Schwache Aktienkultur Deutsche Sparer sitzen in der Zinsfalle

Deutsche Sparer meiden Aktien – und verlieren dadurch viel Geld. Der legendäre Investor Peter Lynch sagte einst: „Jeder kann mit Aktien Geld verdienen, wenn er nur seine Hausaufgaben macht.“ Zeit für ein Umdenken.

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Dass die Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) Sparer besonders hart trifft, ist nichts Neues. Doch wie hart die Einschnitte wirklich sind, das dürfte viele überraschen. Jeder Bundesbürger verliert durch den negativen Realzins – also der Rendite nach Abzug der Inflationsrate – im Schnitt 1,9 Prozent seines Einkommens. Das sind Hunderte Euro, und zwar Jahr für Jahr. Das zeigt der aktuelle Realzins-Radar der Onlinebank Comdirect und der Beratung Barkow Consulting.

Trotz dieser herben Einschnitte denken die Deutschen bei der Geldanlage bisher nicht um. Sie setzen weiterhin auf schwach oder gar nicht mehr verzinste Sparprodukte, die diesen Namen schon lange nicht mehr verdienen. Nur 14 Prozent der Deutschen besitzen Aktien oder Aktienfonds. Das ist im internationalen Vergleich eine sehr geringe Quote. Umdenken würde also Not tun. Aktien werden immer wieder als renditestarke Alternative oder doch zumindest Beimischung genannt.

Warum also scheuen die Deutschen diese Anlageform? Zu riskant, zu undurchsichtig, lautet das weit verbreitete Urteil. „Ein Melange aus Unkenntnis und Desinteresse hat zur weitgehenden Abstinenz der Deutschen bei der Aktienanlage geführt“, sagt Fondsmanager Christoph Bruns, Mitinhaber der Fondsgesellschaft Loys. Diese Mischung sei 50 Jahre lang kein allzu großes Problem gewesen, weil es auskömmliche Alternativen am Rentenmarkt oder bei Sparanlagen gab. „Seit der großen Finanzkrise 2007 und in den Folgejahren ist das anders“, so Bruns. „Urplötzlich sitzen die Zinsanleger in einer Falle und finden keinen Weg heraus aus dem Schlamassel.“

Wo deutsche Sparfüchse ihr Geld anlegen
Studie zum Sparverhalten der Deutschen Quelle: dpa
Sparen ist und bleibt in Deutschland ein wichtiges Thema. Quelle: dpa
Vor allem Bürger aus unteren Einkommensschichten werden durch den anhaltenden Niedrigzins entmutigt. Quelle: dpa
Die Deutschen sparen mehr – weil sie es können. Die Studie zeigt, dass der Durchschnittsdeutsche seine Sparfähigkeit besser ausschöpft. Quelle: dpa
Mit 39,6 Prozent stellen Bankeinlagen den größten Teil des deutschen Privatvermögens. Quelle: dpa
Klassische Versicherungen machen in diesem Bereich den größten Posten aus. Quelle: dpa
Zurückhaltend sind die Deutschen nach wie vor bei der Kapitalanlage in Wertpapiere. Quelle: dapd

Aktien sind für viele nach wie vor keine Alternative. Dabei hat selbst die Bundesbank die Aktie als langfristig renditestärkste Anlageform geadelt. Je länger die Anlagedauer, desto geringer das Risiko. Doch bei den fleißigen Sparern treffen solche Argumente auf taube Ohren. Dabei sagte einst der legendäre Fondsmanager Peter Lynch: „Jeder kann Geld mit Aktien verdienen, wenn er nur seine Hausaufgaben macht.“

Ist es wirklich so einfach? Fondsmanager Bruns kann der Aussage Lynchs sehr viel abgewinnen. Er habe „ganz Recht“ mit seiner Einschätzung. Ähnlich sieht es Anja Metzger, Vorstand der Laureus Privat Finanz. „Grundsätzlich stimmt die Aussage, auch wenn man unterschiedlicher Auffassung sein kann, worin die Hausaufgaben bestehen.“

Dirk Wittich sieht das anders. Man müsse zunächst einmal hinterfragen, was „Hausaufgaben machen“ bedeutet, gibt der Kapitalmarktexperte bei der Sutor Bank zu bedenken. „Würde es dafür ein verbindliches, erfolgsversprechendes Verfahren geben, könnte wirklich jeder damit Geld verdienen“, sagt er. Doch das gibt es nicht. Im Gegenteil: Selbst Persönlichkeiten wie Warren Buffett liegen mit ihren Investmententscheidungen mal daneben – und das, obwohl er für eine akribische Vorgehensweise bekannt ist. „Es gibt schlicht zu viele Variablen, die man nicht exakt vorhersagen kann“, so Wittich. Und manchmal würden wenige Annahmen ausreichen, um komplett falsch zu liegen.

Welcher Investor ist schon unfehlbar? Hausaufgaben hin oder her. Fakt ist, dass sie, wenn man sie denn macht, Zeit kosten. Wie viel, das hängt ganz davon ab, ob man wie Peter Lynch sehr viel Zeit selbst investieren möchte oder aber auf professionelle Unterstützung baut – und einen Teil der Aufgaben durch andere erledigen lässt. Die Philosophie des populären Fondsmanagers und überzeugten Stock-Pickers Lynch lautete: „Ich drehe 100 Steine um und finde vielleicht zehn Ideen. Wer die meisten Steine umdreht, der gewinnt das Spiel.“ Lynch hat damit viel Geld gewonnen, aber mit einzelnen Investments natürlich auch Geld in den Sand gesetzt hat. Wie Buffett eben auch.

„Die grundlegendste Hausaufgabe liegt darin, zunächst zu schauen, welchen Teil des Vermögens oder der monatlichen Liquidität langfristig und chancenorientiert angelegt werden kann“, sagt Metzger von Laureus Privat Finanz. „Ist diese Arbeit gemacht, so lässt sich auch ohne großen eigenen Arbeitseinsatz Geld mit Aktien verdienen, indem man die Auswahl den Profis überlässt oder den breiten Markt über Indexlösungen abbildet.“

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt


Zeitintensiv werden die Hausaufgaben, wenn Anleger auf Einzelaktien setzen wollen. Je größer und verzweigter ein Unternehmen und je komplexer dadurch die Datenlage ist, desto länger dauert es, um zu einer fundierten Einschätzung zu kommen. „Zahlen sind nur ein Aspekt“, sagt Wittich. „Darüber hinaus sind viele weitere Aspekte zu berücksichtigen. Etwa, in welchem Markt sich das Unternehmen bewegt, wie die zukünftige Entwicklung eingeschätzt wird, wie das allgemeine konjunkturelle Umfeld ist, und insbesondere, ob ich als Investor wirklich alle Fakten kenne – siehe etwa der Dieselskandal.“

Die wenigsten Anleger haben überhaupt das Wissen, um ein Unternehmen derart detailliert zu analysieren. Wer sich mit Finanzkennzahlen beschäftigt, benötigt ein wenig Fachkenntnis. „Ich selber habe fast zehn Jahre benötigt, um das einigermaßen zu beherrschen“, gibt Fondsmanager Bruns offen zu. Immer wieder heißt es, das Finanzwissen der Deutschen sei mangelhaft. Damit ist nicht das Detailwissen gemeint, sondern die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Diese Kritik mag in Teilen stimmen, doch den Experten geht sie nicht weit genug, um die Aktienabstinenz einzig damit zu erklären. Es liege vor allem am extrem hohen Sicherheitsbestreben, dass die Aktienkultur in Deutschland derart unterentwickelt sei.

„Getreu dem Motto ‚Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach‘ nehmen die meisten Sparer in Deutschland Nullzinsen in Kauf, um den Kapitalerhalt – zumindest vor Inflation – sicherzustellen“, sagt Metzger. Dabei sei den meisten sehr wohl bekannt, dass sie dabei auf längere Sicht nach Inflation Geld verlieren. „Trotz der Erkenntnis fehlt vielen der Mut, etwas zu wagen“, ergänzt die Expertin. Es fehle sowohl bei Jung und Alt oft der Anstoß zur Veränderung. „Die ältere Generation erkennt häufig den Nutzen nicht, warum sie ihre Strategie ändern sollte, die doch die letzten Jahrzehnte mit Zinseszinseffekt durchaus erfolgreich war“, so Metzger. „Die junge Bevölkerung meistert den Spagat zwischen Beruf und Familie, kämpft um ein bisschen freie Zeit für sich - und findet dabei kaum Gelegenheit, sich an die Finanz-Hausaufgaben zu setzen.“ Hier seien externe Impulse gefragt. Negativzinsen allein reichen demnach nicht für ein Umdenken aus.

Auch Wittich sieht einen Hauptgrund in der Risikoscheu der Deutschen. „Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass im internationalen Vergleich der Anteil an Unternehmern und Selbständigen in Deutschland nicht sehr hoch ist“, sagt er. Hinzu kommt, dass sich gerade Jüngere sehr stark am Verhalten der Älteren orientieren.

Und die Deutschen sind eben kein Volk von Aktionären, sondern eher ein Volk von Bausparern. Jahrzehntelang sind sie mit eher risikoarmen Anlagen wie etwa Bundesschatzbriefen gut gefahren und haben einfach Geld verdient. „Generell scheinen die Deutschen bei der Einschätzung des Rendite-Risiko-Verhältnisses vieler Anlagen ein verzerrtes Bild zu haben“, sagt der Experte der Sutor Bank. „Denn es wird erstaunlicherweise von vielen als nahezu risikolos angesehen, sein gesamtes vorhandenes Geld und eventuell noch zusätzliche Kredite dafür aufzunehmen, um eine einzige Immobilie zu kaufen.“ Der Wert einer Immobilie steige jedoch nicht einfach linear nach oben. Es könne auch schnell nach unten gehen, wenn etwa eine ungünstige Bebauung in der Nachbarschaft erfolge.

Trotzdem gelten Immobilien als extrem sicher, Aktien als extrem riskant. Müssten in Zeiten von Null- und (realen) Negativzinsen nicht viel mehr Deutsche ihre Hausaufgaben machen und die Aktie für sich entdecken? „Ein klares Ja“, sagt Metzger. „Aktien oder Aktienfonds gehören in jede gut strukturierte, langfristig orientierte Vermögensanlage.“ Wäre da nicht die deutsche Mentalität, bedauert Wittich. „Viele verstehen nicht, was Inflation für das Geldvermögen bedeutet“, sagt er. Allein durch die Bekanntmachung der offiziellen Inflationsrate sei dies für viele auch nicht greifbar. „Erst dann, wenn das Geld ausgegeben wird und man feststellt, dass sich Preise nach oben verändert haben, kommt das Erwachen.“

Zumindest sollten sich alle Anleger von Zeit zu Zeit den Ratschlag von Börsenaltmeister André Kostolany zu Herzen nehmen: „Manchmal ist es besser, eine Stunde über sein Geld nachzudenken, als eine Woche dafür zu arbeiten.“

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