seit März empfindliche Kursverluste hinnehmen. Aktien des Marktführers BHP Billiton aus Australien verbuchten im vergangenen Monate einen Rückgang um mehr als sieben Prozent. Bei Glencore erreichten die Verluste im gleichen Zeitraum zehn Prozent, ebenso bei Rio Tinto. Die Probleme der Konzerne mit niedrigen Rohstoffpreisen können selbige aber sogar unterstützen. Nämlich dann, wenn die Produktion gedrosselt wird. Das sorgt für Knappheit und stützt die Rohstoffpreise. Ein Beispiel dafür ist die weltweit größte Platinmine Rustenberg von Impala. Das Unternehmen entließ 15.000 Mitarbeiter. Platin konnte sich so als teuerstes Edelmetall der Welt behaupten.
Gold geht wieder
Überhaupt Edelmetalle: Silber hat ebenso Preisrückgänge verzeichnet wie die bereits genannten Industriemetalle. Das mag daran liegen, dass Silber auch ein wichtiger Rohstoff für die Industrie ist. Gold hingegen hatte seinen bisherigen Höchststand bereits im September 2011 erreicht. „Das war eine Übertreibung“, ist Weinberg überzeugt. „Anleger haben Gold vor einem Jahr als Spekulationsobjekt entdeckt, die Funktion als sicherer Hafen und als Versicherung gegen eine Währungskrise rückte in den Hintergrund. Inzwischen haben diese Anleger sich wieder weitgehend aus ihren Goldinvestment zurückgezogen. Der Goldpreis ist insofern bereits bereinigt.“ Tatsächlich zog die Nachfrage nach den ergebnislosen aber beunruhigenden Griechenland-Wahlen zeitweise wieder an. Gold gilt wieder als sicherer Hafen. Weinberg rechnet damit, dass der Goldpreis in der zweiten Jahreshälfte wieder deutlich zulegt. „Entscheiden die Politiker, dass zur Lösung der Euro-Krise die Billigung anziehender Inflation das geringere Übel ist, wird das den Goldpreis wieder befeuern – wenn auch unter starken Schwankungen.“
Das mag sogar für viele andere Rohstoffe gelten. Bei den Agrarrohstoffen wie Mais oder Weizen sorgt zudem das trockene Klima in den wichtigen Produktionsländern USA und Russland für stabile oder sogar steigende Preise. Auf Sicht der kommenden zwölf Monate werden aber die meisten Rohstoffpreise mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder steigen. Das gilt vor allem für Industriemetalle und Öl. Solange die Konjunktur auf Abkühlungskurs bleibt, herrscht noch ein Überangebot – zumal der Handelsboykott gegen den Irak die arabischen Förderstaaten dazu veranlasst, die Fördermenge übermäßig hoch zu halten. Das drückt die Preise. Aber es dauert eben sehr lange, bis die niedrigen Preise auch zu anziehender Nachfrage führen. „Kurzfristig entscheidet allein die Nachfrage über den Preis, nicht umgekehrt. Öl ist derzeit unterbewertet“, sagt Weinberg. Und da Rohstoffe zyklische Güter sind, muss sich erst die Konjunktur stabilisieren, bevor die Rohstoffmärkte die Trendwende schaffen. Das gilt vor allem beim Öl. Das Überangebot muss zunächst abgebaut werden, idealerweise durch einen Erholung der Konjunktur in den USA und vor allem in China. Erst dann ist der Boden für eine neue Rohstoffrally bereitet.
Goldman Sachs erwartet starken Preisanstieg
Das sieht auch die US-Investmentbank Goldman Sachs so. In einer aktuellen Studie gehen die Banker davon aus, dass Rohstoffe auf Jahressicht überdurchschnittlich steigen. Für den hauseigenen Rohstoffindex GSCI Enhanced Commodity Index, erwartet Jeffrey Currie, Leiter der Rohstoffanalyse bei Goldman Sachs, einen Anstieg innerhalb von zwölf Monaten um 29 Prozent. Als Voraussetzung nennt er allerdings die erfolgreiche Eindämmung der Schuldenkrise in den Euro-Ländern sowie eine Konjunkturerholung in den USA und China. Energiewerte könnten dann sogar um 41 Prozent ansteigen, Industriemetalle um 23 Prozent und Edelmetalle um 18 Prozent. Lediglich für Agrarrohstoffe rechnet der Analyst mit einem Minus von 14 Prozent
Für Anleger in Rohstoffen, Rohstoffzertifikaten und Aktien der Rohstoffproduzenten sieht es also zunächst nach weiteren Berg- und Talfahrten aus. Wer mit einem Investment liebäugelt, sollte daher noch abwarten. Außer Gerhard Schulz. Der sollte sich für seinen Heizöl-Einkauf nicht mehr allzu viel Zeit lassen. Sollte es zu einer harschen Bereinigung der Rohstoffmärkte mit deutlich fallenden Preisen kommen, sollte er spätestens volltanken.